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Schweizer Aussenpolitik 1973–1975: Der neue Band ist da!

«Ein solches Aussenministerium ohne Polizeischutz und mit einem friedlichen Gemüsemarkt ante portas erträumten sich die Palästinenser», bemerkte ein Funktionär der Fatah-Partei beim Verlassen des Bundeshauses in Bern im Juni 1973. Sein Besuch beim Politischen Departement (EPD, heute EDA) galt der Einrichtung einer Vertretung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Genf. Dadurch, so der Unterhändler, könnte man künftig «Anschläge von Terroristengruppen» in der Schweiz «allmählich [...] von unserem Lande weglenken» (Dok. 23, dodis.ch/39251). Eine Drohung? Als der Bundesrat zwei Jahre später, auf Bitte des UNO-Generalsekretärs (Kurt Waldheim), einen Beobachter bei den Vereinten Nationen in Genf zuliess, brüstete sich letzterer gegenüber dem schweizerischen Aussenministerium mit der Behauptung, die PLO habe «verschiedentlich palästinensische Splittergruppen von Attentaten, die in oder gegen die Schweiz geplant gewesen seien, abhalten können unter Hinweis auf das jetzige gute Verhältnis» (Dok 187, dodis.ch/38640).

Telegramme, Notizen, Protokolle...

Die mit der Palästinafrage verquickte Nahostkrise stand in den 1970er Jahren im Brennpunkt der schweizerischen Aussenpolitik. Mit dem Jom-Kippur-Krieg (Dok 47, dodis.ch/39249) und dem arabischen Erdöl-Boykott geriet ab 1973 das gesamte Wirtschaftssystem der westlichen Industriestaaten ins Trudeln. Die Energie- und Wirtschaftskrise nach der dreissigjährigen Hochkonjunktur der Nachkriegszeit setzen die Akzente zum neu erschienenen Band 26 der Diplomatischen Dokumente der Schweiz (DDS) zu den internationalen Beziehungen der Schweiz in den Jahren 1973 bis 1975. Die Aktenedition umfasst Telegramme, Zirkulare, Korrespondenzen zwischen den diplomatischen Vertretungen der Schweiz und der Zentrale in Bern, Protokolle der Sitzungen des Bundesrates sowie Notizen und Arbeitspapiere verschiedener Departemente. Diese beleuchten ein breites Spektrum aussenpolitischer und aussenwirtschaftlicher Aktivitäten.

Sonntagsfahrverbot und «Nord-Süd-Dialog»

Der Bundesrat diskutierte verschiedene Massnahmen, um der Knappheit fossiler Brennstoffe zu begegnen. So etwa das Sonntagsfahrverbot, das der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements (EVD), Bundesrat Ernst Brugger, allerdings als «window-dressing» qualifizierte: «Es bringt wenig ein und lässt sich langfristig kaum durchhalten» (Dok. 49, dodis.ch/39686). Für den Aussenhandel stand die Diversifizierung von Bezugsquellen im Vordergrund, vor allem im Bereich der multilateralen Zusammenarbeit in Energie- und Rohstofffragen (Dok 58, dodis.ch/40607 und Dok 185, dodis.ch/40610). Eine Teilnahme am «Nord-Süd-Dialog» zwischen Industriestaaten und (rohstofffördernden) Entwicklungsländern wurde als vordringlich erachtet, «da die Schweiz weder in den Vereinten Nationen noch in den Institutionen von Bretton Woods Sitz und Stimme besitzt» (Dok. 184, dodis.ch/40609). «Insbesondere aus ihrem Neutralitätsstatut» wies die Schweiz nun auch ein Interesse für die von «Drittweltländern» dominierte Bewegung der Blockfreien auf (Dok. 165, dodis.ch/38984).

Fremder Richter UNO?

