Erwägungen vor Ankunft einer ungarischen Wirtschaftsdelegation. Eher geringe Aussichten. Zurückhaltung angesagt.
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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 16, doc. 55
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001E#1000/1571#3651* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(E)1000/1571 335 | |
Titre du dossier | Ungarn: Wirtschaftsverhandlungen und Abkommen mit der Schweiz (1946–1948) | |
Référence archives | C.44.111.0 • Composant complémentaire: Ungarn |
dodis.ch/16 Interne Notiz der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements1 2 WIRTSCHAFTSVERHANDLUNGEN MIT UNGARN
Nachdem seit dem vergangenen August mehrere private und offiziöse Abordnungen aus Ungarn nach der Schweiz gekommen waren, wurde uns bekanntlich am 26. November 1945 (vide meine Notiz gleichen Datums)3 erstmals durch Herrn von Cziegler von einer offiziellen Delegation unter Führung des ungarischen Industrieministers Antal Ban gesprochen. Wir erhielten auch diesbezüglich via London eine offizielle Anfrage vom ungarischen Aussenminister Janos Gyöngyösi, welche die Abteilung für Auswärtiges mit unserer Zustimmung am 29. November4 bejahend beantwortete. Hierauf wurde wiederum telegraphisch via London am 14. ds. Mts.5 die Ankunft einer 20 köpfigen Delegation (zuzüglich drei Damen) angemeldet, die dieser Tage an der Grenze eintreffen dürfte.
Die über den Zweck dieser Mission und über die einzelnen Delegationsmitglieder von verschiedener Seite erhaltenen Informationen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Von früheren ungarischen diplomatischen Vertretern, die sich noch in der Schweiz befinden, wird uns nahe gelegt, mit Industrieminister Ban keine definitiven Vereinbarungen zu treffen, sondern auf Zeitgewinn zu arbeiten, denn er soll der derzeitigen ungarischen Regierung von Moskau aufgezwungen worden sein und als Sendling Moskaus gelten. Andere Informationen und insbesondere die Aussage eines in Budapest domizilierten Schweizerbürgers lauten hingegen dahin, dass Antal Ban nicht Kommunist, sondern Generalsekretär der ungarischen sozialdemokratischen Partei ist und als absolut integre Persönlichkeit angesehen werden dürfte. Fraglich sei nur, ob es ihm gegebenenfalls gelingt, die mit der Schweiz getroffenen Vereinbarungen zu Hause durchzusetzen, weil in wirtschaftlichen Dingen der oberste ungarische Wirtschaftsrat beinahe mehr Einfluss habe als die Regierung, und in diesem obersten Wirtschaftsrat habe in der Tat Russland durch Vermittlung des Pester Bürgermeister Vas entscheidenden Einfluss.
Bei den zahlreichen Mitgliedern der Delegation befinden sich einige Fachleute, was darauf schliessen lässt, dass es sich vom ungarischen Standpunkt aus um einen offiziellen und durchaus ernstgemeinten Versuch handelt, mit der Schweiz eine Vereinbarung zu treffen.
Vom ungarischen Aussenministerium ist der derzeitige Leiter der Wirtschaftsabteilung (Nachfolger Nickl’s) Graf Moric Czikan-Zichy [Zichy-Czikàny] vertreten. Ministerialrat Janos Marton, ebenfalls ein Sozialdemokrat, gehört zum Industrieministerium. Artur Karasz, zeitweiliger Präsident der Ungarischen Nationalbank und heute wiederum Leiter der Aussenhandelsabteilung dieses Institutes, dürfte eine wichtige Rolle spielen. Dieselbe Bemerkung trifft zu für Gustav Fabri, Vertreter der IKART (Industrie-Einkaufskontrolle AG). Diese IKART ist kompetent für alle Einfuhrfragen im Zusammenhang mit der Erfüllung der Russland gegenüber eingegangenen Reparaturverpflichtungen. Ein weiterer Vertreter der IKART, Tibor Remenyik, soll sich bereits in der Schweiz befinden. Schliesslich sei noch Istvan Vasarhelyi vom Finanzministerium erwähnt, der schon bei früheren Verhandlungen als kompetenter Referent für den Zinsendienst der ungarischen Auslandsschulden mitgewirkt hat. Über die übrigen Mitglieder der Delegation liegen keine näheren Angaben vor. Es dürfte sich zum Teil um private Unternehmer oder Bankleute handeln, die sich der Delegation angeschlossen haben, um mit der Schweiz Geschäftsbeziehungen anzuknüpfen. Drei besondere Wirtschaftsberater des Industrieministers Ban sollen bereits unabhängig von der Delegation in der Schweiz eingetroffen sein, nämlich Prof. Szentgyörgy (Nobelpreisträger und Dr. h. c. der Universität Lausanne), Dr. Kath der Servita AG und Generaldirektor Deutsch der Hungaria AG.
