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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 27
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#608* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 293 | |
Dossier title | Moskau, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 25 (1964–1964) | |
File reference archive | 114 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001-05#1979/137#124* | |
Old classification | CH-BAR E 2001-05(-)1979/137 63 | |
Dossier title | Sowjetunion (1961–1969) | |
File reference archive | B.58.1 |
dodis.ch/31014
Der schweizerische Botschafter in Moskau, A. R. Ganz, an den Generalsekretär des Politischen Departements, P. Micheli1
Ich bin heute auf meinen Wunsch von Valerian A. Zorin, Vize-Minister für Auswärtige Angelegenheiten, empfangen worden, dem ich meine Aufwartung machte. Die Audienz dauerte etwa 40 Minuten und verlief in freundlicher Weise. Zorin erklärte, dass zwischen der Schweiz und der Sowjetunion keine Probleme von Bedeutung bestünden. Während er sich jedoch einen wolkenlosen Himmel über unseren gemeinsamen Beziehungen wünsche, seien doch einige Punkte da, die Erwähnung verdienten. Zorin entwickelte darauf in abgerundeter Rede ein Resumé der Dinge, die den Russen bei uns nicht gefallen haben.
a) Unsere Neutralität sei lobenswert, aber er frage sich, ob nicht die Lieferung von Waffen und Kriegsmaterial an Drittstaaten2 diese Neutralität gefährden könne. Ich erwiderte ihm, dass wir, wie Schweden und Dänemark und andere Staaten eine Waffenindustrie besässen, die auch auf den Export angewiesen sei, wie die meisten unserer nationalen Industrien. Dagegen liefere die Schweiz ohne jede politische Motivierung und ausschliesslich auf kommerzieller Basis. Zorin meinte, dass nach diesem Prinzip auch Aggressoren in den Besitz schweizerischer Waffen kommen könnten. Ich entgegnete, dass wir bei Konflikten weder der einen noch der anderen Seite liefern3, dass aber (sofern er etwa Südafrika im Auge habe) einmal eingegangene Verträge honoriert werden müssten4. Auch sei die Identifizierung des Aggressors namentlich im voraus sehr schwierig, auch wechsle die Beurteilung eines Falles je nach der jeweiligen politischen Lage. Zorin erklärte jedoch, keinen spezifischen Fall im Auge zu haben.
b) Zorin kam hierauf auf die atomare Ausrüstung der Schweizer Armee5 zu sprechen. In Russland könne man sich nicht vorstellen, warum die kleine neutrale Schweiz Atomwaffen benötige. Ich wies korrigierend darauf hin, dass die Abstimmungen6 nur die Ermächtigung zur Beschaffung von Atomwaffen betrafen, dass aber zurzeit von einer solchen Bewaffnung überhaupt nicht die Rede sei. Zorin fragte aber, wen denn die Schweiz überhaupt fürchte und ob sie glaube, von aussen angegriffen zu werden. Er spielte alsdann auf
c) die Photos im Armeepavillon der EXPO7 an. Ich habe Zorin sofort gesagt, dass wir von der Reaktion des Obersten Denissenko, eines intelligenten und beliebten Militärattachés mit langjähriger Schweizer Erfahrung, auf die ausgestellten Photos sehr überrascht gewesen seien. Die Wiedergabe von konkreten Beispielen grosser Armeen (URSS und USA) sei zur Illustration des Ausstellungsthemas notwendig gewesen und enthalte keinerlei Insinuation gegenüber irgendwelchem Lande. Solche Überempfindlichkeit sei uns wiederum unverständlich. Zorin gab sich mit meinen Erklärungen durchaus zufrieden.
d) Anschliessend erklärte er, man könne bei ihnen einfach nicht verstehen, dass die wichtigsten Städte des Landes das Auftreten des russischen Armeechores verhindert hätten8. Hierzu sagte ich ihm, dass es sich um die internen Probleme eines wirklich föderalistischen Staates handle, der keine Gleichschaltung in solchen Dingen kenne. Gleich erwiderte Zorin, er verstehe wohl, dass man der Presse in der Schweiz nicht vorschreiben könne, was sie zu schreiben habe (Anspielung auf Reportage «Illustré» über Nikita Chruschtschow?), glaube aber, dass die Haltung von Bern und Zürich9 nicht zur Erhaltung guter Beziehungen zwischen Russland und der Schweiz gedient habe.
e) Schliesslich sagte Zorin, es sei ihnen aufgefallen, dass die Schweiz die Abhaltung einer Baltikum Demonstration in Zürich10 gefördert habe. Auf meine Einwendung, dass es sich um eine seit Jahren übliche Manifestation im Rahmen baltischer Kulturtage handle, die keinerlei politische Bedeutung habe, beanstandete Zorin in erster Linie die Beteiligung offizieller schweizerischer Persönlichkeiten. Es stellte sich dann heraus, dass er den Stadtpräsidenten von Zürich11 meinte. Ich erklärte dem Vize-Aussenminister alsdann die klassische Rolle des Stapi als Träger zürcherischer Gastfreundschaft, jedenfalls könne man nicht ernstlich davon sprechen, die Regierung habe der baltischen Gedenkfeier dadurch zu irgendeiner politischen Bedeutung verholfen.
