Oberstlt. Waibel als Vermittler zwischen der amerikanischen und deutschen Militärführung zur Beendigung des Krieges in Oberitalien. Gegen die Veröffentlichung seines Buches.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 16, doc. 78
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E27#1000/721#9540* | |
Old classification | CH-BAR E 27(-)1000/721 2043 | |
Dossier title | Mitwirkung von Oberst Waibel bei der Kapitulationsverhandlungen der deutschen Heeresgruppe Wolff mit den Alliierten, Bd 1 - 6 (1945–1947) | |
File reference archive | 06.B.1.b.4 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1000/1571#1349* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1000/99 107 | |
Dossier title | Waibel, Max, Oberstlt i. Gst., Luzern (1945–1947) | |
File reference archive | B.51.14.11.5 |
dodis.ch/1984 Der Vorsteher des Politischen Departement, M. Petitpierre, an den Vorsteher des Militärsdepartements, K. Kobelt1
Wir beehren uns, auf Ihr Schreiben vom 21. Mai 19462 in der Angelegenheit von Oberstlt. i. Gst. Waibel zurückzukommen, der seinerzeit zwischen amerikanischen und deutschen militärischen Stellen vermittelte, um eine Beendigung des Krieges in Oberitalien herbeizuführen3, und Ihnen dafür zu danken, dass Sie uns Gelegenheit gegeben haben, zu der Frage eines allfälligen Vorgehens gegen den Genannten Stellung zu nehmen.
Ein neutralitätswidriges Verhalten in juristischem Sinne wird man Oberstlt. i. Gst. Waibel kaum vorwerfen können. Art. 3 des 1. Haager Abkommens vom 18. 10. 19074 zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle sieht ausdrücklich vor, dass das Recht, gute Dienste oder Vermittlung anzubieten, den am Streite nicht beteiligten Staaten auch während der Feindseligkeiten zusteht, und dass die Ausübung dieses Rechts niemals von einem der streitenden Teile als unfreundliche Handlung angesehen werden kann. Die Vertragsmächte halten es für nützlich und wünschenswert, dass eine am Streite nicht beteiligte Macht aus eigenem Antrieb ihre guten Dienste oder ihre Vermittlung anbietet, so weit sich die Umstände hiefür eignen. Zwar begründet dieses Abkommen, das auch von der Schweiz ratifiziert worden ist, nur Rechte und Pflichten zwischen den beteiligten Staaten, jedoch nicht für Privatpersonen. Wenn aber dem neutralen Staate ausdrücklich das Recht zugestanden worden ist, zwischen den Kriegführenden zu vermitteln, so kann ein solches umsoweniger einzelnen Individuen verweigert werden. Denn die Neutralitätspflichten, die direkt den Staat betreffen, sind ausgedehnter als diejenigen, die der Staat kraft Völkerrechts verpflichtet ist, den seiner Gebietshoheit unterstehenden Personen aufzuerlegen.
Voraussetzung einer rechtmässigen Vermittlung ist unseres Erachtens allerdings, dass sie vom Neutralen unparteiisch und nicht nur als ein Mittel zu Gunsten der einen Kriegspartei, um ihren Sieg auf diesem Wege zu erreichen, geführt wird. Auf die Frage, ob im Falle Waibel diese Bedingungen erfüllt wären, soll weiter unten noch eingetreten werden, da das Verhalten des Genannten als einer Einzelperson weniger von rechtlicher als von politischer Relevanz ist.
Nun kann jedoch jeder neutrale Staat zur Wahrung der Neutralität weitergehende Vorschriften erlassen, als sie durch das Völkerrecht vorgeschrieben sind. Auch die Schweiz hat dies getan. In Frage kämen wohl in concreto Art. 5 der Verordnung über die Handhabung der Neutralität vom 14. 4. 19395 und eventuell Art. 7 der Verordnung über die Wahrung der Sicherheit des Landes vom 22. 9. 1939/16. 4. 19406. Ob diese Bestimmungen verletzt worden sind, wird abzuklären Sache der militärischen Untersuchung sein.
Eine weitere Frage ist ferner, ob nicht Waibel allenfalls gegen militärische Dienstvorschriften verstossen und die mit seiner Stellung verbundenen Befugnisse missbraucht hat. Wir denken hiebei vor allem an die zahlreichen Einreisen von deutschen Offizieren in die Schweiz, die wohl kaum auf dem Wege des normalen Verfahrens ermöglicht wurden, sowie an die Beauftragung des Hptm. Bustelli in Chiasso, den Aufenthaltsort des General Wolff ausfindig zu machen, und an die Organisation des Stosstrupps zu dessen Befreiung. Auch dies zu entscheiden, müssen wir Ihnen überlassen7.
