Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
IV. NIEDERLASSUNGS- UND ASYLPOLITIK
2. Die schweizerische Asylrechtspraxis
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 142
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E21#1000/131#13929* | |
Old classification | CH-BAR E 21(-)1000/131 485 | |
Dossier title | Berichte der schweizerischen Gesandtschaft in Berlin über die Sozialistische Bewegung in Deutschland (vereinzelt auch der Gesandtschaften in Rom, Paris und Wien 1878) (1878–1902) | |
File reference archive | 06.2.2.01 |
dodis.ch/42121
Bis jetzt ist es mir noch nicht gelungen, indirekt in Erfahrung zu bringen, ob etwas Wahres an dem Grüchte ist, dass zwischen den europäischen Staatsregierungen pourparlers über allfällig der Schweiz gegenüber zu thuende Schritte betreffend strengere Überwachung der Sozialisten-Führer, Nihilisten, Internationalen etc. stattfinden.2 Einer meiner deutschen Collegen, welchem ich näher stehe, hat mir aber versprochen, sich über diese Frage näher zu erkundigen und mir baldmöglichst Bericht zu geben. Seiner Ansicht nach ist es nicht unwahrscheinlich, dass zwischen den Regierungen ein derartiger vertraulicher Gedankenaustausch stattfinde. Er sagte mir schon vor ca. 14 Tagen, er vermuthe, dass mit der Zeit etwas kommen werde. Gestern theilte er mir nun als positiv einstweilen Folgendes mit: Das preussische Ministerium des Innern wisse, dass es im Plane der hiessigen Sozialistenführer liege, ihr Aktions-Zentrum nach der Schweiz zu verlegen; Zürich sei hiefür auserkoren, der Redaktor der Berliner Freien Presse, welches Organ hier unterdrückt worden ist, befinde sich schon dort, auch den Redaktor eines suspendirten Hamburgerblattes vermuthe man dort. Es liege im Plane der Parthei, von der Schweiz aus auf dem Wege der Presse im grössten Maassstabe die sozialistische Agitation neu zu organisiren und mit vermehrter Kraft wieder aufzunehmen. Auf dieses Treiben habe die deutsche Regierung ein wachsames Auge und es scheine ihm, meinem erwähnten Collegen, sehr wahrscheinlich, dass man von hier aus gelegentlich in Bern die Sache vertraulich zur Sprache bringen werde.
Betreffend die gestern avisirte Verordnung des preuss. Staatsministeriums betreffend Ausweisungen und Verbot des Waffentragens habe ich aus der gleichen Quelle erfahren, dass z. B. der Reichstagsabgeordnete Hasselmann (Sozialist), welcher sein Domizil unlängst nach Berlin verlegt habe, als erster mit einem Ausweisungs-Dekret bedacht werden dürfte und dass andere Gesinnungsgenossen bald nachfolgen werden, denn die Übersiedelung Hasselmann’s nach Berlin und andere Anzeichen mehr deuten bestimmt darauf hin, dass man auch hier im Stillen sich wieder organisiren und agitiren wolle.
Das Verbot Waffen zu tragen etc. habe seinen Grund nicht nur in den traurigen Erfahrungen anlässlich der Attentate in Berlin, Madrid und Neapel, sondern auch ganz besonders in der Thatsache, dass in der allerneusten Zeit in Berlin Sprengmaschinen, ähnlich derjenigen, welche s. Z. der bekannte Thomas in Bremerhafen zur Verwendung brachte, angefertigt und auch hier in der Stadt, abgesetzt worden seien.
Von H. Reichskanzleramtspräsident Hofmann habe ich gestern auch vernommen, dass man in Deutschland ein kleines schweizerisches, wie er glaube ultramontanes Blatt, mit dem Titel «Der Erzähler» verboten habe, da dasselbe sozialistischen Tendenzen huldige und dessen Verleger mit der grössten Offenheit publizire, er werde alle verbotenen sozialistischen Druckschriften in Verlag nehmen und alle Kundgebungen der Parthei drucken. H. Hofmann sprach sich, allerdings mehr allgemein, in gleichem Sinne aus, über die oben angedeuteten Versuche der Sozialisten-Partheiführer, sich in Zürich zu organisiren, er zog aber keine Schlussfolgerungen betreffend allfällige Vorstellungen in Bern.
Der neulich im «Bund» erschienene Artikel über unser Asylrecht ist hier nicht unbemerkt geblieben und wird beifällig commentirt. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung hat auf heute Abend eine nähere Behandlung desselben in Aussicht gestellt.
Mit Bezug auf die Kulturkampffrage habe ich einstweilen nur das erfahren können, dass Alles was die Zeitungen hierüber berichten, ungenau oder unrichtig sei. So scheint mir aus Allem hervorzugehen, dass der Reichskanzler diese Angelegenheit persönlich behandelt und dass wohl Niemand gründlich über den Stand derselben Bescheid weiss. H. Dr. Falk ist immer noch unwohl und kann nicht empfangen, ich werde nun aber gelegentlich doch wieder einen Versuch machen ihn zu sprechen. Vielleicht auch, dass es mir gelingt, von H. von Bülow etwas zu vernehmen.
- 1
- Bericht: E 21/13929.↩
- 2
- Am 25.11.1878 bat Schenk die schweizerischen Gesandten in Paris, Wien, Berlin und Rom um Auskunft darüber, was es mit dem von der Presse verbreiteten Gerücht auf sich habe, wonach, [...] «quoique le Président de la Confédération n’ait encore reçu aucune communication, des pourparlers existeraient entre les Puissances pour demander que la Suisse fasse cesser la tolérance dont elle fait preuve envers les anarchistes ». [...] ( E2200 Paris 1/127). Zur Berichterstattung der Gesandten vgl. auch die Nrn. 143, 144, 145, 146.↩
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