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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 25, doc. 165
volume linkZürich/Locarno/Genève 2014
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E4001E#1991/200#26* | |
Old classification | CH-BAR E 4001(E)1991/200 468 | |
Dossier title | Flüchtlinge aus Uganda (1972–1982) | |
File reference archive | 0097.25 |
dodis.ch/35578
Der Sektionschef in der Polizeiabteilung, H. Mumenthaler, an den Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements, K. Furgler1
AUFNAHME VON AUS UGANDA VERTRIEBENEN ASIATEN
1. Am Donnerstag, 21. 9. 72 wurde ich durch Fräulein D. Werner, Sektionschef I des EPD telephonisch darauf aufmerksam gemacht, dass die Englische Botschaft in Bern die Schweiz unter Hinweis auf die Hilfsaktionen verschiedener anderer Staaten, wie z. B. Schweden und Österreich, ersucht habe, eine Gruppe von aus Uganda vertriebenen Asiaten aufzunehmen. Ich wurde gebeten, informativ zu erklären, wie das englische Begehren von uns beurteilt werde. In der Folge habe ich Herrn Fasel orientiert, in der Meinung, dass Sie unter Umständen durch Herrn BundesratGraber in dieser Sache kontaktiert werden könnten.
2. Am Freitag, 22. 9. 72 erhielt ich von Herrn Botschafter Keller, Chef der Abteilung internationale Organisationen des EPD die Note2 der Englischen Botschaft. Gleichzeitig gelangte Herr Pictet, Stellvertreter von Herrn Botschafter Keller an mich, um mir zu sagen, dass Herr BundesratGraber dazu neige, dem englischen Ersuchen in irgend einer Form stattzugeben. Es gehe ihm dabei darum, unsere Tradition in humanitären Belangen zu unterstreichen und durch ein rasches Handeln allfälligen Aktionen in der Presse und von privater Seite (z. B. von Herrn Edmond Kaiser von Terre des hommes) zuvor zu kommen. Man sagte mir, Herr BundesratGraber ziehe in Erwägung, eine beschränkte Zahl von solchen Personen vorübergehend, d. h. für die Dauer von 3–6 Monaten aufzunehmen, unter der Voraussetzung, dass deren Weiterreise durch England garantiert werde. Leider konnte ich Sie am Freitag nicht mehr telephonisch erreichen.
3. Wie ich am Samstag, 23. 9. 72 der Presse (vgl. beiliegender Tages Anzeiger3) entnehmen musste, scheint die Öffentlichkeit durch gewollte (?) oder ungewollte Indiskretionen auf das englische Ersuchen aufmerksam gemacht worden zu sein. Der Pressechef des EPD4 soll auf Anfrage hin in Aussicht gestellt haben, dass der Bundesrat sich in einer seiner nächsten Sitzungen mit der Sache beschäftigen werde5.
4. Betrachtet man die Angelegenheit rein objektiv, wird man nicht um die Feststellung herum kommen, dass die Aufnahme von aus Uganda vertriebenen Asiaten recht problematisch ist. Diese Leute gehörten zu der gehobenen, führenden und auch wohlhabenden Schicht. Dies war übrigens auch im wesent lichen der Grund ihrer Vertreibung. In der Schweiz werden sie in der Regel schon wegen ihrer mangelnden Sprachkenntnisse meist als ungelernte Arbeiter eingesetzt werden müssen. Da sie zudem mittellos sein dürften und mit unseren Verhältnissen in keiner Weise vertraut sind, werden sie anfänglich während längerer Zeit eine intensive materielle und ideelle Betreuung benötigen. Wie die schweizerische Umgebung auf sie reagieren wird, ist ungewiss. In diesem Zusammenhang darf immerhin darauf verwiesen werden, dass den Tibetern6 – es leben über 600 Tibeter in unsrem Land – von der Bevölkerung mit Wohlwollen begegnet wird.
Diese Bedenken sollen nicht darüber hinweg täuschen, dass die Situation für diese Leute überall ähnlich ist, mit dem allerdings nicht unwesentlichen Unterschied, dass ihnen ihre Eingliederung im englischsprachigen Gebiet wesentlich leichter fallen dürfte.
Unser Entscheid wird somit in erster Linie ein politischer sein; eine Dokumentation unserer Solidarität und unserer Humanität nach innen und aussen. Es bleibt zu hoffen, dass eine allfällig bewilligte Aufnahme von den hiezu Erkorenen auch später einmal als Hilfe empfunden wird.
5. Will man dem englischen Ersuchen entsprechen, sehe ich 3 Lösungsmöglichkeiten.
a) Die Aufnahme im Rahmen der Asylgewährung von Personen, die nicht «British Subjects» sind und somit auch keine englische Pässe haben.
b) Die vorübergehende Aufnahme mit dem Ziel, diesen Menschen die Wartefrist bis zu ihrer endgültigen Eingliederung in einem Drittstaat zu erleichtern.
c) Die Aufnahme solcher Personen (u. a. auch mit britischen Reisepässen) als Fremdarbeiter, unter gleichzeitiger Schaffung eines Sonderkontingents.
6. Versuch einer Wertung dieser 3 Vorschläge
Ich habe verschiedene Kriterien aufgestellt und werte diese mit Note 1 (gut) – 3 (schlecht).
[...]7
7. Auf Grund dieser Wertung muss m. E. die Variante b (vorübergehende Aufnahme) sicher fallen gelassen werden. Es kommt hier hinzu, dass die Wiederausreise meist als unzumutbare Härte empfunden würde.
