Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 22, Dok. 3
volume linkZürich/Locarno/Genève 2009
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E1003#1994/26#1* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 1003(-)1994/26 1 | |
Dossiertitel | Protokolle der 1.-91. Sitzung des Bundesrates (1961–1961) | |
Aktenzeichen Archiv | 4.3 |
dodis.ch/30118
Mitteilungen des Vorstehers des EPD –
Ergebnis der EFTA-Ministerkonferenz2 .
Wie der Herr Bundespräsident3 einleitend feststellt, erachtet er die Mitglieder des Bundesrates als durch die Presse hinreichend orientiert. Zu ergänzen wäre noch, dass die Ministerkonferenz sehr wenig Zeit in Anspruch nahm, nachdem die grundlegenden Beschlüsse bereits in London gefasst worden waren4. Die Erklärungen Premierministers Macmillans vor dem Parlament hätten sich genau an die EFTA-Beschlüsse von London gehalten, indem sie die Solidarität der EFTA-Staaten hervorhoben. Dänemark habe sich sofort dem englischen Schritt angeschlossen. Der Präsident der EFTA-Ministerkonferenz, Herr Kreisky, sei beauftragt, der EWG die Bereitschaft der EFTA-Staaten mit den EWG-Verhandlungen zu führen, zu notifizieren. Die Verhandlungen zwischen England und der EWG würden nicht vor Ende August, Anfang September in Gang kommen. Wann die Schweiz zum Zuge kommen werde, das werde sich erst aus der ganzen Entwicklung ergeben. Das Aufrollen des ganzen Fragenkomplexes erfülle den Herrn Bundespräsidenten mit Sorgen. Es werde für uns sehr schwer sein, der EWG unter Wahrung der Neutralität und Unabhängigkeit beizutreten.
Herr Spühler ist der Auffassung, dass man mit dem, was man über die Ausführungen Macmillans aus der Zeitung erfahren habe, vom Standpunkte der EFTA-Solidarität aus, zufrieden sein könne. Er möchte wissen, ob nun die Schweiz während mehreren Monaten Gewehr bei Fuss stehen werde, oder ob gewisse Fühlungnahmen beabsichtigt seien?
Der Herr Bundespräsident glaubt, dass wir trotz einer gewissen Zurückhaltung wegen des Andranges vor den «Toren Brüssels» doch gut daran täten, sondierend Fühlung zu behalten. Das Wort hätten jetzt allerdings in erster Linie die Behörden der EWG. Man werde bereits aus den Reaktionen auf die englischen Erklärungen und die Erklärungen Kreiskys gewisse Schlüsse ziehen können.
Herr Schaffner ist ebenfalls der Auffassung, dass wir nicht ganz passiv bleiben können, weil wir sonst riskieren, dass alle andern zu ihren Abschlüssen kommen und wir zurückbleiben. Es werde dann heissen, wir seien bei der Bereinigung des Verhältnisses zur EWG zu wenig aktiv gewesen. Durch die kollektive Anmeldung seien wir akkreditiert und müssten kein eigenes formelles Gesuch mehr stellen. Im Schatten dieser kollektiven Akkreditierung sollte auch die Schweiz ihre Sondierungen weiterführen.
Herr Bourgknecht erklärt, er sei besonders beeindruckt gewesen von einer Äusserung von französischer Ministerseite, wonach die schweizerische Neutralität als überlebt betrachtet werde. Es sei deshalb nötig, Kontakte zu bewahren, um für unsern Standpunkt Verständnis zu schaffen. Man dürfe nicht passiv bleiben, wenn das wirklich die Auffassung der französischen Behörden sein sollte.
Herr Spühler präzisiert seine Auffassung dahin, dass Kontakte gepflegt werden sollen, dass aber Kontakte im Sinne von Verhandlungen zu weit gehen würden. Nach seiner Auffassung bilden die EFTA-Staaten einen Block, aus dem sich England detachiert habe, um Verhandlungen mit der EWG für sich und die andern EFTA-Staaten zu führen. Es werde schwierig sein zu sagen, wie weit die Kontakte gehen dürfen. Er möchte auf alle Fälle nicht, dass die Schweiz jetzt in das Gedränge komme.
Der Herr Bundespräsident bemerkt, dass zur Zeit Verhandlungen der Schweiz mit der EWG ausgeschlossen seien. Es handle sich jetzt darum, Sondierungen über die Haltung der einzelnen Mitglieder der EWG vorzunehmen, um dann gerüstet zu sein, wenn wir den Entschluss fassen müssen, ob wir verhandeln wollen oder nicht. Es werde bis dahin noch viele Schwierigkeiten geben. Die britische Regierung habe z. B. noch keine Ahnung, welche Haltung de Gaulle einnehmen werde.
Abbruch der franco-algerischen Verhandlungen.
