Darin: Die Geographisch-kommerzielle Gesellschaft in St. Gallen regt eine bessere Berichterstattung seitens der Konsulate in wirtschafts- und handelspolitischen Fragen und in diesem Zusammenhang die Schaffung eines Koordinationsorgans in Bern an. Annex vom 29.7.1880 (CH-BAR#E2#1000/44#1191*).
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 3, Dok. 315
volume linkBern 1986
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2#1000/44#1193* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2(-)1000/44 194 | |
Dossiertitel | Postulat NR Comtesse vom 30.6.1886 betr. die Errichtung schweiz. Berufskonsulate [v.a. zur Förderung von Industrie und Handel mit dem Ausland, u.a. Gutachten des Schweiz. Handels- und Industrievereins] (1886–1891) | |
Aktenzeichen Archiv | C.312 |
dodis.ch/42294
Der Vorsteher des Handels- und Landwirtschaftsdepartements, A. Deucher, an den Bundespräsidenten und Vorsteher des Politischen Departements, N. Droz1
Wir beehren uns, Ihnen über folgendes Postulat der Bundesversammlung unsern Mitbericht zu erstatten:
«Der Bundesrath wird eingeladen, die Frage zu prüfen, ob es für Handel und Industrie nicht förderlich wäre, in gewissen Ländern Berufskonsulate zu errichten, welche über unsere Handelsinteressen zu wachen, alle, die Entwicklung unserer Ausfuhr interessirenden Vorgänge zu kontroliren und daherige Erkundigungen einzuziehen, sowie das Resultat derselben zusammenzustellen hätten.2 »
Wir hatten zum Zwecke der Untersuchung und Beantwortung dieser Frage zunächst ein Gutachten des schweizerischen Handels- und Industrie-Vereins eingeholt, welches nun nebst dem Protokoll der bezüglichen Verhandlungen der schweizerischen Handelskammer gedruckt vorliegt und wovon wir je ein Exemplar beifügen.3
In ausgedehnter Weise hat sich auch die Schweiz. Presse über das Thema verbreitet. Ferner deckt sich das Postulat, insoweit es die Berufskonsulate im Allgemeinen betrifft, zum Theil mit einem solchen vom Jahr 1883, welches die «Vertretung der wirthschaftlichen Interessen der Schweiz im Auslande» zum Gegenstand hatte und worüber der Bundesversammlung unterm 29. Mai 1884 Bericht erstattet worden ist.4 Endlich erstreckte sich auf diese Materie theilweise auch die Verhandlung, welche auf Veranlassung der geographisch-kommerziellen Gesellschaft in St. Gallen5 am 26. Juni6 1881 zwischen dem Handelsdepartement und Vertretern des schweizerischen Handels- und Industrie-Vereins, der geographisch-kommerziellen Gesellschaften und einigen ändern Experten über unser Konsulatswesen im Allgemeinen und die Errichtung eines Spezialorgans für den Verkehr mit den schweizerischen Konsulaten im Besondern gepflogen worden ist und worüber ein ausführliches Protokoll7 erstellt und gedruckt wurde.
Alle diese Erörterungen und Untersuchungen über das schweizerische Konsulatswesen, auch die jüngste, haben, von Einzelheiten abgesehen, im Wesentlichen das Resultat gehabt, die Zweckmässigkeit unserer jetzigen Konsularorganisation im Grossen und Ganzen und besonders unseres Systems der sog. Wahlkonsulate im Gegensatz zu den Berufskonsulaten, trotz vielen bestehenden Mängeln, zu bestätigen. Die Resolution 18 der schweizerischen Handelskammer lautet: «Esseivomkommerziellen Standpunkt aus die Beibehaltung des bisherigen Konsularsystems zu empfehlen.»
Übrigens bezweckt das Postulat nach seinem Wortlaut offenbar nicht, dass in so allgemeiner Weise System gegen System geprüft werde. Die Postulanten wünschen ausdrücklich, dass die Frage geprüft werde, ob «in gewissen Ländern» Berufskonsulate zu errichten seien. Es handelt sich also nach der Absicht der Urheber des Postulates offenbar lediglich um die Untersuchung lokaler Verhältnisse, um die, von Fall zu Fall nach verschiedenen Gesichtspunkten zu behandelnde Frage, ob nicht in gewissen, erst noch zu bestimmenden Ländern die Errichtung von Berufskonsulaten am Platz wäre.
