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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 26, doc. 134
volume linkZürich/Locarno/Genève 2018
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001E-01#1987/78#919* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(E)-01/1987/78 238 | |
Titre du dossier | Abkommen über Zolltarife und den Handel GATT: Band 3, Allgemeine Abkommen über Zolltarife und Handel GATT, Kennedy Round, 1.8.1974 - 31.12.1975 (1973–1975) | |
Référence archives | C.41.103.3.(02) |
dodis.ch/38594 GATT VERHANDLUNGSAUSSCHUSS
Am 11. Februar 1975 tritt in Genf der Verhandlungsausschuss des GATT2 (AllgemeinesZoll- und Handelsabkommen) zusammen, um eine neue internationale Verhandlungsrunde zu beginnen, für welche die ersten Grundlagen im September 1973 an der Ministerkonferenz in Tokio beschlossen wurden3. Alle Staaten – also auch die Nichtmitglieder – sind eingeladen.
Aufgabe der Delegierten ist es, zunächst die Verhandlungsmechanismen und -prozeduren festzulegen und die in Tokio gefassten Verhandlungsziele den neuen durch die gegenwärtige Wirtschaftslage diktierten Prioritäten anzupas sen.
Die Durchführung der Verhandlungsrunde hing weitgehend von der Teilnahme der Vereinigten Staaten ab. Diese wurde nun durch die kürzliche Verabschiedung des amerikanischen Handelsgesetzes (Trade Act of 1974) ermöglicht4. Das Handelsgesetz enthält eine inhaltlich und zeitlich begrenzte Kompetenzdelegation des Kongresses an den Präsidenten5, an den internationalen Handelsverhandlungen teilzunehmen, wobei der Kongress sich ein Aufsichtsrecht wahrt. Ausserdem finden sich Bestimmungen, wonach Entwicklungsländern, die Angebotskartellen angehören, von den USA nicht die Meistbegünstigung eingeräumt wird, was bekanntlich bei den OPEC-Ländern sowie bei übrigen südamerikanischen Ländern negative Reaktionen hervorgerufen hat. Schliesslich sind auch die Punkte zu erwähnen, die den Abschluss eines Wirtschaftsabkommens mit der Sowjetunion vereitelt haben, nämlich die Auswanderungsfrage und die Kreditlimiten.
Folgende Punkte dürften bei den Verhandlungen im Vordergund stehen:
a) Nichttarifarische Massnahmen (Technische Vorschriften, Normen, administrative Vorschriften, Einkaufspraxis der öffentlichen Hand etc.)6;
b) Internationale Wettbewerbsregeln (Antidumpinggesetzgebung, Ausgleichssteuern, Ausweichsklausel, Exportsubventionen etc.);
c) Freier Zugang zu den Rohstoffen (Versorgungsgarantien);
d) Landwirtschaft;
e) Harmonisierung der Zollsätze.
Die allgemeine Reduktion der Zollsätze, die noch im Rahmen der Kennedy-Runde7 (1964–67) die zentrale Rolle gespielt hat, ist offensichtlich in den Hintergrund gerückt.
Im Grunde genommen geht es jetzt aber um mehr als nur die erwähnten Punkte. Das durch das GATT Erreichte soll sichergestellt und Rückfälle in den Protektionismus vermieden werden. Die gegenwärtigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten bilden eine Gefahr, dass die Staaten zu Massnahmen greifen, die der internationalen Zusammenarbeit abträglich sind.
Für viele Staaten haben allerdings die jüngsten Ereignisse im Währungssektor8 weit stärkere Einflüsse auf ihre Stellung im Welthandel als etwa der allgemeine Zollabbau der Kennedy-Runde. Aus diesem Grunde darf die neue Runde nicht isoliert betrachtet werden, sondern nur im Zusammenhang mit den laufenden Bemühungen zur Behebung von wirtschaftlichen Ungleichgewichten und zur Herbeiführung von stabileren und angemesseneren Währungsverhältnissen.
