Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 23, Dok. 70
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001E#1978/84#4819* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(E)1978/84 861 | |
Dossiertitel | Bericht über Empfang des Konsularcorps (1965–1965) | |
Aktenzeichen Archiv | B.22.71.34 • Zusatzkomponente: Malaysia |
dodis.ch/31272 Der schweizerische Konsul in Singapur, H. Suter, an den Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements, P. Micheli1
Im Bestreben, die nicht sehr engen Beziehungen zwischen der hiesigen Regierung und dem Konsularkorps – das Vereinigte Königreich, die USA und vielleicht Deutschland machen eine Ausnahmen – etwas zu beleben, hat sich der Dekan, der deutsche Generalkonsul2, seit einigen Monaten bemüht beide Seiten zusammen zu bringen.
In der Folge lud vor ein paar Wochen der Ministerpräsident (PM), Lee Kuan Yew, die Berufspostenchefs, Portugal ausgenommen, zu einem chinesischen Nachtessen, ohne Damen, ein. Die Atmosphäre war ungezwungen und die Unterhaltung, sobald der fähige, hochintelligente, absolut integre, aber manchmal auch arrogante Lee Kuan Yew, oder der Finanzminister, Goh Keng Swee, eingriff, sehr offen und nie langweilig.
Lee Kuan Yew wechselte im Laufe des Abends auch an den Tisch, wo ich Platz genommen hatte. Kaum war die Diskussion im Gang, als mein japa nischer Kollege3 – um einen geläufigen Ausdruck zu benützen –, der etwas «Öl am Hut hatte», dem Ministerpräsidenten seine Überraschung kund hat, dass er noch keine Antwort auf seine Anfrage erhalten habe, wann er ihm (Lee Kuan Yew) einen Antrittsbesuch machen könne. Es seien jetzt 10 Monate her, seitdem er diesbezüglich geschrieben habe. Das Gleiche geschah mit fast allen konsularischen Vertretern.
Der PM antwortete, dass er für solche Höflichkeitsbesuche einfach keine Zeit habe. Sein Vize-Ministerpräsident, Dr. Toh Chin Chye (auch anwesend), sei mit den Protokollfragen beauftragt. Er habe die ganze Angelegenheit bereits mit dem Dekan besprochen und leider könne er nichts ändern. Ich schlug darauf als Kompromiss die Lösung vor, dass er wenigstens die in Malaysia akkreditierten diplomatischen Postenchefs anlässlich ihrer offiziellen Besuche in Singapur empfange. (Er empfing Botschafter Aman4 nicht, machte aber für den Deutschen5 einige Monate vorher eine Ausnahme.) Er lehnte auch dies ab, mit der gutgelaunten Bemerkung, dass er mit der Zentralregierung sowieso schon zuviel Kompromisse schliessen müsse. Im gleichen Atemzug und indem er sich an mich wandte, fügte er mit erhobenem Finger wörtlich, recht aggressiv, hinzu: «Übrigens hätten der Schweizerische Botschafter und er sich wenig zu sagen. Die Zahlungsbilanz mit der Schweiz ist immer stark zu euren Gunsten und eure Einkäufe in Malaysia sind nicht besonders gross6. Diese Einseitigkeit könnte vielleicht damit behoben werden, dass ich ein japanisches Unternehmen mit der Errichtung einer Wecker- und Uhrenfabrik in Singapur beauftrage.» Ich gab zur Antwort, dass die rund 200 Uhrenläden in Singapur von einer in der Folge möglichen Kontingentierung oder sogar Festsetzung von Schutzzöllen für Schweizeruhren schwer betroffen würden. Auch wäre eine solche Entwicklung kaum im Geiste der von Singapur verfolgten liberalen Handelspolitik. Übrigens sei dies auf lange Sicht für Singapur kaum empfehlenswert. Mit der Errichtung vieler neuer Fabriken seien die hiesigen Betriebe auf ausländische Märkte angewiesen (siehe Textilquotenkrieg mit Grossbritannien). Man hätte deshalb doch alles Interesse, dass Singapurs Ruf als offene Handelsstadt, die immer bereit ist, den gegenseitigen Warenaustausch zu fördern, erhalten bleibt.
Es ist allgemein bekannt, dass jede finanzielle und technische Hilfe, sofern sie dazu dient Industrien hierher zu bringen, willkommen ist. Die Japaner, die hier verständlicherweise am industriellen Aufbau am meisten beteiligt sind, erfreuen sich einer gewissen Vorzugsstellung. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie schon eine Offerte für die Errichtung einer Wecker- und Uhren-Montagefabrik gemacht hätten. Jedenfalls werden die schweizerischen Uhrenhersteller gut tun, wenn sie diese Möglichkeit im Auge behalten. Malaysia, mit Singapur im Vordergrund, übernehmen 2,7% unserer gesamten Uhrenausfuhr. Dass viele Uhren nicht für den hiesigen Markt bestimmt sind, tut wenig zu Sache, denn diese für unser Land wichtigen Uhrengeschäfte werden mit einer starken Währung prompt bezahlt7.
Ich berichte Ihnen erst heute über die Begebenheit, weil ich anfangs März den Besuch vom Vize-Direktor der F. H., Herrn J. Hegetschweiler, in Singapur erwartete8. Ich wollte ihn mündlich über das Vorgefallene informieren. Da der Besuch nicht stattfand, möchte ich es Ihnen überlassen zu entscheiden, ob die interessierten Stellen in geeigneter Weise unterrichtet werden sollten oder nicht.
Es ist indessen klar, dass man hier keine Rücksicht aus sentimentalen Überlegungen auf ein Land mit einer traditionellen Präzisionsindustrie walten lassen wird, wenn es wegen der Arbeitsbeschaffung darum geht, neue Industrien auf die Insel zu bringen. Obschon dies in den nächsten 2–3 Jahren kaum der Fall sein dürfte, muss vorgemerkt werden, dass der hiesigen Regierung scheinbar eine solche Möglichkeit vorschwebt.
Vielleicht wird in nicht allzu ferner Zukunft die Einsicht auch bei weitblickenden Schweizer Uhrenfabrikanten reif werden, dass es vorteilhaft wäre, wenn sie sich zusammen schliessen würden, um zur Verteidigung ihrer Interessen auf lange Sicht einen Gemeinschaftsbetrieb im Ausland aufzustellen. Dies ist keine neue Idee, aber eine solche Lösung sollte schon mangels genügender Arbeitskräfte in der Schweiz, wieder einmal ernstlich in Erwägung gezogen werden.
- 1
- Schreiben: E 2001(E) 1978/84 Bd. 861 (B.22.71).↩
- 5
- H. Böhling.↩
- 6
- Zur wirtschaftlichen Lage Singapurs und zum Handel mit der Schweiz vgl. den Bericht von H. Suter vom 4. Oktober 1965, dodis.ch/31271.↩
- 7
- Zur japanische Konkurrenz im Uhrenexport in den südostasiatischen Raum vgl. für die Situation in Südkorea DDS, Bd. 23, Dok. 124, dodis.ch/31373.↩
Tags
Singapur (Allgemein) Singapur (Politik) Uhrenindustrie