Auf Grund der gepflogenen Untersuchung muss nun für einmal konstatirt werden, dass z. Zeit kein bestimmtes Bedürfniss für Errichtung von eigentlichen Berufskonsulaten oder für Umwandlung bestehender Wahlkonsulate in Berufskonsulate nachgewiesen worden ist. An Gutachten, die sich prinzipiell, oder damit überhaupt einmal ein Versuch gemacht werde, für solche Posten aussprechen, fehlt es zwar nicht und als Länder, die in Betracht kommen könnten, werden mit Ausnahme der europäischen so ziemlich alle genannt, mit welchen wir vorzugsweise Handel treiben oder mit Aussicht auf Erfolg treiben könnten. Auf motivirende Details wird indessen nirgends eingetreten; es müsste jedenfalls einer künftigen, höchst umständlichen Spezial-Enquete Vorbehalten bleiben, diese mehr von ungefähr erfolgten Vorschläge in ein deutliches Licht zu stellen.
In den meisten der zahlreichen Ansichtsäusserungen der Handels- und Industrievereine, wie auch der Presse und verschiedener kompetenter Persönlichkeiten tritt eine gewisse Abneigung gegen die Errichtung von Berufskonsulaten überhaupt zu Tage. Einerseits sträubt man sich gegen den bürokratischen Charakter solcher Konsulate und die damit verbundenen, bedeutenden Kosten; anderseits wird es für mindestens zweifelhaft gehalten, dass Berufskonsulate an sich, schon des Systems halber, punkto Überwachung und Förderung unserer Handelsinteressen, Erstattung von Berichten und dgl. leistungsfähiger seien als Wahlkonsulate. Es befinden sich unter den Letzteren zur Zeit in der That eine Anzahl, welche in dieser Hinsicht geradezu Ausgezeichnetes leisten, obwohl sie eigenen grossen Handelsgeschäften vorzustehen haben und für ihre Konsularfunktionen ausser bescheidenen Kanzleigebühren für Legalisationen und dgl. keine Geldentschädigungen beziehen.
Dass unter Umständen auch Berufskonsuln eine nützliche Thätigkeit zu entfalten im Stande wären, wird von Niemand bezweifelt, wohl aber herrscht eigentlich nur eine Stimme darüber, dass die Leistungsfähigkeit eines Konsuls weit mehr von seinen persönlichen Eigenschaften als vom Charakter seines Konsulates abhange, und dass demgemäss mit den Berufs- wie mit den Wahlkonsulaten je nach der Persönlichkeit sehr gute und sehr schlechte Erfahrungen gemacht werden müssten, mit dem Unterschied indessen, dass alle ersteren ungleich grössere Büdgetposten beanspruchten als die letzteren. Für die Errichtung von Berufskonsulaten ist daher überhaupt nur von wenigen Seiten nachhaltig und nirgends in einer für uns überzeugenden Weise eingetreten worden.
Hingegen wurde mehrfach betont, dass die Leistungsfähigkeit dieses oder jenes der bestehenden Wahlkonsulate durch Beigabe von besoldeten Gehülfen mit guter allgemeiner und speziell volkswirthschaftlicher Bildung unter dem Titel «Kanzler», «Sekretär», «Attaché» oder dgl. vielleicht wesentlich erhöht werden könnte, in dem Sinne, dass dadurch dem Konsul viele Skripturen abgenommen und dafür mehr Zeit für initiative Thätigkeit gelassen würde. Resolution 2 der schweizerischen Handelskammer hat speziell solche Hülfskräfte im Auge; dieselbe lautet:
«Es sei immerhin wünschenswerth, dass das gegenwärtige System der Wahlkonsuln möglichst verbessert werde. Hinzu scheinen zwei Mittel besonders geeignet:
Einmal möchten Konsularvertreter, welche es an der nöthigen Pflichterfüllung fehlen lassen, hieran von der h. Bundesbehörde nachdrücklich erinnert werden, und sodann sollte der Bund in Fällen, wo es angezeigt erscheint, den Konsuln die Erfüllung ihrer Obliegenheiten durch Ausrichtung entsprechender finanzieller Beiträge etwas mehr als bis anhin erleichtern.»
Solche Beiträge resp. Hülfsarbeiter stehen bereits mehreren unserer Generalkonsulate und Konsulate unter verschiedenen Titeln und Besoldungsformen zur Verfügung. Die Anregungen betreffend die Ausdehnung solcher Hülfsstellen verdienen nach unserer Ansicht Berücksichtigung, jedenfalls eine genaue Prüfung, selbst in der gewissen Voraussicht, dass dadurch das Büdget für unser Konsularwesen erheblich erweitert werden müsste.
