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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 21, doc. 60
volume linkZürich/Locarno/Genève 2007
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1976/17#1617* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1976/17 334 | |
Dossier title | Peron, Juan, General, Ex-Präsident. Evtl. Aufenthalt in der Schweiz (1961–1963) | |
File reference archive | B.41.21 • Additional component: Argentinien |
dodis.ch/14895 Der schweizerische Botschafter in Buenos Aires, O. Seifert, an den Generalsekretär des Politischen Departements, R. Kohli1 Aufenthaltsbewilligung für Ex-Präsident Perón2
In Beantwortung Ihrer Anfrage vom 11. Dezember3 betreffend die Ablehnung eines Aufenthaltbewilligungs-Gesuchs für den Ex-Diktator Argentiniens,
Juan Perón4, beehre ich mich folgendes mitzuteilen:
1. Es trifft zweifellos zu, dass grosse Massen der argentinischen Wählerschaft heute noch dem Manne nachweinen, der den Arbeitern mit schrecklich leichtsinniger Demagogie und in vollständiger Verkennung der elementarsten
Wirtschaftsgrundsätze beibrachte, möglichst wenig zu arbeiten, möglichst oft zu streiken (die Streiktage mussten, wie der Streit auch entschieden wurde, stets von den Unternehmern nachbezahlt werden, woraus sich ergab, dass streiken ein einträgliches Geschäft war, bis das Unternehmen finanziell zusammenbrach), im Alter von 50 Jahren pensionsberechtigt zu sein, für die
öffentlichen Dienste (Tram, Bahnen, Post, elektrischer Strom, Gas, etc.) weit unter den Kosten stehende Tarife zu bezahlen, also auf Kosten des Staates gut zu leben, da ja die Reichen mit ihren Steuern für die Staatsausgaben aufzukommen hätten. Dank dieser Politik gelang es dem Diktator in weniger als 9 Jahren 1½ Milliarden US-Dollar, d. h. den gesamten Devisenbestand des
Landes zu verschleudern, die Hinterlagen der Pensionskassen auszurauben und den Staat an den Rand des Bankrotts zu bringen. Ich kann mir keinen bessern Wegbereiter des Kommunismus vorstellen und nur in einem Lande wo die grosse Masse des Stadt- und Provinzproletariats grösstenteils noch aus Einwanderern oder Söhnen von Eingewanderten besteht, die zum Staat noch keine feste innere Bindung haben, konnte eine so offensichtlich zum
Scheitern verurteilte Staatspolitik überhaupt versucht werden. Die Massen, welche heute noch Perón nachtrauern, sind nicht in der Lage, die primitivsten
Voraussetzungen der Wirtschaft zu verstehen.
2. Der von Präsident Frondizi verkündete Wirtschaftsplan hat zum Ziele, die Währung zu stabilisieren, die grossen Petroleumvorkommen gegen den
Willen fanatischer Nationalisten und mit Hilfe ausländischer Techniker und ausländischen Kapitals auszubeuten, das Land zu industrialisieren, die landwirtschaftliche Erzeugung zu heben, wenn nötig mittels Landwirtschaftsreformen, den Sparsinn der Arbeitenden zu erwecken, die Produktivität der industriellen
Gütererzeugung mittels Wiedereinführung von Leistungsprämien zu fördern, die ruinösen Staatsbetriebe abzustossen, die Privatinitiative und das ausländische Kapital zur Teilnahme am Wiederaufbau und an der Entwicklung des potentiell so reichen Argentiniens zu ermutigen. Dies bedingt Opfer, welche vorläufig hauptsächlich von den arbeitenden Massen getragen werden müssen, denen sie schwer fallen und gegen die die peronistisch-kommunistischen Gewerkschaften Sturm laufen. Die entstehende Unzufriedenheit gibt manchen skrupellosen Politikern Gelegenheit im Trüben zu fischen und Wähler zu ködern, indem die mutigen Männer, die sich ohne Rücksicht auf ihre politische
Laufbahn der Unpopularität aussetzen und sich dem Präsidenten zur Verfügung stellen, verdächtigt und verleumdet werden. Und dies unbekümmert um die
Tatsache, dass es keine Alternative gibt als Inflation, Chaos und kommunistische oder rechtsextreme Diktatur.
3. Das argentinische Militär, welches seinerzeit Perón beseitigte, verfolgt aufmerksam die Entwicklung, unterstützt den Wirtschaftsplan Frondizis und ist bereit, gegen jede ernsthafte Störaktion offen zu intervenieren und die aus den Wahlen hervorgegangene konstitutionelle Regierung Frondizis zu schützen.