Der Herr Bundespräsident gibt Kenntnis von einem Gespräch Krim Belkacems mit Herrn Minister Long, bei welchem Anlasse die Gründe für den Unterbruch nach algerischer Version bekannt gegeben worden seien, nämlich, dass in der Frage Sahara die französische Haltung ablehnend gewesen sei und den Algeriern in diesem Punkte keine Hoffnung gelassen habe.
Der Unterbruch könne nun ziemlich lange dauern. Beide Parteien hätten die Schweiz angefragt, ob sie bereit wäre, ihre guten Dienste5 weiter zur Verfügung zu stellen. Der Herr Bundespräsident beantragt, die Anfrage in positivem Sinne zu beantworten und der Rat erklärt sich stillschweigend damit einverstanden.
Die Schutzmassnahmen in Bois d’Avaux sollten nun abgebaut werden. Intakt bleiben sollen die festen Einrichtungen wie die Stacheldrahtverhaue und die Gräben. Das Objekt solle abgeschlossen und der Genfer Polizei zur Bewachung übergeben werden. Man habe auch die Bewachungskräfte für die Laoskonferenz herabsetzen können. Nach Verhandlungen mit der Ciba sollen auch die technischen Einrichtungen des Konferenzsaales abgebaut werden. Für den Fall einer Wiederaufnahme der Verhandlungen könne man innert einer Woche die Sache wieder in Ordnung stellen. Die Bundeskanzlei wird beauftragt, durch Protokollauszug die heutigen Beschlüsse den interessierten Stellen bekannt zu geben.
Belkacem werde am Mittwoch abreisen. Herr Long habe ihm nahegelegt, bei diesem Anlass keine Erklärungen abzugeben. Das EPD werde einen Beamten an den Flughafen schicken.
Zum Schlusse gibt Herr Wahlen seinen Besorgnissen über die Entwicklung der inneren Lage Frankreichs Ausdruck.
[...]6
- 1
- E 1003(-)1994/26/1. Abwesend: P. Chaudet, L. von Moos und H. P. Tschudi, Vorsitz: F. T. Wahlen, Schriftführer: F. Weber, Beginn der Sitzung: 9 Uhr, Schluss: 11 Uhr 30. Die Diskussion basierte auf keinem schriftlichen Antrag.↩
- 2
- Es handelt sich um die EFTA-Ministerkonferenz, die in Genf zwischen dem 28. und dem 31. Juli 1961 stattfand. Vgl. die gemeinsame Erklärung, die anschliessend veröffentlicht wurde (dodis.ch/30784).↩
- 4
- Es handelt sich um die EFTA-Ministerkonferenz, die in London am 28. Juni 1961 stattfand. Zu dieser Konferenz vgl. die gemeinsame Erklärung, die anschliessend veröffentlicht wurde (dodis.ch/30785).↩
- 5
- Zu den guten Diensten der Schweiz im Algerienkonflikt vgl. DDS, Bd. 21, thematisches Verzeichnis: II.3. Algerien, sowie Nrn. 2, 55, 56, 67 und 77 in diesem Band. Siehe ergänzend dazu auch den Antrag des Politischen Departements vom 8. April 1961 (dodis.ch/10413), die undatierte, im April 1961 von G. E. Bucher redigierte Notiz (dodis.ch/10378), das vertrauliche BR-Prot. Nr. 664 vom 11. April 1961 (dodis.ch/10379), die Notiz Conférence d’Evian von Bucher an M. Petitpierre vom 20. April 1961 (dodis.ch/15151) oder das Schreiben von L. Guillaume an R. Kohli vom 19. Mai 1961 (dodis.ch/15881). Siehe auch die Notiz Conversation avec Krim Belkacem von Bucher an Petitpierre und F. T. Wahlen vom 31. Mai 1961 (dodis.ch/10380), das persönliche und vertrauliche Schreiben von O. Long an Wahlen vom 30. August 1961 (dodis.ch/10383) und den Bericht Contribution suisse à la préparation de la négociation entre la France et le Gouvernement provisoire de la République Algérienne von Long an Wahlen vom 23. September 1961 (dodis.ch/9709). Vgl. weiter die vertrauliche Notiz Algerische Flüchtlinge von R. Probst an Wahlen vom 20. Oktober 1961 (dodis.ch/10384), sowie das Telegramm von Probst an H. Voirier vom 23. Oktober 1961 (dodis.ch/10385), das geheime BR-Prot. Nr. 360 vom 23. Februar 1962 (dodis.ch/10389) und die Notiz Geheime Waffenstillstandsverhandlungen Frankreich-GPRA vom 11.–19. Februar 1962 in Les Rousses von A. Simon vom 25. März 1962 (dodis.ch/10394).↩
- 6
- Folgende Traktanden: Änderung des BRB vom 18. 7. 1958 über die Förderung des Inlandabsatzes von Zucht- und Nutzvieh, Ablösung des Milchwirtschaftsbeschlusses auf den 1.11.1962 [...].↩
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