Ganz wesentliche Probleme dürften sich vom politischen Bereich her stellen. Wie weit sind die Staaten unter den gegebenen Verhältnissen bereit, den Welthandel noch weiter zu liberalisieren? Wie gross ist der innenpolitische Druck auf die Regierungen, dem Ausbau des Welthandels den Rücken zu kehren und gar restriktive Massnahmen zu ergreifen? Welches werden die Auswirkungen der inneren Schwierigkeiten der Europäischen Gemeinschaften sein? Werden sich die USA, Europa und Japan auf ein gemeinsames Vorgehen einigen können? Wie weit sind die Forderungen der Dritten Welt mit den Zielsetzungen des GATT vereinbar? Wie werden sich die Staatshandelsländer, deren Interessen von den unseren stark divergieren, an den Verhandlungen verhalten? Kann eine befriedigende Lösung für den Zugang zu den Rohstoffen gefunden werden? Alle diese Fragen lassen eine gewisse Skepsis in bezug auf den Ausgang der Runde aufkommen.
Immerhin stellt sich die grundsätzliche Frage, ob es sich die teilnehmenden Staaten leisten könnten, die sorgfältig und lang vorbereitete Runde im Nichts versanden zu lassen. Zweifellos wäre ein solches Resultat an sich bereits ein Element für eine Krise in der internationalen Zusammenarbeit.
Unser Land begrüsst die Durchführung der Runde. Diese sollte in einen Gesamtrahmen gestellt werden und vom Anliegen getragen sein, die Probleme eher gemeinsam zu lösen, als auf einseitige Massnahmen zurückzugreifen. Deshalb legen wir insbesondere Wert auf die Behandlung von Massnahmen, die am besten dazu beitragen können, Stabilität und Ordnung des Welthandelssystems zu gewährleisten. – Im einzelnen wird die Haltung der Schweiz weitgehend vom Verlauf der Verhandlungen und den Stellungnahmen der wichtigsten Welthandelsländer abhängen. Dennoch können jetzt schon einige Punkte herausgeschält werden, die wahrscheinlich die schweizerische Linie charakterisieren werden. So ist unser Land trotz den gegenwärtigen Schwierigkeiten an ernsthaften Verhandlungen interessiert. Es gilt, das erreichte «Momentum» zu wahren. Die Ziele von Tokio sollten im Lichte der jüngsten Wandlungen in der Weltwirtschaft neu überprüft werden. Die Sicherung der Versorgung mit Lebensmitteln und Rohstoffen ist auch für die Schweiz vordringlicher geworden. Hingegen ist der Zollabbau etwas in den Hintergrund gerückt. Der Nulltarif kann jedenfalls eher zeitlich aufgeschoben werden. Auf alle Fälle muss aber eine Ausweitung des Bilateralismus auf Kosten der multilateralen Abmachungen vermieden werden. – Schliesslich dürfte der Schweizer Delegation an diesen Verhandlungen, wie bereits in Tokio, wiederum die Aufgabe zufallen, nötigenfalls ihre Vermittlerdienste den verschiedenen teilnehmenden Staaten anzubieten.
- 1
- Notiz: CH-BAR#E2001E-01#1987/78#919* (C.41.103.3.(02)). Verfasst von G. Kündig und unterzeichnet von J. Zwahlen. Visiert von P. Graber.↩
- 2
- Zur Rolle der Schweiz in den Verhandlungsrunden des GATT vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 114, dodis.ch/38593, Anm. 2.↩
- 3
- Zur « Tokio-Runde» vgl. DDS, Bd. 26, Dok. 114, dodis.ch/38593, Anm. 5.↩
- 4
- Vgl. dazu das Protokoll der Sitzung der Ständigen Wirtschaftsdelegation vom 30. Mai 1973, dodis.ch/38585.↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 65, dodis.ch/35596, Anm. 5; die Notiz von E. H. Léchot an A. Dunkel vom 15. März 1973, dodis.ch/38609 sowie das Schreiben von P. R. Jolles an E. Thalmann vom 25. Mai 1973, dodis.ch/38610.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 103, dodis.ch/35597, Anm. 4.↩
- 8
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 3, dodis.ch/39503; Dok. 7, dodis.ch/39504; Dok. 36, dodis.ch/37657 sowie DDS, Bd. 26, Dok. 123, dodis.ch/39500.↩
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États-Unis d'Amérique (USA) (Economie) Cycle de Tokyo (1973–1979)