Industrieminister Ban habe ursprünglich beabsichtigt, mit einer Delegation von über hundert Personen nach der Schweiz zu kommen! Ein schweizerischer Geschäftsmann in Budapest legte ihm indessen nahe, nur etwa fünf bis sechs Delegierte mitzunehmen.
Nach einer in Budapest veröffentlichten Pressemitteilung6 zu schliessen, scheint die ungarische Delegation der Auffassung zu sein, sie sei von der schweizerischen Regierung offiziell nach der Schweiz eingeladen worden. Sollte dem so sein, so muss es sich um ein Missverständnis ungarischerseits handeln, denn die über London gegebene telegraphische Antwort enthielt lediglich die Zusage der Aufnahme wirtschaftlicher Besprechungen.
Den Ungarn soll ein provisorisches Warenverkehrsabkommen mit der Schweiz vorschweben7, wobei sie auf eine schweizerische Vorleistung hoffen. Hinsichtlich der ungarischen Lieferbereitschaft sei festzuhalten, dass alle Ausfuhren der Zustimmung der alliierten Kommission (praktisch der Russen) bedürfen, wobei die Erfahrung lehre, dass die Russen vielfach für die Ausfuhr bereitgestellte Warenpartien kurzerhand wegnehmen. Man würde uns auch von Öl- und sogar von Kohlenlieferungen sprechen. Die tatsächlichen Aussichten seien aber sehr schlecht. Anderseits sei Ungarn in der Lage, uns sofort mit Saatgut zu bedienen.
Wie bereits in meiner Notiz vom 26. November8 dargelegt, betrachte ich es als verfrüht, dem Bundesrat die Bestellung einer besonderen schweizerischen Verhandlungsdelegation mit entsprechenden Instruktionen zu beantragen. Es wird sich vielmehr zunächst einmal darum handeln müssen zu ermitteln, was die Ungarn wollen und welche Vollmachten sie mitbringen. Schweizerischerseits wird eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dieser Abordnung am Platze sein, wobei aber anderseits der Tatsache Rechnung getragen werden muss, dass sie durch ein Mitglied der unsererseits bereits offiziell anerkannten ungarischen Regierung9 geführt wird.
Bekanntlich ist die Abteilung für Auswärtiges bestrebt, möglichst bald einen Vertreter nach Ungarn zu entsenden. Ihre diesbezüglichen Bemühungen vom vergangenen November10 führten dazu, dass schliesslich von der Möglichkeit des Austausches von Handelsvertretern gesprochen wurde, wobei damals die russische Zustimmung als möglich erschien. Es bleibt abzuwarten, ob mit Industrieminister Ban diesbezüglich eine Vereinbarung getroffen werden kann. Besprechungen in dieser Hinsicht werde ich im engsten Einvernehmen mit der Abteilung für Auswärtiges (Legationsrat Dr. Zehnder) führen.
- 1
- Die Notiz an J. Hotz wurde von M. Troendle erstellt und unterzeichnet.↩
- 2
- (Kopie): E 2001 (E) 1/335.↩
- 3
- Vgl. die Notiz M. Troendles an J. Hotz vom 26. November 1945, E 2001 (E) 2/616.↩
- 5
- Vgl. den Brief A. Zehnders an M. Troendle vom 14. Januar 1946; nicht abgedruckt.↩
- 6
- Vgl. den Pressebericht vom 7. Dezember 1945; nicht abgedruckt.↩
- 7
- Vgl. Anm. 2↩
- 8
- Ebd.↩
- 9
- Zur Frage der Anerkennung der ungarischen Regierung durch den BR vgl. das BR-Prot. Nr. 3265 vom 21. Dezember 1945, E 1004.1 1/464, den Antrag des EPD zu diesem BR-Prot. vom 20. Dezember 1945, dodis.ch/4 sowie DDS, Bd. 16, Dok. 52, dodis.ch/14.↩
- 10
- Vgl. Anm. 2 sowie den Brief A. Zehnders an den ungarischen Ministerialrat A. Uljvary vom 22. November 1945; nicht abgedruckt.↩
Liens avec d'autres documents
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