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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 1, doc. 15
volume linkBern 1990
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
Cote d'archives | CH-BAR#E2#1000/44#1* | |
Titre du dossier | Frage betr. die Abordnung eines schweizerischen Agenten zur diplomatischen Konferenz in Brüssel über die politische Gestaltung Italiens (1849–1849) | |
Référence archives | B.18 |
dodis.ch/41014
Am 2. Januar h. a.2 haben Sie mich beauftragt, die Frage in Betracht zu ziehen, ob es zweckmässig wäre, an die in Brüssel abzuhaltende diplomatische Conferenz betreffend die Angelegenheit Italiens einen schweizerischen Agenten abzusenden. Weil es längere Zeit den Anschein hatte, als sey jene Conferenz aufgehoben oder verschoben, so liess ich die Sache absichtlich liegen. Nun dürfte es aber an der Zeit seyn, hierüber einen Beschluss zu fassen und ich habe daher die Ehre, meine Ansicht in Folgendem zu eröffnen:
Die Theilnahme an diplomatischen Conferenzen mehrerer Staaten kann auf einem doppelten Motiv beruhen. Entweder handelt es sich um die politische Gestaltung des Staates selbst, welcher an der Conferenz Theil nehmen will, oder es handelt sich um die Regulirung der politischen Verhältnisse andrer Staaten, an denen man insofern ein Interesse hat, als die politische Gestaltung Europas überhaupt mehr oder minder auf die einzelnen Staaten zurükwirkt.
Im ersten Fall liegt es in der Natur der Sache, dass der betreffende Staat, um dessen künftiges Schicksal es sich handelt, seine Vertreter und Vertheidiger an die Conferenz abordne, wie es die Schweiz A. 1814 und 1815 in Wien und Paris gethan hat und wie sie es künftig thun müsste, wenn sie je wieder das Unglück haben sollte, der Gegenstand diplomatischer Congresse zu werden.
Anders verhält es sich mit dem zweyten Fall. Zwar auch hier dürfte man wohl vernünftiger Weise keinem Staate, am wenigsten dem Nachbarstaate der direkt betheiligten Länder, die Theilnahme an einem solchen Congresse versagen. Aber ob es im Interesse liege, diese Theilnahme zu fordern, ist eine andre Frage, welche ich für die Schweiz einstweilen verneinen müsste. Zu dieser Ansicht bestimmt mich zwar nicht das unbedeutende Gewicht, welches wir wahrscheinlich in die Waagschale legen würden, indem ich jeden anerkannten Staat für gleichberechtigt halte, wohl aber das Princip der Neutralität, dem die Schweiz gegenwärtig huldigt und das wir gerade jetzt um so sorgfältiger wahren müssen, als man uns zwingen will, dasselbe aufzugeben und uns mitten in die Kämpfe hineinzuwerfen, welche Europa bewegen und welche zunächst durch Italiens Lage entstehen werden. Nach jenem Princip wollen wir unser politisches Leben auf die Erhaltung unserer Unabhängigkeit, Freyheit und Ehre beschränken und an den politischen Gestaltungen andrer Staaten in keiner Weise und im Interesse keiner Parthey Theil nehmen. Aus dieser principiellen Stellung würden wir aber vollständig heraustreten, wenn wir unsere Stimme abgeben wollten über das künftige Schiksal irgend eines andren Staates. Aber nicht nur würden wir in der Theorie eine ganz veränderte Stellung einnehmen, sondern die Praxis müsste unausweichlich folgen. Denn wer im Rathe der Völker eine Stelle einnehmen will, muss auch zur That bereit seyn, um den Beschlüssen Nachachtung zu verschaffen, und es müsste unter Umständen zum unausweichlichen Gebot der Ehre für uns werden, uns grossartig in die Kämpfe hineinzustürzen, die wir bis jetzt in manchen Beziehungen und mit bedeutender Anstrengung vermieden haben. Wenn man überdies ins Auge fasst, wie tief diese Stellung der Schweiz im politischen Bewusstseyn der grossen Mehrheit des Volkes wurzelt, so kann man sich nicht verhehlen, dass die bedauerlichsten Zerwürfnisse und Spaltungen in unserm Vaterlande entstehen müssten.
Endlich ist nicht zu übersehen, dass die Bundesverfassung (Art. 90, § 9)3 dem Bundesrath zur bestimmten Pflicht macht, über die Neutralität der Schweiz zu wachen. Dieses Gebot würde er nach meiner Überzeugung verletzen, wollte er sich in die Verhältnisse der ändern Staaten offiziell einmischen. Wenn wir das Recht ansprechen wollen, mitzurathen über die künftige Gestaltung der Lombardie, die zu Oestreich gehört, mit welchem Grunde könnten wir künftig Oestreich entgegentreten, wenn es mitsprechen wollte bey unsern Verfassungsänderungen?
Aus diesen Gründen stelle ich den Antrag, keine Abordnung an die Conferenz nach Brüssel zu schicken.4
- 1
- E 2/1.↩
- 2
- PVCF 2 janvier 1849. E 1004 1/1, no 21.↩
- 3
- Le Conseil fédéral «veille à la sûreté extérieure de la Suisse, au maintien de son indépendance et de sa neutralité». RO I, p. 28.↩
- 4
- Le 15 février 1849, le Conseil fédéral charge le Consul de Suisse à Bruxelles, den Bundesrath beförderlich fleissig in Kenntniss zu setzen, von Allem, was er aus der bevorstehenden Konferenz in Brüssel vernehmen werde. PVCF E 1004 1/1, no 381.↩