Aber auch die Variante c scheint mir der Aufnahme als Flüchtlinge gegenüber eine Reihe beträchtlicher Nachteile aufzuweisen. Sie würde eine Durchlöcherung der bundesrätlichen Beschränkungspolitik8 bedeuten. Auf dem Gebiet der Betreuung wäre sie eine Ausnahme von dem sonst nur bei Flüchtlingen verlassenen Grundsatz, dass die Fürsorge grundsätzlich Sache der Kantone ist9.
8. Ich gelange deshalb zu folgenden Schlussfolgerungen: – Wir sollten uns darauf beschränken, solche Personen aufzunehmen, die nicht als «British Subjects» betrachtet werden. Diese könnten im Rahmen unserer Asylpraxis ohne Schwierigkeiten als Flüchtlinge anerkannt werden. – Trotz der bestehenden Wohnungsnot sollten in erster Linie Familien aufgenommen werden, zeigt doch die Erfahrung, dass diese sich am ehesten eingliedern lassen. – Die Zahl der aufzunehmenden Personen müsste auf maximal 200 Personen
beschränkt werden. – Die aufzunehmenden Personen sollten zweckmässigerweise nach gewissen arbeitsmarktlichen Kriterien ausgewählt werden. Mit der Auswahl10 (an Ort und Stelle) könnten beispielsweise ein Vertreter des BIGA und ein Chef eines kantonalen Arbeitsamtes (z. B. Dr. Ballmer, Chef des Arbeitsamtes des Kantons Basel-Landschaft und Präsident der Vereinigung der Schweizerischen Arbeitsämter) beauftragt werden. – Die Ansiedlung in der Schweiz sollte in Gruppen von ca. 20 Personen erfolgen, um bei den Aufgenommenen das Gefühl des Verlassenseins zu vermeiden oder mindestens zu vermindern11. – Die Betreuung der Aufgenommenen wäre durch die privaten, im Schosse der Schweizerischen Zentralstelle für Flüchtlingshilfe zusammengefassten
Hilfswerke sicherzustellen, die einerseits über eine reiche Erfahrung verfügen und andrerseits damit die Möglichkeit hätten, «propagandistisch»
in Erscheinung zu treten. – Die eigentlichen Fürsorgekosten dagegen wären gestützt auf den Bundesbeschluss12 über Beiträge des Bundes an die Unterstützung von Flüchtlingen durch den Bund, d. h. die Polizeiabteilung zu tragen. Ein Nachtragskredit wäre dabei nicht zu umgehen. Für das erste Jahr müsste mit Kosten von ca. Fr. 700’000 (inkl. Möbeleinrichtung, Einkleidung, Starthilfe) gerechnet werden. – Sollte der Bundesrat der Aufnahme zustimmen13, wäre die Polizeiabteilung mit der Durchführung der Aktion, wie namentlich auch mit der Koordination mit den übrigen Bundesstellen, den Kantonen und den Hilfswerken zu beauftragen.
[…]14
- 1
- Schreiben: CH-BAR#E4001E#1991/200#26* (0079.25). Erste handschriftliche Marginalie: Uganda Asylgewährung. Zweite handschriftliche Marginalie von K. Furgler: Entscheid: Prinzip: ja. Lösung: Ziffer 8a. Zahl 200 ev. mehr. Details mit Fürsprech Mumenthaler. Übermittelt zur Ausführung an Fürsprech Mumenthaler.↩
- 2
- Note der britischen Botschaft in Bern an das Politische Departement vom 14. September 1972, CH-BAR#E2003A#1984/84#798* (o.222).↩
- 3
- Tages-Anzeiger vom 23. September 1972, Doss. Anm. 1.↩
- 5
- Vgl. dazu das BR-Beschlussprot. II vom 29. September 1972 der 51. ausserordentlichen Sitzung des Bundesrates vom 26. September 1972, CH-BAR#E1003#1994/26#15*, S. 1.↩
- 6
- Zur Integration der Tibet-Flüchtlinge in der Schweiz vgl. den Bericht des Schweizerischen Roten Kreuzes vom Januar 1971, dodis.ch/35857. Vgl. auch DDS, Bd. 24, Dok. 40, dodis.ch/33131, bes. Anm. 2.↩
- 7
- Für die Tabelle vgl. dodis.ch/35578. Pour le tableau, cf. dodis.ch/35578. For the table, cf. dodis.ch/35578. Per la tabella, cf. dodis.ch/35578.↩
- 8
- Vgl. dazu das BR-Prot. Nr. 505 vom 16. März 1970, dodis.ch/36175; das BR-Prot. Nr. 672 vom 21. April 1971, dodis.ch/36318 und das BR-Prot. Nr. 1972 vom 1. November 1972, dodis.ch/36339.↩
- 9
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 91, dodis.ch/32283.↩
- 10
- Zum Auswahlverfahren in Uganda vgl. den Bericht von J. Gemperli und P. Triponez vom 8. November 1972, dodis.ch/36721.↩
- 11
- Vgl. dazu die Notiz von U. Hadorn vom 8. November 1972, dodis.ch/36727.↩
- 12
- Bundesbeschluss über die Beiträge des Bundes an die Unterstützung von Flüchtlingen vom 26. April 1951, BBl, 1951, II, S. 19–22.↩
- 13
- BR-Prot. Nr. 1849 vom 11. Oktober 1972, dodis.ch/36730.↩
- 14
- Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/35578.↩
Tags
Uganda (Politics) Uganda (Economy) Policy of asylum