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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 25, doc. 110
volume linkZürich/Locarno/Genève 2014
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| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2005A#1991/16#222* | |
| Old classification | CH-BAR E 2005(A)1991/16 39 | |
| Dossier title | Allgemeines (1971–1978) | |
| File reference archive | t.170 |
| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2005A#1983/18#2* | |
| Old classification | CH-BAR E 2005(A)1983/18 1 | |
| Dossier title | Richtlinien (1970–1972) | |
| File reference archive | t.002 |
dodis.ch/35242Entwurf des Diensts für technische Zusammenarbeit für das Regierungsprogramm 1971–19751
64. POLITIK GEGENÜBER DEN ENTWICKLUNGSLÄNDERN
Die Schweiz ist – wie gesagt – in das Gefüge enger gegenseitiger Abhängigkeiten einbezogen, welches die Beziehungen unter den Staaten heute charakterisiert. Es handelt sich dabei um eines der wesentlichen Elemente, die unsere Aussenpolitik bestimmen. Das gilt namentlich auch für unsere Beziehungen zu den Entwicklungsländern.
Auszugehen ist davon, dass der Rückstand dieser Länder gegenüber den Industrieländern nicht nur menschlich unhaltbar, sondern auch politisch und wirtschaftlich gefährlich ist. Dauernder Friede und stabiles Wohlergehen auch für unser Land werden in Zukunft kaum ohne einen gewissen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ausgleich unter allen Völkern dieser Welt möglich sein. Nicht nur menschliche Verpflichtung und die den Industrieländern aus der Geschichte in besonderer Weise zufallende Verantwortung für die Dritte Welt, sondern auch unser unmittelbares Eigeninteresse müssen uns veranlassen, den Entwicklungsländern nach Massgabe unserer Möglichkeiten zu helfen, ihre Unterentwicklung, ihre Unterlegenheit zu überwinden und damit erst vollwertige, nicht nur formell, sondern auch tatsächlich gleichberechtigte Glieder der Völkergemeinschaft zu werden. Solche Hilfeleistung macht die von der Schweiz als Grundsatz ihrer Aussenpolitik genannte Solidarität nach aussen und gegenüber dem eigenen Volk glaubhaft und stärkt unsere eigene Stellung innerhalb der Völkergemeinschaft. Entwicklungshilfe ist somit eine der vordringlichen Aufgaben der Eidgenossenschaft. Während der nun beginnenden Legislaturperiode wird es deshalb ein wichtiges Ziel des Bundesrates sein, den schweizerischen Beitrag an die Entwicklung der Dritten Welt nach Massgabe der Leistungsfähigkeit unseres Landes zu erhöhen.
In diesem Sinne hat der Bundesrat am 24. Oktober 19702 zur Strategie der Vereinten Nationen für das zweite Entwicklungsjahrzehnt erklärt, dass er sich von ihr im grossen Ganzen leiten lassen werde. Namentlich soll bis Ende der 70er-Jahre die schweizerische Gesamtleistung (staatliche und private Kapitalhingaben) im Jahresdurchschnitt von heute um 0,70% auf 1% des Bruttosozialproduktes gebracht werden. Da die Leistungen der Privatwirtschaft, je nach der aussen- und innenwirtschaftlichen Lage von Jahr zu Jahr sehr verschieden sein können, und der Staat sie nur in geringem Ausmass beeinflussen kann, ist, um das genannte Ziel zu erreichen, eine substanzielle Erhöhung der staatlichen Leistung unumgänglich. Sie soll in den nächsten Jahren schrittweise dem Durchschnitt der staatlichen Leistungen der anderen westlichen Industrieländer angenähert werden, der 1970 0,40% des BSP betrug, während die schweizerische staatliche Entwicklungshilfe 1970 bei 0,12% des BSP lag. Bei den Gesamtleistungen und bei den staatlichen Leistungen besteht für die Schweiz somit ein erheblicher Rückstand, der – da unser Land, gemessen an seiner wirtschaftlichen Potenz, in der Spitzengruppe der Industrieländer sich befindet – sich auf die Dauer nicht rechtfertigen lässt3. Bei der Erhöhung der schweizerischen Leistungen wird nicht von statischen Grössen ausgegangen werden können, sondern es sind eine weitere Vermehrung unseres BSP und die Ausweitung der staatlichen Leistungen der anderen Industrieländer über 0,40% des BSP hinaus als Wahrscheinlichkeiten in Rechnung zu setzen.