Es scheint beim heutigen Stand der Dinge gänzlich ausgeschlossen werden zu können, dass der Ex-Diktator Perón hier je wieder an die Macht gelangt, es sei denn als Folge eines von seinen Anhängern anzuzettelnden und zu gewinnenden
Bürgerkrieges. Unzufriedene Militärs gibt es zwar auch heute noch in Argentinien, die Nationalisten machen sich immer noch mit ihren schwärmerischen und fanatischen Tendenzen gegen jeden fremden Einfluss im Lande geltend, ja es heisst sogar, dass ein geheimes Wahlbündnis zwischen Nationalisten und
Peronisten im Einblick auf die nächsten Wahlen im März 1960 zustandegekommen sei; aber trotzdem fällt es schwer, an eine Rückkehr Peróns zu glauben und noch schwerer anzunehmen, dass sich eine organisierte bewaffnete Opposition
finden liesse, welche in einem Bürgerkrieg für den Ex-Diktator tatsächlich zu kämpfen bereit wäre. Die kommunistisch beeinflussten Gewerkschaftsführer haben starke Prestigeeinbussen erlitten und es hat den Anschein, als ob unter den qualifizierten Arbeiterkreisen das Interesse für die Revalorisierung des
Leistungsprinzips erwache, dass man einigermassen zur Vernunft gelangt sei und dass das Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge zunehme. Die
Vorträge, welche Wirtschaftsminister Alsogaray wöchentlich zur Erläuterung der Wirtschaftspolitik der Regierung an Radio und Television hält und die sehr einfach und für die breiten Massen gehalten werden, tragen zur Verbesserung dieses Verständnisses bei.
4. Ich glaube, dass eine Asylgewährung an Perón oder auch nur die Erteilung einer vorübergehenden Aufenthaltsbewilligung unsere Beziehungen zum aufstrebenden demokratischen Argentinien trüben könnte. Wir hören schon genug leichtfertige Gerüchte, über die von Perón in der Schweiz angeblich deponierten
Millionen, als dass ihnen nun noch durch sein persönliches Erscheinen neuer
Auftrieb gegeben werden müsste5. Gewisse Leute wollen übrigens wissen, dass der Ex-Diktator über die unter einem Nummern-Konto deponierten Gelder in der Schweiz nur mit der Unterschrift seines berüchtigten Geschäftemachers
Jorge Antonio verfügen kann, der ihm für seine politische Kampagne in Argentinien nicht genügend Mittel gewähren wolle. Wenn diese Gerüchte stimmen, wäre nicht auszuschliessen, dass sich der persönliche Aufenthalt Peróns in der
Schweiz vielleicht mit der Absicht deckt, gewisser Fonds habhaft zu werden, um seine Kampagne im Hinblick auf die teilweisen Erneuerungswahlen zum
Parlament vom März 1960 besser finanzieren zu können. Ein Grund mehr, sein Gesuch abzuschlagen.
5. Juan Perón ist nun 64 Jahre alt und soll selbst nicht mehr den Wunsch haben, nach Argentinien zurückzukehren, was allerdings nicht besagen will, dass er nicht einen seiner Anhänger zum Nachfolger ernannt haben könnte.
Auf jeden Fall befasst er sich weiterhin mit Politik und es ist undenkbar, dass er diese Tätigkeit anlässlich eines Aufenthaltes in der Schweiz unterbrechen könnte.
Perón war nie ein Freund der Schweiz. Es ist meines Erachtens naiv zu glauben, dass seine Sympathie für unser Land mit einer Aufenthaltsbewilligung erkauft werden könnte.
6. Die Möglichkeit einer Rückkehr Peróns erscheint mir heute mehr denn je problematisch. Man weist zwar manchmal auf den Fall des brasilianischen
Diktators Getulio Vargas hin, der mit 75 Jahren nach Brasilien zurückkehrte, um dann so zu enden, wie jedermann weiss6. Ob dies auch im Falle Peróns möglich wäre, ist überaus schwierig zu beurteilen.
7. Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen möchte ich vor einer Annahme des Gesuches warnen und im Gegenteil empfehlen, die Ablehnung
öffentlich bekanntzugeben.
- 1
- Schreiben: E 2001(E)1976/17/334.↩
- 2
- Handschriftliche Anmerkung von R. Probst vom 12. Januar 1960: Herr Cramer. Lässt sich feststellen, von wem die angeblichen Presseinformationen (vgl. Schreiben vom 31. 12. 1959) stammen?↩
- 3
- Vgl. das Schreiben von R. Kohli an O. Seifert vom 11. Dezember 1959, nicht abgedruckt.↩
- 4
- In seiner Sitzung vom 28. März 1958 hat der Bundesrat beschlossen, die Angelegenheit in der Schwebe zu lassen, bis Expräsident Perón ein formelles Einreisegesuch stellt. Vgl. das Verhandlungsprotokoll der 24. Sitzung des Bundesrates vom 28. März 1958, E 1003(-) 1970/344/2 (R 3107). Siehe auch die Notiz Einreise von Ex-Präsident Perón vom 28. Januar 1960, nicht abgedruckt (dodis.ch/14943): Der Bundesrat hat am 24. März 1958 [28. März 1958]beschlossen, bis auf weiteres die Einreise von Perón (P.) in die Schweiz ohne vorgehende ausdrückliche Genehmigung durch die Bundesbehörden nicht zu gestatten; diese Weisung gilt auch für kurzfristige Aufenthalte.↩
- 5
- Vgl. zum Beispiel DDS, Bd. 20, Dok. 63, dodis.ch/11138 und BR- Prot. Nr. 1741 vom 12. Oktober 1956, E 1004.1(-)1000/9/594 (dodis.ch/11057).↩
- 6
- G. Vargas hat am 24. August 1954 im Präsidentschaftspalast Selbstmord begangen. Vgl. den politischen Bericht Nr. 7 von E. Feer an M. Petitpierre vom 26. August 1954, E 2300(-) 1000/716/387 (dodis.ch/9130).↩
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