Ein dritter und in gewisser Hinsicht vielleicht wichtigster Punkt, der in den stattgehabten Berathungen hervorgehoben worden ist, ist die Konsularthätigkeit auf diplomatischem Gebiete: Mitwirkung bei der Vorbereitung und dem Abschluss von Handelsverträgen und ähnliche Dienstleistungen. Auch in dieser Hinsicht haben mehrere unserer kaufmännischen Generalkonsuln und Konsuln, wo und insoweit es mit den diplomatischen Formen der betreffenden Länder verträglich war, schon Vortreffliches geleistet, wobei ihnen neben tüchtiger Bildung und dem aufrichtigen Wunsche, für ihr Vaterland etwas thun zu können, eben ganz besonders ihre praktische Einsicht in den Handel, ihre Waarenkenntnisse u.s.w. zu Gute kamen. Vorzüge letzterer Art gehen den Berufskonsuln gewöhnlich ab, wogegen sie im Allgemeinen zweifellos in anderer, namentlich formeller Hinsicht, verwendbarer wären. Aber gerade in letzterem Punkte sind besondere Bedenken gegen die Institution der Berufskonsulate geäussert worden; sie erfordern einen erheblichen Kostenaufwand, ohne dass sie für den eigentlichen diplomatischen Verkehr in allen Fällen verwendbar wären, und es machte sich dabei die Ansicht geltend, dass in solchen Fällen eher sog. diplomatische Geschäftsträger am Platze seien; es hat darüber die schweizerische Handelskammer folgende Resolution 4 gefasst:
«Es möchte für besondere Fälle – wenn sich nämlich hieraus für die Vertretung schweizerischer Interessen ein beträchtlicher Nutzen erwarten lässt – die Ernennung von Geschäftsträgern zu vorübergehender oder bleibender Verwendung in Aussicht genommen werden.»
Da diess übrigens ein Punkt ist, welcher mehr in den Rayon des politischen Departements gehört, und mit dem Postulate selbst nur indirekt in Zusammenhang steht, so dürfte es kaum unsere Aufgabe sein, denselben hier des Weitern auszuführen, und enthalten wir uns diesbezüglich besonderer Antragstellung.
Die schweizerische Handelskammer hat ausserdem einen Wunsch betreffend fernere Erleichterung von Explorationsreisen, wie die jüngste von Privatdozent Dr. C. Keller nach Madagaskar, durch die Resolution 3 ausgedrückt: dieselbe lautet:
«Es möchten die h. Bundesbehörden auch in Zukunft Explorationsreisen subventionieren, die sich – neben eventuellen ändern Zwecken – namentlich die Förderung unserer Exportgewerbe zur Aufgabe gesetzt haben.»
Schliesslich glauben wir betonen zu sollen, dass wir das Postulat durch die obschwebende Untersuchung keineswegs für erledigt halten. Es liegt in der Natur der Sache, dass dasselbe nicht durch eine einmalige Untersuchung abgethan werden kann. Unsere Meinung geht dahin, dass, wenn auch vorderhand festgestellt ist, dass zur Zeit kein Bedürfniss nach Berufskonsulaten im Sinne des Postulates vorhanden ist, dieses Bedürfniss nicht zugleich auch für die Zukunft ausgeschlossen sei. Der Bundesrath dürfte daher jeweilen auch bei künftiger Besetzung oder Errichtung von Konsulaten erwägen, ob im gegebenen Falle ein Berufs- oder ein Wahlkonsulat am zweckmässigsten sei. Es dürfte zugleich auch die Urheber des Postulates am meisten befriedigen, wenn dem letzteren eine solche, gleichsam kontinuirliche Folge gegeben würde.
Wir fassen also das Ergebniss der von unserem Standpunkte aus gepflogenen Untersuchung, wie folgt, zusammen:
1.) Für die Errichtung von Berufskonsulaten ist zur Zeit kein Bedürfniss zu Tage getreten;
2.) Die Leistungsfähigkeit einiger der bedeutenderen Generalkonsulate und Konsulate könnte im Sinne des Postulates durch Beigabe besoldeter Gehülfen von tüchtiger allgemeiner und volkswirthschaftlicher Bildung vielleicht gesteigert werden.
- 1
- Bericht: E 2/1193.↩
- 2
- Zur Diskussion des Postulates im Nationalrat vgl. das NR-Prot. vom 12. 6.1886(E 1001 (C) d 1/91, Nr. 447.↩
- 3
- Beide Dokumente nicht abgedruckt.↩
- 4
- Vgl. den Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Vertretung der wirthschaftlichen Interessen der Schweiz im Auslande vom 29. 5.1884 (BBl 1884, 3, S. 71 – 105).↩
- 5
- Vgl. das Schreiben der geographisch-kommerziellen Gesellschaft in St. Gallen an den Bundesrat vom 29. 7.1880 (als Annex abgedruckt).↩
- 6
- Es sollte heissen Januar.↩
- 7
- E 2/1191.↩
- 8
- E 2/1193.↩
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Zusammenarbeit mit Interessengruppen Handelsbeziehungen