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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 26, doc. 108
volume linkZürich/Locarno/Genève 2018
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2003A#1988/15#1762* | |
Old classification | CH-BAR E 2003(A)1988/15 842 | |
Dossier title | Adhésion de la Suisse (1973–1975) | |
File reference archive | o.735.41 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#J1.223#1000/1318#234* | |
Old classification | CH-BAR J 1.223(-)1000/1318 31 | |
Dossier title | Beitritt der Schweiz zu den Institutionen von Bretton Woods (1947–1982) | |
File reference archive | 3.06.6 |
dodis.ch/38470 Interne Notiz der Direktion für Völkerrecht des Politischen Departements1 BEITRITT DER SCHWEIZ ZU DEN INSTITUTIONEN VON BRETTON WOODS2
1. Der Rechtsdienst der Eidgenössischen Finanzverwaltung kommt in einer Studie3 zum Schluss, dass der Beitritt der Schweiz zum Internationalen Währungsfonds4 (IWF) dem obligatorischen Referendum zu unterstellen wäre, «weil es sich um den Beitritt zu einer supranationalen Organisation handelt, welche die Handlungsfreiheit in einem wesentlichen Souveränitätsbereich beschneidet». Er empfiehlt, diese Frage aber noch der Völkerrechtsdirektion zur Begutachtung zu unterbreiten.
2. Die Völkerrechtsdirektion kann der Auffassung der Finanzverwaltung nicht beipflichten. Es handelt sich nämlich beim IWF nicht um eine jener Organisationen, welche üblicherweise als supranational bezeichnet werden.
a) Der Begriff der Supranationalität ist umstritten. Die meisten internationalen Organisationen verfügen über gewisse selbständige Befugnisse zu Lasten ihrer Mitglieder, ohne dass sie deshalb supranational wären. Als supranational werden in der Regel Organisationen bezeichnet: – mit Organen aus unabhängigen Personen, die nicht an Instruktionen der
Regierung ihres Heimatstaates gebunden sind; – mit Organen, die ihre Befugnisse durch Mehrheitsbeschluss und nicht
gemäss dem Einstimmigkeitsprinzip ausüben; – deren Entscheide direkt in Kraft treten und für Einzelpersonen unmittelbar
verbindlich sind; – deren materielle Befugnisse relativ umfassend sind5.
Alle vier Kriterien müssen zugleich vorhanden sein, was z. B. bei den Europäischen Gemeinschaften zutrifft. Der IWF kann nach dieser Umschreibung nicht als supranationale Organisation gelten. Zwar sehen seine Statuten in gewissen Fällen Mehrheitsbeschlüsse vor, doch finden sich entsprechende Bestimmungen auch bei andern klassischen internationalen Organisationen, z. B. bei der UNESCO, beim Internationalen Arbeitsamt und bei der Weltgesundheitsorganisation. Bei den wichtigen Fragen, welche nach den Statu - ten des IWF mit Mehrheitsbeschluss entschieden werden, ist die Praxis der Mitgliedstaaten im übrigen vom Wortlaut der Statuten abgegangen (Art. IV Ziff. 5 lit. b). Davon abgesehen existieren Ausnahmeklauseln (z. B. Art. IV Ziff. 5 lit. f).
b) Selbst wenn es sich beim IWF um eine supranationale Organisation handeln würde, unterstände der Beitritt dazu nach heute geltendem Recht nicht dem obligatorischen Referendum. Entsprechendes ist in der Verfassung nicht vorgesehen. In der Doktrin wird zwar die Auffassung vertreten, ein solcher Beitritt müsste Volk und Ständen vorgelegt werden, und der Entwurf des EPD zu einer Botschaft des Bundesrates über die Neuordnung des Staatsvertragsreferendums enthält einen entsprechenden Vorschlag. De lege lata besteht aber keine solche Verpflichtung. Die Praxis kennt nur zwei Entscheide, welche gleichwohl Volk und Ständen unterbreitet wurden. Es handelte sich um den Beitritt zum Völkerbund6 und um die Abkommen mit den Europäischen Gemeinschaften7. In beiden Fällen waren es politische und nicht rechtliche Gründe, welche Bundesrat und Parlament bewogen, die Zustimmung von Volk und Ständen einzuholen.
3. Zusammenfassend kommen wir zum Schluss, dass ein eventueller Beitritt der Schweiz zum IWF nach heute geltendem Recht nicht dem obligatorischen Referendum zu unterstellen wäre.
4. Zur Frage, ob der Beitritt zu den Institutionen der Weltbankgruppe dem fakultativen Referendum untersteht, haben wir uns für den Augenblick nicht zu äussern. Dieser Problemkreis wird zu gegebener Zeit geprüft und insbesondere eingehend abgeklärt werden müssen, wie lange bei jeder dieser Institutionen die unauflösbaren Vertragsverpflichtungen der Schweiz dauern8.
- 1
- Notiz: CH-BAR#E2003A#1988/15#1762* (o.735.41). Verfasst von J. Stähelin und unterzeichnet von J. Monnier. Kopie an R. Bindschedler, E. Diez, R. Pasche, den Finanz- und Wirtschaftsdienst und die Direktion für internationale Organisationen des Politischen Departements sowie die Justizabteilung des Justiz- und Polizeidepartements.↩
- 2
- Zu den Anfängen der Beziehungen der Schweiz zu den Institutionen von Bretton Woods vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 3, dodis.ch/125.↩
- 3
- Notiz von B. Müller an den Finanz- und Wirtschaftsdienst des Politischen Departements vom 19. September 1974, dodis.ch/48052.↩
- 4
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 88, dodis.ch/38459.↩
- 5
- Fussnote im Originaltext: Vgl. dazu den Entwurf des EPD zu einer Botschaft des Bundesrates über die Neuordnung des Staatsvertragsreferendums. Dieser Entwurf beruht auf den Arbeiten einer Expertenkommission; er sieht für den Beitritt zu supranationalen Organisationen das obligatorische Referendum vor. Vgl. dazu die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Neuordnung des Staatsvertragsreferendums vom 23. Oktober 1974, BBl, 1974, II, S. 1133–1176 sowie Doss. CH-BAR#J1.223#1000/1318#519* (4.05).↩
- 6
- Vgl. dazu DDS, Bd. 7-I, thematisches Verzeichnis: II. La Suisse et la Société des Nations und DDS, Bd. 7-II, thematisches Verzeichnis: I. La Suisse et la Société des Nations. Vgl. ferner DDS, Bd. 25, Dok. 160, dodis.ch/35778, Anm. 15.↩
- 7
- Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 22. Juli 1972, AS, 1972, S. 3115–3318. Vgl. dazu auch DDS, Bd. 25, Dok. 182, dodis.ch/35776.↩
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Questions concerning the Accession to International Organizations