Abzuklären ist weiter, ob nicht die Handlungsweise Waibels im Widerspruch zur Neutralitätspolitik gestanden hat und unter Umständen geeignet gewesen wäre, die Schweiz in aussenpolitische Gefahren zu bringen. Es sei an den Präzedenzfall Bundesrat Hoffmann8 erinnert. Ohne Zweifel hätten die durch Vermittlung Waibels geführten Verhandlungen die Stellung der Schweiz kompromittieren können. Wenn er auch u. W. als Privatmann gehandelt hat, so wäre doch wahrscheinlich die Schweiz für sein Verhalten verantwortlich gemacht worden, denn nach Völkerrecht hat ein Staat für die Handlungen seiner Militärpersonen in weitgehendem Masse einzustehen. Die Besprechungen, die von alliierter Seite ausschliesslich von amerikanischen Unterhändlern geführt wurden, haben zu einem Zeitpunkt stattgefunden, in welchem von gewissen deutschen Stellen Anstrengungen unternommen wurden, mit den Westmächten, unter Ausschluss Russlands, einen Separatfrieden abzuschliessen. Die Sowjetunion, die nach Waibel über den Gang der Unterhandlungen allerdings auf dem laufenden gehalten wurde, soll auch Protest dagegen erhoben haben, den Roosevelt aber zurückgewiesen habe. Es wäre nun nicht ausgeschlossen gewesen, dass russischerseits im Zusammenhang mit diesen Verhandlungen schwerste Vorwürfe gegen die Schweiz erhoben worden wären, was unsere Bemühungen, zu einer Normalisierung des Verhältnisses mit diesem Staate zu gelangen, auf das ernsteste hätte beeinträchtigen können. Zu übersehen ist auch nicht, dass Waibel vorwiegend zu Gunsten der Alliierten gehandelt hat und sein Bestreben von allem Anfang an dahin ging, die Kapitulation der Heeresgruppe C herbeizuführen. Wenn auch angesichts der damaligen Machtverhältnisse kaum die Gefahr bestand, dass Deutschland uns hätte Schwierigkeiten bereiten können, so ist noch nicht abzusehen, welches die Auswirkungen der Aktion Waibels auf unser Verhältnis zu Deutschland in Zukunft sein werden.
Anderseits ist aber in Berücksichtigung zu ziehen, dass die schweizerische Neutralitätspolitik sich nicht nur in Passivität erschöpft, sondern das aktive Einstehen für die Überwindung des Krieges und die damit verbundenen Leiden der Völker zum Leitgedanken hat. Dieser Sinn der Neutralität liegt Art. 3 des Haager Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle zu Grunde, und aus dieser Erwägung heraus können denn auch Vermittlungsversuche Neutraler nicht als Verletzungen ihrer Neutralitätspflichten betrachtet werden. Dank den Bemühungen Waibels konnten nun die Kriegshandlungen in Oberitalien und wahrscheinlich in ganz Europa um eine erhebliche Zeitspanne abgekürzt, zahlreiche Menschenleben gerettet, weite Gebiete vor Zerstörung und wertvolle Kulturgüter vor dem Untergang bewahrt werden. Im Interesse unseres Landes lag es auch, dass der Krieg nicht noch eine Zeitlang von dem uns benachbarten österreichisch/bayrischen Reduit aus weitergeführt wurde. Angesichts der gegebenen Machtverteilung war ein praktisches Resultat durch eigentliche Verhandlungen, ohne bedingungslose Kapitulation der deutschen Heeresgruppe in Italien, nicht zu erreichen; das stand von vornherein fest. Das Verhalten Waibels unter diesem Gesichtswinkel betrachtet steht nicht im Widerspruch zu unserer Neutralitätspolitik – die Schweiz hat allerdings von ihrem Vermittlungsrecht immer nur sehr zurückhaltenden Gebrauch gemacht – und war auch im Interesse unseres Landes.
