Classement thématique série 1848–1945:
2. RELATIONS BILATÈRALES
2.1. ALLEMAGNE
2.1.2 RELATIONS POLITIQUES
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 14, doc. 132
volume linkBern 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#379* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 185 | |
Dossier title | Köln, Konsularbericht, Band 5 (1940–1941) |
dodis.ch/47318
Nach einer relativ längeren Ruhepause ertönten diese Nacht in Köln um 4.30 Uhr plötzlich wieder einmal die Sirenen. Die fremden Flieger, die kurz darauf erschienen, wurden wie stets bis dahin heftig beschossen. Soviel ich hörte, sind verschiedene Bomben gefallen. Welchen Schaden sie angerichtet haben, konnte ich bis jetzt noch nicht erfahren. Der Alarm dauerte bis 6.15 Uhr.
Dass die hiesigen Behörden mit weitern Luftangriffen rechnen, geht daraus hervor, dass mit grösster Eile an der Errichtung von ausserordentlich umfangreichen, öffentlichen Luftschutzräumen gearbeitet wird, und zwar besonders in allernächster Nähe des Domes, wo die Arbeit auch am Sonntag nicht unterbrochen wird. Ferner werden überall Privatluftschutzkeller eingerichtet.
Wie von verschiedenen Seiten angedeutet worden war, sollten die gegen die Juden getroffenen Massnahmen eine gewisse Milderung erfahren. Diese Anordnungen werden jedoch immer strenger gehandhabt. Am vergangenen Freitag ist wiederum ein Transport von 1000 Juden von Köln abgegangen. Dieser Transport war für Riga bestimmt, wo ein grosser Mangel an Arbeitskräften bestehen soll. Nach wie vor müssen die zwangsweise abgeschobenen Juden alles verlassen. Auch die drei Familien, die ich in meinem letzten Bericht2 erwähnte, mussten die Reise antreten, nachdem die in ihren Pässen eingetragenen Sichtvermerke bzw. Visa von der Gestapo als ungültig erklärt worden waren.
Die Behandlung, die den Juden im Osten zuteil wird, soll einfach jeder Beschreibung spotten. Der Gatte einer mir bekannten Dame, der aus der Nähe von Petrograd über Warschau nach hierher kam, hatte in der letztgenannten Stadt Aufenthalt. Er liess sich dazu verleiten, das dortige Ghetto aufzusuchen. Wie mir seine Frau sagte, war das, was er dort sah, so fürchterlich, dass er ihr nicht alles erzählen konnte. Leichen von Kindern und auch von Erwachsenen lagen auf der Strasse, von wo sie später von der Müllabfuhr abgeholt wurden. Ich wollte diesen Angaben zuerst selbstverständlich keinen Glauben schenken. Am vergangenen Samstag3 erhielt ich jedoch den Besuch des gleichen Grossindustriellen, mit dem ich im vergangenen Juli von Freiburg nach Köln zurückgefahren war, nachdem ich unsere Ferienkinder nach der Schweiz begleitet hatte. Dieser Bekannte kam gerade aus Berlin, wo er wichtige Besprechungen gehabt hatte. Von sich aus erzählte er, wie schrecklich die Zustände in den jüdischen Vierteln von Lods und Minsk und auch in Polen seien. Die dortigen Juden sterben vor Hunger buchstäblich wie Fliegen. Die Leichen werden nachts nur dürftig in Papier eingepackt und auf die Strasse gesetzt. Am nächsten Tag werden sie von der Müllabfuhr abtransportiert. Auch schwer kranke Leute, die im Sterben liegen, werden einfach auf die Strasse gebracht, damit sie nicht in ihrer Wohnung enden und eine Desinfektion der betreffenden Räume nicht erforderlich ist. Die Wohnungsinhaber scheuen sich, eine solche vornehmen zu lassen, da sie nicht wissen, ob sie die Wohnung wieder beziehen können. Mein Gewährsmann berichtete mir ferner, dass, wie Sie wahrscheinlich auch wissen, allein in Berlin 12000 Juden, deren Auswanderungspapiere vollständig in Ordnung sind, zurückbehalten werden mussten, um nach dem Osten transportiert zu werden. Dort verlangt man von diesen zwangsweise Abgeschobenen, die ohne jegliche Barmittel sind, RM 1.80 für ein Pfund Kartoffeln, RM 80.- für einen Zentner Kohlen und RM 300.- für ein paar Schuhe. Sie sollen im Monat zwei Brote erhalten. Wie ich weiter vernahm, habe die Gestapo kürzlich eine Verfügung erlassen, wonach für Juden keine Krankheitsatteste mehr ausgestellt werden dürften.
In Militär- und Regierungskreisen soll man, nach Aussagen meines Gewährsmannes, die militärische und wirtschaftliche Lage als sehr schwarz ansehen. Mein Bekannter sagte mir ferner, dass mit dem baldigen Eintritt in den Krieg seitens Japans gerechnet würde. Um sich zu entlasten, würde Deutschland einen Druck daraufhin ausüben. Der Kriegseintritt Japans ist inzwischen geschehen.
