Classement thématique série 1848–1945:
I. RELATIONS BILATÉRALES
I.5. Confédération germanique
I.5.3. Réfugiés
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 1, Dok. 13
volume linkBern 1990
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
Signatur | CH-BAR#E21#1000/131#78* | |
Dossiertitel | Untersuchung gegen die deutschen Flüchtlinge Becker, Lommel, Hattemer, Heinzen und andere (1848–1849) | |
Aktenzeichen Archiv | 11.2.1.1.4.1.01 |
dodis.ch/41012
Da die Acten in Sachen der deutschen Flüchtlinge nunmehr vollständig sind, und da mir seither neuerdings verschiedene Berichte zukommen, so sehe ich mich veranlasst, Ihnen mehrere Anträge in dieser Angelegenheit vorzulegen.
F Die Untersuchung gegen Becker, Hattemer und Mithafte in Biel:
Bekanntlich hat die Regierung von Bern eine gerichtliche Untersuchung gegen diese Personen erheben lassen, jedoch nicht wegen des Blattes «Revolution», sondern wegen Aufrufen zu bewaffneter Organisation und daheriger Übertretung einer früheren Regierungsverordnung. Durch obergerichtliches Urtheil vom 6. Januar wurde Becker zu einjähriger, Hattemer zu sechsmonatlicher Kantonsverweisung verurtheilt und die Übrigen freigesprochen.2 Wenn auch dem Bundesrath sein Urtheil über die Zweckmässigkeit dieser Strafen freisteht, so liegt es wohl nicht in seiner Stellung, hierüber weiter einzutreten, und es wird somit diese Angelegenheit einstweilen auf sich beruhen müssen.
IF Die Zeitung «Evolution»:
Schon im Dezember vorigen Jahres habe ich in ausführlicher Darstellung Ihre Aufmerksamkeit auf das damals erschienene Probeblatt «Revolution» geleitet.3 In dieser Beziehung ist von den bernerischen Behörden gar nichts geschehen, obwohl nun jenes Blatt unter dem Titel «Evolution» regelmässig erscheint und seinem Programm getreu die rothe Republik und Fürstenmord predigt und in massloser Sprache die Besitzlosen gegen die Besitzenden aufreizt. Ich brauche wohl kaum beizufügen, dass die flagrantesten Stellen in deutschen Hofblättern abgedruckt werden, und dass man sich in ändern Staaten nicht wenig verwundern wird, wie ein solches Blatt in der Schweiz geduldet werden könne, welche schon wiederholt sowohl durch offizielle Erklärungen als durch die Presse entschieden den Vorwurf von sich ablehnte, als ob sie der Sitz einer revolutionären Propaganda sei. Das Dulden dieses Blattes straft die schweizerische Nation Lügen vor ganz Europa. Denn nicht nur ist dasselbe das Organ einer solchen Propaganda, sondern es sind auch vorzugsweise Fremde, die bei diesem Blatte betheiligt sind, wie das Programm in der Probenummer klar nachweist. Es entsteht nun die Frage, welche Massregeln hier ergriffen werden sollen. Könnte man beweisen, dass und welche fremde Flüchtlinge dasselbe gründeten und unterhalten, so wäre das Einfachste, dieselben als des Asylrechtes verlustig auszuweisen: allein es dürfte schwer sein, der Sache auf diese Weise beizukommen, denn als verantwortlicher Redactor und Verleger erscheint Becker, der, obwohl ein Deutscher, das Bürgerrecht von Bern erworben hat.
Es kommt sodann 2tens in Frage, ob die Regierung von Bern angehalten werden könne, gegen dieses Blatt einzuschreiten. Aber auch hier stossen wir auf bedeutende Schwierigkeiten. Einerseits verbietet die bernerische Verfassung jede Massregel gegen die Presse, welche einer Censur gleichkommt, also vor allem auch gewiss die Suppression eines Blattes. Anderseits lässt der § 9 des Strafgesetzes gegen Pressvergehen4, der allein etwa angewendet werden könnte, bedeutenden Zweifel übrig, ob er auf den vorliegenden Fall passe. Er lautet nämlich so:
«Wer durch die Presse zu einem Verbrechen oder Vergehen aufreizt, wird als Gehülfe betrachtet, insofern dieselben vollendet sind. Ist letzteres nicht der Fall, so unterliegt der Betreffende einer Busse von 25 bis 400 Franken und einer Gefängnisstrafe von 4–100 Tagen.»