f) Zum Schluss hob ich hervor, dass diesen doch recht belanglosen Beanstandungen zwei andere Dinge gegenüberstünden, erstens die Einladung der städtischen Deputation12 aus Moskau nach Genf, Lausanne und Bern und zweitens die Zulassung einer reinen Parteidelegation13 zur Abhaltung von dogmatischen Besprechungen mit der Partei der Arbeit. Beides habe sich nicht ohne Anstrengungen realisieren lassen und beweise mehr als alles andere, dass wir es mit dem Prinzip der guten Beziehungen nach allen Seiten ernst meinen. Zorin räumte auf meine ausdrückliche Frage ein, dass sowohl Stadtpräsident Promyslow und seine Leute, wie auch Alexander Scheljepin und seine Parteifunktionäre14 von ihren Besuchen in der Schweiz sehr zufrieden gewesen seien.
- 1
- Schreiben: E 2300(-) 1000/716 Bd. 293 (114).↩
- 2
- Für eine Übersicht über die Problematik des Kriegsmaterialexports vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 176, dodis.ch/31195.↩
- 3
- Zu dieser sog. ständige [n]bundesrätliche [n]Praxis vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 28, dodis.ch/31386, Anm. 7.↩
- 4
- Vgl. dazu das Memorandum über die Besprechung beim Vorsteher des Politischen Departementes vom 19. Dezember in Bern von D. Bührle vom 22. Januar 1964, dodis.ch/31930; das Schreiben von R. Probst und C. Jagmetti an R. Bühler vom 27. Juli 1964, dodis.ch/31388 sowie das Protokoll von P. Stauffer vom 18. September 1964, dodis.ch/31050.↩
- 5
- Vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 15, dodis.ch/31971.↩
- 6
- Ibid., Anm. 16.↩
- 7
- Zu den Beanstandungen von W. K. Denissenko und den Demarchen der sowjetischen Botschaft zum Bild der Sowjetsoldaten an der Expo 64 vgl. die Notiz von A. Janner vom 25. Mai 1965, dodis.ch/31018. Die Angelegenheit wurde auch im Bundesrat besprochen, vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 37. Sitzung vom 19. Mai 1964, E 1003(-) 1994/26 Bd. 2, S. 5. Zur Landesausstellung von 1964 in Lausanne vgl. z. B. Doss. E 7110(-) 1975/31 Bd. 46 (621). Zu Reaktionen kommunistischer Staaten auf die Expo 64 vgl. den Bericht von C. Doka und H. Winter vom Juli 1964, E 2200.174(-) 1981/200 Bd. 28 (M.06.3.) und Doss. E 2200.174(-) 1981/200 Bd. 24 (K.02.2).↩
- 8
- Zur Tournée des Chores der Roten Armee in der Schweiz und der Frage der kulturellen Ostkontakte allgemein vgl. die Notiz von A. Janner vom 28. Januar 1964, dodis.ch/31024; die Notiz von A. Janner vom 12. Februar 1964, dodis.ch/31023; das Schreiben von A. R. Ganz an P. Micheli vom 19. Mai 1964, dodis.ch/31017; das Schreiben von A. R. Ganz an L. Boissonnas vom 21. Februar 1966, dodis.ch/31025 und das Schreiben von A. R. Lindt an W. Martel vom 22. Dezember 1966, dodis.ch/31026. Zur Affäre um Oberst H. Binder, der aus Protest über den Auftritt des Chores der Roten Armee seinen Rücktritt einreichte, vgl. die BR-Verhandlungsprot. der 9. Sitzung vom 31. Januar 1964, S. 5; der 10. Sitzung vom 4. Februar 1964, S. 3–5 und der 13. Sitzung vom 14. Februar 1964, S. 4–6, E 1003(-) 1994/26 Bd. 2.↩
- 9
- In Bern sowie in Basel trat der Chor der Roten Armee wegen einer Saalsperre, in Zürich auf Grund eines Polizeiverbots nicht auf. Vgl. dazu Anm. 8 und Doss. E 2001(E) 1978/84 Bd. 953 (B.15.11).↩
- 10
- Zu den baltischen Vereinigungen in der Schweiz vgl. das Schreiben von A. Janner an A. R. Ganz vom 9. Juni 1964, dodis.ch/31015.↩
- 11
- E. Landolt.↩
- 12
- Delegationsleitung W. F. Promyslow. Zur Planung des Besuchs der Moskauer Delegation in Bern vgl. auch die Notiz von A. Janner vom 12. Februar 1964, dodis.ch/31023.↩
- 13
- Delegationsleitung A. N. Schelepin. Zum Besuch der Delegation des Zentralkomitees der KPdSU vgl. das Aide-Mémoire von R. Gailloz vom 16. Mai 1964, dodis.ch/31019.↩
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