Es ist sehr schwierig, Vor- und Nachteile der Handlungsweise dieses Offiziers gegeneinander abzuwägen. Nachdem das Ergebnis ein glückliches war, will es uns aber doch scheinen, dass man das, was gegen sein Vorgehen hätte sprechen können, sollte in den Hintergrund treten lassen. Wir zweifeln auch, ob es das Schweizervolk verstehen würde, wenn man Waibel nun zur Verantwortung ziehen würde, ganz abgesehen davon, dass es wohl auch ihm gegenüber nicht fair wäre, nun, ein Jahr später, auf die ganze Angelegenheit zurückzukommen, nachdem sein Verhalten anscheinend bis jetzt von seinen Vorgesetzten stillschweigend gebilligt worden ist, wenn wir uns auch prinzipiell keineswegs damit abfinden können, dass ein schweizerischer Offizier unter Ausnützung seiner dienstlichen Stellung Aussenpolitik treibt, ohne die Zustimmung seiner Vorgesetzten und – durch deren Vermittlung – diejenige des Politischen Departements einzuholen.
Auch wir neigen jedoch zu der Ansicht, dass eine Veröffentlichung des Manuskriptes «Kriegsende in Italien»9 nachteilige Folgen hätte, da es Tatsachen enthält, die nicht für ein grosses Publikum geeignet sind. Wir denken in erster Linie an die Ermöglichung der illegalen Einreise deutscher Offiziere, sowie an die Organisation des Stosstrupps zur Befreiung des Generals Wolff von schweizerischem Gebiete aus. Wir glauben auch kaum, dass es im Interesse unseres Landes und seines zukünftigen Verhältnisses zu unserem nördlichen Nachbarn liegt, wenn die Dienste Waibels zur Herbeiführung der bedingungslosen Kapitulation der Heeresgruppe C einem grösseren Kreise bekannt würden. Als rechtliche Handhabe, um die Publikation zu verhindern, kämen in Frage Art. 77 und eventuell Art. 86 Ziff 1 Abs. 2 MStGB10, vor allem jedoch Art. 22 und 27 des Bundesgesetzes über das Dienstverhältnis der Bundesbeamten vom 30. Juni 192711, dem Waibel als Instruktionsoffizier ebenfalls untersteht. Wir dürfen es Ihnen überlassen, diese Frage noch genauer abzuklären. Dabei ist allerdings nicht ausser acht zu lassen, dass, wenn Dr. Husmann das Manuskript unter seinem Namen publizieren würde, kaum dagegen eingeschritten werden könnte. Unter diesen Umständen wäre es wahrscheinlich am besten, wenn man Oberstlt. Waibel auf gütlichem Wege unter Darlegung der Argumente, die gegen die Veröffentlichung seines Werkes sprechen, dazu bringen könnte, auf diese zu verzichten. Als Berufsoffizier sollte er so viel Disziplin aufbringen, von dieser Publikation, die nicht im Landesinteresse liegt, abzusehen.
Wir wären Ihnen zu Dank verpflichtet, wenn Sie uns über die weitere Folge, die Sie dieser Angelegenheit geben werden, ebenfalls orientiert halten würden.
- 1
- Schreiben (Kopie): E 27/9540/1. Paraphe: MC.↩
- 2
- Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Für eine Darstellung der Verhandlungen zwischen den Alliierten und den deutschen Befehlshabern in Oberitalien sowie für Hinweise zur Vermittlungstätigkeit von M. Waibel vgl. DDS, Bd. 15, Dok. 392, dodis.ch/47996, Dok. 403, dodis.ch/48007, Dok. 431, dodis.ch/48035, Dok. 431, dodis.ch/48035 Annex 1.↩
- 4
- Vgl. AS, 1910, Bd. 26, S. 332–333.↩
- 5
- Vgl. AS, 1939, Bd. 55, S. 811.↩
- 6
- Vgl. AS, 1939, Bd. 55, S. 1083 und 1940, Bd. 56, S. 362.↩
- 7
- Zur militärischen Untersuchung vgl. E 27/9540/1.↩
- 8
- Zum Vermittlungsversuch zwischen Deutschland und Russland, der zum Rücktritt von Bundesrat A. Hoffmann führte, vgl. DDS, Bd. 6, Thematisches Verzeichnis: V. La Suisse et la paix.↩
- 9
- Für das Manuskript, das 1981 publiziert wurde, vgl. E 27/9540/4 –6.↩
- 10
- Für Art. 77, vgl. AS, 1941, Bd. 57, S. 1276; für Art. 86, vgl. AS, 1927, Bd. 43, S. 381.↩
- 11
- Vgl. AS, 1927, Bd. 43, S. 445–446.↩
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