Bereits wurden Massnahmen getroffen bezw. vorgeschlagen, die in den nächsten Jahren zur Erhöhung der staatlichen Leistungen führen sollen4. Weitere wird der Bundesrat bis 1975 vorschlagen. Im Jahre 1972 wird der Antrag für einen neuen Rahmenkredit für die Weiterführung der internationalen Hilfswerke5 fällig sein. Durch diesen Kredit sind für die bereits eingelebten Arten von Hilfsaktionen vermehrte Mittel zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus wird der Antrag die Schaffung eines Freiwilligenkorps für die Katastrophenhilfe6 im Ausland zu berücksichtigen haben. Die Bereitstellung grösserer Mittel für die humanitäre Hilfe, die heute in allererster Linie den Entwicklungsländern zugute kommt, betont eine staatliche Aufgabe, die in unserer Politik seit langem ihren festen Platz hat und in der der Grundsatz der Solidarität ihren besonders klaren Ausdruck findet. Im Jahre 1974 werden weitere Rahmenkredite für Finanzhilfe an die Dritte Welt und für die technische Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern beantragt werden.
Die schweizerische Politik gegenüber den Entwicklungsländern kann sich nicht in der Bewilligung erhöhter Kredite erschöpfen. Vielmehr ist namentlich auch die Arbeitsteilung zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern im Bereich der Wirtschaft zu fördern. Die Schweiz wird nach Möglichkeit Vorschläge machen – jedenfalls aber Vorschläge anderer Länder in positivem Geiste prüfen –, die zur Integration der Wirtschaft der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft beitragen können. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die – unter Berücksichtigung unserer Wirtschaftslage – möglichst weitgehende Verwirklichung der vorgesehenen Zollpräferenzen für Entwicklungsländer7 und die Förderung der ungebundenen Hilfe. Auch ist der Hilfe an die am wenigsten entwickelten Länder besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Auch erscheint uns eine bessere Information der zuständigen Bundesstellen über Investitionsabsichten und Investitionen der Privatwirtschaft notwendig8. Sie ist Voraussetzung von eventuellen weiteren Massnahmen des Bundes zur Ermutigung von schweizerischen Privatinvestitionen in der Dritten Welt.
Vorgesehen ist im Laufe der Legislaturperiode 1971–1975 der Erlass eines Bundesgesetzes über Entwicklungshilfe bezw. über die gesamte Auslandhilfe9. Das Gesetz wird, im Zusammenhang mit dem Postulat Akeret10 und in Ausführung eines Beschlusses des Bundesrates11, gegenwärtig vom EPD vorbereitet. Sein Zweck ist, der Entwicklungshilfe – über die bestehende und an sich genügende verfassungsmässige Grundlage hinaus – eine jedermann unmittelbar einleuchtende Rechtsgrundlage zu geben, insbesondere aber dem Volk die Gelegenheit zu geben, sich über das Prinzip der staatlichen Entwicklungshilfe auszusprechen und damit diesem noch jungen und stets grössere Ausmasse annehmenden Element der Bundespolitik eine solide, dauerhafte Grundlage im Parlament und der öffentlichen Meinung12 zu verschaffen.
Im Laufe der neuen Legislaturperiode wird die Aufgabenverteilung und das Zusammenspiel der Abteilungen und Zweige der Bundesverwaltung zu überprüfen sein, die sich mit Entwicklungshilfe befassen. Es geht darum, das notwendige grössere Volumen an Entwicklungs- und Auslandhilfe bewältigen und eine kohärente Entwicklungspolitik immer besser realisieren zu können. Untersuchungen in diesem Sinne im Gefolge des Postulates Baechtold und der kleinen Anfrage Rohner sind bereits im Gange13.
Mit all diesen Massnahmen ist der Bundesrat bestrebt, den Beziehungen der Schweiz zur Dritten Welt den Platz zuzuweisen, der ihnen innerhalb unserer Aussenpolitik14 heute zukommen muss, und ihnen in der öffentlichen Meinung, in der Wirtschaft und in der Verwaltung jene feste Basis zu geben, die für ihre dauerhafte fruchtbare Pflege notwendig ist.