Allerdings warf die Energiekrise auch einen Schatten auf die Entwicklungszusammenarbeit. Mit Blick auf die öffentliche Meinung deklarierte Pierre Graber, der Vorsteher des EPD, im März 1974 «klar, dass er künftig seine Einwilligung an jedes neue Projekt verweigern würde, das in der ‹geographischen Zone der erdölfördernden Länder angesiedelt sei›» (Dok. 74, dodis.ch/38300). Gegenüber «Schwarzafrika» blieb das Verhältnis wegen der engen Kontakte zum südafrikanischen Apartheid-Regime delikat, die mittlerweile selbst von den eigenen Diplomaten kritisiert wurden, die eine «besser ausbalancierte Afrika-Politik» forderten (Dok. 100, dodis.ch/38893). Hier offenbarten sich insbesondere zwischen EPD und EVD erhebliche Diskrepanzen (Dok. 162, dodis.ch/38916). In der Frage der Wirtschaftssanktionen gegen Rhodesien fürchtete das Aussenministerium, dem Druck der UNO nachzugeben, um diese nicht «in den Augen der schweizerischen Öffentlichkeit [...] zu einer Art fremden Richters» zu stilisieren und so «den unterschwelligen Widerstand in der Bevölkerung gegen den UN-Beitritt» zu nähren (Dok.183,  dodis.ch/40605).

Währungsschlange und EMRK

Noch vor der Energiekrise erschütterte im Januar 1973 die Aufgabe des fixen Wechselkurses die Finanzmärkte (Dok. 3, dodis.ch/39503). Das «freie floaten» des Frankens konnte allerdings kein «Dauerzustand» sein (Dok. 7, dodis.ch/39504), zumal die Währung vermehrt für internationale Finanztransaktionen verwendet wurde (Dok. 117, dodis.ch/39505). Der Bundesrat disktutierte deshalb den Beitritt der Schweiz zur Europäischen Währungsschlange (Dok. 141, dodis.ch/39506). Die Beziehungen zur Europäischen Gemeinschaft blieben vor allem in Wirtschaftsfragen dominant, wo Bern verhindern wollte, «dass wir in Situationen geraten, wo die Entwicklung der Gesetzgebung der Gemeinschaft als zwingendes Element unserer Politik erscheint» (Dok. 173, dodis.ch/39512). Die durch die Nicht-Mitgliedschaft bei den EG «fehlenden Mitsprache- und Einflussmöglichkeiten» wurden mancherorts als «frustrierend» erlebt. Allgemein war sich das Aussenministerium bewusst, dass die schweizerische Politik «immer stärker komplementär zu externen Umständen und Einflüssen» werde (Dok. 18, dodis.ch/40541), wovon auch der Beitritt zur Europäischen Menschenrechtskonvention (Dok. 107, dodis.ch/39382) zeugte.

Schlussakte von Helsinki und KSZE-Prozess

Ein weiteres zentrales Thema in dem vorliegenden Band ist die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Die durch den Verhandlungsprozess in Gang gesetzten Dynamiken eröffneten der schweizerischen Diplomatie im Bereich der multilateralen Europapolitik gänzlich neue Möglichkeiten. Bereits bei den Vorverhandlungen in Helsinki (Dok. 32, dodis.ch/38816) sowie bei den zähen Hauptverhandlungen in Genf (Dok. 57, dodis.ch/38848 und Dok. 89, dodis.ch/38858) konnte sich die schweizerische Delegation, gemeinsam mit den anderen europäischen Neutralen, durch Vermittlerdienste und Lösungsvorschläge konstruktiv profilieren. Bundespräsident Graber zog anlässlich der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte in Helsinki 1975 eine zwar durchzogene, aber dennoch zuversichtliche Zwischenbilanz (Dok. 158, dodis.ch/38867). Die Teilnahme an der Konferenz bot nicht zuletzt auch neue Chancen für den bilateralen Austausch auf höchster Ebene, etwa mit dem französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing oder mit DDR-Parteichef Erich Honecker (Doc. 160, dodis.ch/38322).

