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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 27, doc. 161
volume linkZürich/Locarno/Genève 2022
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#J1.223#1000/1318#539* | |
Old classification | CH-BAR J 1.223(-)1000/1318 79 | |
Dossier title | Landesverteidigung, v.a. Zusammenarbeit mit ausländischen Armeen (1940–1978) | |
File reference archive | 4.08 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#J1.203#1000/1312#599* | |
Dossier title | Militärallianz des dauernd neutralen Staates, v.a. Manuskripte von H.R. Kurz und Unterlagen aus der Generalstabsabteilung betr. Militärbündnisse (1967–1979) | |
File reference archive | 07.01 |
dodis.ch/40763Der stv. Direktor der Eidg. Militärverwaltung des Militärdepartements, H. R. Kurz, an den Rechtsberater des Politischen Departements, R. Bindschedler1
Allianzfrage
Mein Lieber,
Auf Deine Anfrage2 betreffend meine Ausführungen zum schweizerischen Allianzproblem kann ich Dir folgendes sagen. Meine Darlegungen wurden letzten Herbst an einem Podiumsgespräch in Zürich gemacht, an welchem ein auffallend fachkundiges und interessiertes Publikum teilnahm. Die Fragen, die sich hautpsächlich um den Meienberg-Film über die Schrämli-Sache3 drehten, aber auch andere Gebiete berührten, wurden spontan gestellt. Ich besitze kein Manuskript, erinnere mich aber genau an meine Antworten.
Die Frage, die Dich interessiert, war sehr allgemein formuliert. Der Fragesteller wollte wissen, wie sich unsere Armee zur Allianzfrage stelle; unter deutlicher Anspielung an die im Zusammenhang mit der Jeanmaire-Affäre da und dort geäusserte Behauptung einer Zusammenarbeit der Schweiz mit der NATO4 wurde anschliessend gefragt, ob und wie weit unser Land heute den Allianzfall mit dem möglichen Alliierten vorbereite.
Ich habe geantwortet, dass aus Gründen der Neutralität eine Militär-Allianz der Schweiz nur eine «Kriegsallianz» sein könne, d. h. erst wenn wegen feindseliger Handlungen gegen die Schweiz die neutralitätsrechtlichen Bindungen weggefallen seien, komme für unsere Armee eine militärische Zusammenarbeit mit einem Kriegführenden in Frage. Eine solche «Kriegsallianz» stehe aber immer unter der ausserordentlichen Erschwerung der Improvisation, die noch dadurch belastet werde, dass sie unter den äussern Umständen des Krieges stattfinden müsse. Das Bestreben, die Schwierigkeiten der reinen Improvisation etwas zu mildern, habe vor den beiden Weltkriegen unsere militärischen Verantwortlichen veranlasst, schon im Frieden mit dem mutmasslichen künftigen Alliierten eine gewisse Vorbereitung des Allianzfalls zu treffen. Solche reine Eventualabmachungen unter den Militärs, die ohne Wissen der zuständigen politischen Instanzen getroffen wurden und deshalb keine Rechtskraft hatten, seien streng rechtlich zur Not vertretbar gewesen, sie haben sich aber militärpolitisch als sehr nachteilig ausgewirkt. Schon die Militärbesprechungen mit den Zentralmächten vor 19145 seien für unsere Stellung in den Jahren 1914/18 belastend gewesen6. Besonders schwerwiegend haben sich vor allem die Militärvereinbarungen mit Frankreich 1939/407 ausgewirkt, die während des Krieges 1939/45 als schwere Last fühlbar gewesen seien. Die Erfahrungen, insbesondere im «La Charité Komplex»8, haben unserer Armeeleitung nach dem Krieg Anlass gegeben, inskünftig auf solche Experimente zu verzichten. Ich könne deshalb in aller Form erklären, dass heute solche Vereinbarungen nicht bestehen und dass entsprechende Behauptungen in bezug auf die NATO nicht der Wahrheit entsprechen. (Der Fragesteller hat darauf repliziert und die Frage aufgeworfen, ob es nicht aus militärischen Gründen sogar notwendig wäre, heute schon solche Vorbereitungen zu treffen9. Diese Anschlussfrage, die mehr in der Form einer Behauptung gehalten war, ist dann in der grossen Diskussion untergegangen.)
Dies sind ungefähr meine Ausführungen. Sie bewegten sich betont auf der Linie meiner seit der Jeanmaire-Affäre mit Hartnäckigkeit betriebenen Abwehrkampagne gegen die Unterschiebung einer heutigen Zusammenarbeit der Schweiz mit der NATO. Die Berichterstattung10 – die ich nicht kannte – hat sich erstaunlich richtig an meine Ausführungen gehalten.
Es mag Dich interessieren, dass ich beabsichtige, das schweizerische Allianzproblem v. a. militärhistorisch als Beitrag in der Festschrift zum 60. Geburtstag von Walther Hofer zu behandeln11. Ich bitte Dich, dies vorläufig noch vertraulich zu behandeln.
- 1
- Schreiben: CH-BAR#J1.223#1000/1318#539* (4.08).↩
- 2
- Schreiben von R. Bindschedler an H. R. Kurz vom 21. Juli 1978, dodis.ch/53495.↩
- 3
- R. Dindo, N. Meienberg: Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S., 1976.↩
- 4
- Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 51, dodis.ch/52005, bes. Anm. 16.↩
- 5
- Vgl. dazu DDS, Bd. 5, Dok. 163, dodis.ch/43018 und Dok. 307, dodis.ch/43162.↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 6, thematisches Verzeichnis: VI. Politique militaire.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 13, Dok. 192, dodis.ch/46949; Dok. 194, dodis.ch/46951; Dok. 196, dodis.ch/46953; Dok. 262, dodis.ch/47019 und Dok. 308, dodis.ch/47065.↩
- 8
- Zu den von den Deutschen in Dijon (und nicht in La Charité-sur-Loire) gefundenen Akten über die französisch-schweizerischen Generalstabsbesprechungen vgl. DDS, Bd. 13, Dok. 355, dodis.ch/47112 und Dok. 429, dodis.ch/47186; DDS, Bd. 14, Dok. 7, dodis.ch/47193; Dok. 349, dodis.ch/47535 und Dok. 356, dodis.ch/47542; DDS, Bd. 18, Dok. 80, dodis.ch/7120 sowie DDS, Bd. 20, Dok. 19, dodis.ch/12076.↩
- 9
- Zu den Kontakten mit umliegenden Luftwaffen vgl. das Schreiben von K. Bolliger an H. Senn vom 13. Dezember 1978, dodis.ch/50898.↩
- 10
- Vgl. Anm. 2.↩
- 11
- H. R. Kurz: Die Militärallianz des dauernd neutralen Staates, in: U. Altermatt, J. Garamvölgyi: Innen- und Aussenpolitik. Primat oder Interdependenz? Festschrift zum 60. Geburtstag von Walther Hofer. Bern und Stuttgart 1980, 459–481. Vgl. ferner Doss. CH-BAR#J1.203#1000/1312#599* (07.01).↩
Relations to other documents
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Tags
NATO Neutrality policy Military policy