- 1
- Notiz (Kopie): CH-BAR#E2005A#1983/18#2* (t.002). Verfasst und unterzeichnet von Th. Rae ber. Am 14. Dezember 1971 P. Graber, E. Diez, A. Janner, R. Keller und E. Thalmann persönlich überreicht. Der Entwurf wurde für die Endfassung ca. um die Hälfte gekürzt. Für die Endfassung vgl. den Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Richt linien der Regierungspolitik in der Legislaturperiode 1971–1975 vom 13. März 1972, dodis.ch/34450, S. 1040–1041.↩
- 2
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 42, dodis.ch/35252.↩
- 3
- Zur Kritik des Entwicklungskomitees (DAC) der OECD diesbezüglich vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 125, dodis.ch/32843; das BR-Prot. Nr. 342 vom 18. Februar 1970, dodis.ch/35258 sowie den Bericht von M. Constantin vom 13. Mai 1970, dodis.ch/35259.↩
- 4
- Zum 5. Rahmenkredit für technische Zusammenarbeit vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 77, dodis.ch/35253, Anm. 9 und 10. Für die Finanzplanung im Bereich der Entwicklungshilfe vgl. das BR-Prot. Nr. 1812 vom 21. Oktober 1970, dodis.ch/35243. Für den Rahmenkredit für Finanzhilfe vgl. das BR-Prot. Nr. 1818 vom 21. Oktober 1970, dodis.ch/35269.↩
- 5
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 900 vom 24. Mai 1972, dodis.ch/35271.↩
- 6
- Zur Schaffung des Katastrophenhilfekorps vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 79, dodis.ch/35193.↩
- 7
- Für die Zollpräferenzen zugunsten der Entwicklungsländer vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 42, dodis.ch/35252, bes. Anm. 6.↩
- 8
- Zur Frage der Zusammenarbeit zwischen der Bundesverwaltung und der Privatwirtschaft in Sachen Entwicklungszusammenarbeit vgl. die Aufzeichnung vom 11. April 1972 der Sitzung der Arbeitsgruppe Industrialisierung vom 30. März 1972, dodis.ch/35268 sowie das Referat von S. Marcuard vom 30. März 1972, dodis.ch/35267.↩
- 9
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 77, dodis.ch/35253.↩
- 10
- Vgl. dazu DDS, Bd. 25, Dok. 77, dodis.ch/35253, Anm. 7 und 8.↩
- 11
- BR-Prot. Nr. 1115 vom 30. Juni 1971, dodis.ch/35254.↩
- 12
- Zur Einstellung der schweizerischen Bevölkerung zur Entwicklungszusammenarbeit vgl. DDS, Bd. 25, Dok. 77, dodis.ch/35253, Anm. 5.↩
- 13
- Zur Frage der verwaltungsinternen Organisation und Koordination der Entwicklungszusammenarbeit vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 34, dodis.ch/32830, Anm. 8; die Notiz von D. Werner vom 10. April 1970, dodis.ch/35276; das BR-Prot. Nr. 1568 vom 9. September 1970, dodis.ch/35256; das Referat von Th. Raeber vom 30. August 1972, dodis.ch/34600 sowie den Bericht von L. de Battista und B. de Riedmatten vom 25. September 1972, dodis.ch/35257. Zu der Gesamtevaluation der Projekte der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit von 1962–1968 vgl. die Notiz von L. de Battista vom 22. Oktober 1971, dodis.ch/35260 und den Bericht von L. de Battista vom 22. November 1971, dodis.ch/35261. Für eine allgemeine kritische Betrachtung über Sinn und Auswirkung von Entwicklungszusammenarbeit vgl. die Notiz von R. Högger vom 20. Oktober 1971, dodis.ch/36133.↩
- 14
- Zur Diskussion über die Entwicklungszusammenarbeit an der Botschafterkonferenz 1972 vgl. das Protokoll des Politischen Departements vom 30. August bis 2. September 1972, dodis.ch/34597.↩
Relations to other documents
| http://dodis.ch/35242 | is the draft of | http://dodis.ch/34450 |
Tags
Humanitarian aid Technical cooperation Federal Law on International Development Cooperation and Humanitarian Aid of 19.3.1976