[...]4
Als ich vorgestern von einer Einladung bei Herrn Generalkonsul Siedersleben zurückkam, an der auch der Stadtkommandant von Köln, Oberst Lämmerhirt, teilgenommen hatte, hörte ich, dass ich inzwischen von nicht weniger als sechs Landsleuten angerufen worden sei, die mich in einer höchst wichtigen Angelegenheit sprechen wollten, die nicht am Telephon zur Sprache gebracht werden könnte. Ich begab mich sofort zu einem derselben, der mir die Frage stellte, ob es wahr sei, dass bereits deutsche Truppen in die Schweiz eingedrungen seien. Es war mir nicht schwer, diese besorgten Landsleute zu beruhigen. Wenn ich Ihnen darüber berichtet habe, so geschah dies bloss deshalb, um zu zeigen, wie in den heutigen bewegten Zeiten die unsinnigsten Gerüchte Fuss fassen können.
In letzter Zeit werden unsere hiesigen Landsleute im Gegensatz zu früher vom Bund der Schweizer in Grossdeutschland (Bundesleiter: Otto Alfred Lienhard, Ludwigsburg (Württ.), Schorndorferstrasse 42) mit Rundschreiben bombardiert. Ich erlaube mir, Ihnen ein Exemplar davon zur gefälligen Kenntnisnahme zuzustellen. Auch erhielten unsere Landsleute ein sogenanntes Manifest der Nationalsozialisten in der Schweiz. Von diesem Manifest möchte ich Ihnen ebenfalls ein Exemplar ohne Kommentar zukommen lassen.
Die deutsche Reichspost hat durch ihre Zensur z. B. sogar ein harmloses Rundschreiben dieses Konsulats betreffend Verteilung von Lebensmitteln, das an unsere hiesigen Landsleute gerichtet war, tagelang angehalten, bis sie es den Adressaten zustellen liess. Dass eine deutsche staatliche Institution wie die Reichspost dann aber solche schmutzige Elaborate, wie die obenerwähnten Manifeste usw., die ein ganzes Volk, eine ganze Nation mit ihren höchsten Vertretern in der gemeinsten Weise beleidigen, ohne weiteres befördert, ist wirklich himmeltraurig.
Die allgemeine Stimmung ist hier nach wie vor ausserordentlich düster. Die in Aussicht genommene Verringerung der Lebensmittelrationen und vor allen Dingen die überall bestehende Warenknappheit, welche einfach katastrophale Ausmasse annimmt, ohne von der Unmöglichkeit zu sprechen, für den nächsten Winter Kartoffeln, das Hauptnahrungsmittel der hiesigen Bevölkerung, einkellern zu können, sorgen für eine sehr trübe Stimmung. Dies gerade vor dem Weihnachtsfest, zu dem hier eigentlich überhaupt nichts käuflich zu erwerben ist. Kinderspielzeug, Gegenstände aus Leder und die tausend ändern Sachen, die sonst zum Weihnachtsfest angeboten wurden, sind gar nicht zu bekommen.
Wie ich soeben von einem Landsmann, der eine grössere Belegschaft hat, vernahm, erwartet er, wie überhaupt alle Unternehmen, wiederum den Besuch einer Kommission, die die Betriebe «auskämmen» soll, müssen doch noch viel mehr Wehrpflichtige ausgehoben werden.
- 1
- Rapport (Copie): E 2300 Köln/5-6/185. Le 12 décembre, Frölicher transmet ce rapport à la Division des Affaires étrangères du Département politique, avec une simple lettre d’accompagnement sur laquelle Pilet-Golaz écrit: A considérer comme confidentiel et ne doit en rien apparaître dans le bulletin d’information. 18.12.41. Sur le Bulletin d’information interne du DPF, cf. E 2001 (D) 2/28, E 2001 (D) 3/21-24 et 659.↩
- 2
- Dans son rapport (non reproduit) du 19 novembre 1941 à Frölicher, von Weiss écrit: Hiermit beehre ich mich, Ihnen mitzuteilen, dass ich glaubte, mich in drei besonders gelagerten Fällen an die Eidgenössische Fremdenpolizei in Bern wenden zu sollen, um die Ermächtigung zu erhalten, Reisepässe von Nichtariern die sich nach Übersee begeben wollten, mit Transitvisa versehen zu können. [...] Ich hoffe, dass Sie meine Handlungsweise in dieser Angelegenheit, die einzig und allein von Gründen der Menschlichkeit diktiert wurde, gutheissen werden. F. von Weiss rédige plusieurs rapports, non reproduits, sur les persécutions antisémites. De plus, le 14 mai 1942, il écrit une lettre manuscrite au Colonel R. Masson: Je me permets de vous faire parvenir ci-joint, à titre strictement confidentiel, quelques photographies prises sur le front russe. L’une représente l’exécution de Polonais, les autres montrent la sortie de wagons allemands de cadavres de juifs après avoir été asphyxiés (E 27/9564). La photographie de 6 Polonais exécutés par pendaison et 5 photographies de cadavres de juifs asphyxiés sont classées Geheim! - SECRET! par le Service de Sécurité et de Renseignements de l’EMG.↩
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