Ich halte nun für wahrscheinlich, dass nur solche Verbrechen gemeint seien, welche gegen den Kanton und seine Einwohner gerichtet sind und dass somit die Gerichte aufrührerische Schriften, die sich auf das Ausland beziehen, nicht als Vergehen betrachten werden. Freilich gestattet der Art. 16 auch fremden Regierungen und schweizerischen Behörden das Anbringen polizeilicher Klagen, wenn sie das Gegenrecht zusichern. Allein es ist klar, dass jene nicht den gerichtlichen Weg betreten werden, und dass diese jedenfalls einen Klaggrund haben müssen, der im Strafgesetz als Vergehen angeführt ist. Wir finden hier aber nur Ehrverletzungen, Handlungen gegen die christlichen Confessionen und die guten Sitten und Provokation zu Verbrechen, und nirgend ist davon die Rede, auch solche Äusserungen der Presse zu bestrafen, welche die internationalen Verhältnisse oder die politische und sociale Stellung der Schweiz bedrohen. Ich glaube daher, es bleibe hier kein anderes Mittel übrig, als diese Verhältnisse bei der bevorstehenden eidgenössischen Strafgesetzgebung in Betracht zu ziehen und stelle daher den Antrag, dass in diesem Sinn die Acten der betreffenden Commission, welche nächstens das eidgenössische Strafrecht entwerfen wird, überwiesen werden.5
III. Verhalten der deutschen Flüchtlinge in den Gränzkantonen
Sie erinnern sich, dass am 30. November 1848 ein energisches Kreisschreiben über diesen Gegenstand an die Kantone erlassen wurde.6 Aus Berichten, die mir zukommen7 und die ich für glaubwürdig und zum Theil für erwiesen halte, geht nun hervor, dass nicht nur ganz in der Nähe der Gränzen häufig Zusammenkünfte der Flüchtlinge stattfinden, sondern dass auch Einzelne nahe an der Gränze domiciliren und dass sogar die vom Bundesrath ausgewiesenen Neff und Thielmann an solchen Versammlungen Theil nehmen. Speziell wird mir Folgendes gemeldet, dass zu Anfang dieses Monats im Weissen Kreuz in Klein-Basel eine Versammlung der Flüchtlinge Viala, Stampfer, Neff, Thielmann und anderer mehr stattfand, dass ebenso in Münchenstein eine Zusammenkunft der Mitglieder der Lörracher provisorischen Regierung, die sich in Dörnach aufhalten, abgehalten wurde, bei welcher auch Metternich, der sich immer in den Gränzkantonen herumtreibt, anwesend war, und dass endlich auch Holmer und Schnauffer bisweilen nach Rheinfelden kommen. Der Letztere hält sich übrigens in Neuhof bei Buus, Kanton Basel-Land, auf.
Aus allem diesem ergibt sich, dass keineswegs eine hinreichende Überwachung stattfindet und dass namentlich eine gehörige Internirung nicht vollzogen worden sei, denn alle diese Orte, Basel, Münchenstein, Rheinfelden, Buus und selbst Dörnach, müssen im Sinne des Kreisschreibens als Gränzorte bezeichnet werden.
Wenn man nun ins Auge fasst, auf welche Art gegen die tessinischen Flüchtlinge verfahren wurde8, so muss doch bei gehöriger Würdigung der abweichenden Verhältnisse mindestens verlangt werden, dass die Flüchtlinge sämmtlich bis auf eine gewisse Distanz von der Gränze internirt werden und dass bei Übertretung des Bannissements eine angemessene Strafe eintrete.
Ich stelle demnach folgende Anträge:
1.) Es sei den Regierungen der nördlichen Gränzkantone und des Kantons Solothurn unter Mittheilung der erwähnten Verhältnisse das Kreisschreiben vom 30ten November wiederholt in Erinnerung zu bringen.
2.) Sie seien eingeladen, keine Flüchtlinge innerhalb 6 Stunden von der deutschen Gränze zu dulden, und denselben nöthigenfalls durch öffentliche Bekanntmachung anzuzeigen, dass sie im Fall der Betretung dieses Gebiets des Asylrechtes verlustig erklärt werden.
3.) Sie seien ferner einzuladen, im Fall die vom Bundesrath schon ausgewiesenen Neff, Thielmann und Löwenfels in einem Kanton betroffen werden, gegen dieselben die Strafe einzuleiten, welche die Kantonsgesetze für Übertretung des Bannissements aufgestellt haben.
4.) Die Namen der Ausgewiesenen sind mit Personalbeschreibung in das allgemeine Signalementbuch einzutragen.
5.) Das Justiz- und Polizeydepartement ist mit der speziellen Vollziehung beauftragt.9
- 1
- E 21/78.↩
- 2
- Non reproduit.↩
- 3
- Rapport du 12 décembre 1848, non reproduit.↩
- 4
- Loi contre les abus de la liberté de la presse du 9 février 1832. Publiée dans /^Bulletin des lois, décrets et ordonnances de la République de Berne, année 1832, II, p. 31–39.↩
- 5
- Cf. le code pénal fédéral du 4 février 1853 (KO III, p. 335–360), en particulier les articles 42, 48, 69- 72.↩
- 6
- No 3.↩
- 7
- Non retrouvés.↩
- 8
- Cf. No l, annexe.↩
- 9
- Ces propositions ont été adoptées par le Conseil fédéral le 27 janvier 1849. (E 1004 1/1, nos235–237).↩
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