Neue Märkte im Osten?

Durch die KSZE und die allgemeine Entspannungspolitik kam es zu vermehrten Kontakten zum kommunistisch regierten Osteuropa. Volkswirtschaftsminister Brugger war 1973 nach Moskau gereist, um für die Energie- und Exportwirtschaft engere Bande zur Sowjetunion zu knüpfen (Dok. 34, dodis.ch/38769). Verkehrsminister Willi Ritschard bemühte sich 1975 seinerseits, vor Ort über sowjetische Erdgasbezüge zu verhandeln (Dok. 143, dodis.ch/38768). Auch für die Exportindustrie war die Diversifizierung von Absatzmärkten das neue Zauberwort. Dass etwa auch China «mit seinen 800 Millionen potentiellen Kunden» als «zukünftiger Handelspartner der Schweiz» hoch gehandelt wurde (Dok. 137, dodis.ch/37700), unterstreichen die Besuche der Bundesräte Graber (anlässlich der ersten schweizerischen Industrie- und Technologieausstellung in Peking 1974) und Ritschard sowie weiterer prominenter Gäste (Dok. 153, dodis.ch/37707). Dass die Schweiz in China «in» zu sein schien, weckte Hoffnungen (Dok. 178, dodis.ch/37717).

Image-Probleme

Mit ihren «Guten Diensten» zur Mässigung des Konflikts zwischen Indien und Pakistan war die Schweizer Diplomatie ein «wichtiges Rädchen» gewesen (Dok. 43, dodis.ch/39413). Es gab aber auch immer wieder schlechte Schlagzeilen: «Eine gewisse Propaganda, die gerade in den Vereinigten Staaten Triumphe feiert, hat sich die schweizerischen Banken als Lieblingsobjekte ausgesucht, um darzulegen, dass unsere Finanzinstitute ideale Voraussetzungen für illegale, ja verbrecherische Manipulationen aller Art bieten» (Dok. 109, dodis.ch/38960). Auch die «Überfremdungsinitiativen» schadeten dem Ruf des Landes, insbesondere in den Herkunftsländern fremder Arbeitskräfte: «Unserer Bemühung um Solidarität und Zusammenarbeit setzen sie das Bild eines übersteigerten, fortschritts- und fremdenfeindlich gefärbten Nationalismus entgegen» (Dok. 86, dodis.ch/38402). Eine neu geschaffene Koordinationskommission, die spätere «Präsenz Schweiz», sollte «allgemeine Propagandakampanien für die Schweiz im Ausland» lancieren (Dok. 135, dodis.ch/40560).

Angst vor dem Volk?

Nach dem Putsch gegen Salvador Allende in Chile 1973 (Dok. 82, dodis.ch/38253) prangerte Max Frisch in einem offenen Brief an den Bundesrat heftig die Asylpolitik gegenüber den Verfolgten der Militärjunta an (Dok. 69, dodis.ch/38268). Auch das Ende des Franco-Regimes in Spanien (Dok. 191, dodis.ch/39095) oder der politische Umsturz in Äthiopien (Dok. 119, dodis.ch/38887) wirkten sich auf die Schweiz aus. Angesichts der «wachsenden Bedeutung der Aussenpolitik auch für die Schweiz» beschäftigten sich die Spitzen der Diplomatie mit der «leidigen Frage, wie eine gradlinige, von den Landesinteressen bestimmte Aussenpolitik trotz der wechselnden Emotionen des Parlamentes und des Volkes durchgesetzt werden kann» und wie «im Schweizervolk» das Interesse «für aussenpolitische Probleme, für das Ernstnehmen dieser Probleme» geweckt werden könne. Fazit: «Es sollte nicht zu einem aussenpolitischen Interessenverzicht aus Angst vor dem Volk kommen» (Dok. 148, dodis.ch/34236).

09. 04. 2018