Gespräch Bundesrat Feldmanns mit dem deutschen Minister Holzapfel betreffend die in der Schweiz inhaftierten deutschen Spione aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges.
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 19, Dok. 37
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001E#1970/217#962* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(E)1970/217 60 | |
Dossiertitel | Situation der während des 2. Weltkrieges verhafteten Saboteure und Spione; Frage der Begnadigung (1951–1963) | |
Aktenzeichen Archiv | B.11.43.03 |
dodis.ch/9644 Der Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartements, M. Feldmann, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre1 BETREFFEND UNTERREDUNG MIT DEM DEUTSCHEN MINISTER HOLZAPFEL
Ihrem Wunsche vom 26. November 19522 entsprechend erlaube ich mir, Ihnen nachstehend Kenntnis zu geben von der Unterredung, welche am Samstag, den 29. November, von 10.30–11.30 Uhr zwischen dem Unterzeichneten und dem deutschen Minister Holzapfel stattgefunden hat. Ich rufe in Erinnerung, dass anlässlich eines Mittagessens beim spanischen Gesandten3 Minister Holzapfel den Wunsch nach einer solchen Unterredung aussprach; als Gegenstand dieses Gesprächs bezeichnete er die «berühmte Sache» der noch in der Schweiz inhaftierten deutschen Spione aus der Zeit des zweiten Weltkrieges.
Minister Holzapfel begann seine Darlegungen mit der Feststellung, dass er nicht gekommen sei, um irgend einen formellen «Antrag» zu stellen, sondern er möchte sich lediglich darüber informieren, ob überhaupt irgendwelche Möglichkeiten gegeben seien, in der fraglichen Sache zu irgend einem greifbaren positiven Ergebnis zu gelangen.
Minister Holzapfel legte seinen Standpunkt knapp zusammengefasst wie folgt dar:
In Deutschland wird es als eine anormale, widerspruchsvolle Erscheinung empfunden, dass hohe Offiziere, welche seinerzeit die Befehle zur Durchführung der Spionage in der Schweiz erteilt haben, wieder frei herumlaufen können, während ihre Beauftragten in der Schweiz noch im Gefängnis festgehalten werden. Der deutsche Minister betonte, er anerkenne durchaus, dass die Schweiz als neutraler Staat sich in einer besondern Lage befinde, die in der Behandlung dieser Angelegenheit sich auswirken müsse. Er bezeichne aber doch eine positive Regelung dieser Sache als wünschbar.
Der Unterzeichnete vertrat dem deutschen Minister gegenüber folgenden Standpunkt:
In der Tat befindet sich die Schweiz in der vorliegenden Angelegenheit in einer besondern Lage. Auch die Führung des nationalsozialistischen Deutschland wusste genau, dass das Deutsche Reich von der neutralen Schweiz niemals einen Angriff zu gewärtigen hatte. Trotzdem bereitete das nationalsozialistische Deutschland den Angriff auf die Schweiz vor4. Einen Bestandteil dieser Vorbereitungen bildete die ausgedehnte militärische Spionagetätigkeit gegen die Schweiz. In der Schweiz ist man fest davon überzeugt – meines Erachtens mit Recht – dass bei einem andern, für Hitler günstigen Verlauf der militärischen Entwicklung die Schweiz früher oder später von Deutschland angegriffen worden wäre und um ihre Freiheit hätte kämpfen müssen. In diesem Falle hätte sich dann die von Deutschland systematisch organisierte Spionage ausgewirkt; für diesen Fall war sie berechnet.
Die von deutscher Seite vertretene Auffassung, dass die noch in der Schweiz inhaftierten deutschen Spione auf militärischen Befehl gehandelt hätten, trifft für die grosse Mehrzahl der noch in der Schweiz befindlichen deutschen Spione nicht zu. Es handelt sich vielmehr um Leute, welche in der Schweiz seit Jahren ansässig gewesen sind, ja in einzelnen Fällen in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind und die sich dann zur Spionage gegen ihr Gastland, in dem sie lebten und ihr Brot verdienten, brauchen liessen. Dieser Umstand fällt besonders schwer ins Gewicht bei einem Vergleich mit dem im Laufe des letzten Jahres vorzeitig freigelassenen deutschen Saboteuren. Im weiteren ist nicht zu übersehen, dass die meisten dieser Spione mit Schweizern zusammengearbeitet haben, welche als Landesverräter zum Tode verurteilt und erschossen werden mussten. Ich erinnerte in diesem Zusammenhang Minister Holzapfel daran, dass ich sämtliche geheimen Verhandlungen der Vereinigten Bundesversammlung über die Begnadigungsversuche der zum Tode verurteilten schweizerischen Landesverräter persönlich miterlebt habe, dass ich an diesen Entscheidungen auch beteiligt war und dass keiner, der jene Jahre im eidgenössischen Parlament mit Bewusstsein erlebt hat, sie jemals vergessen kann. Man muss schon aus diesem Grunde verstehen, dass eine vorzeitige Freilassung der mit jenen, von Schweizern mit dem Tode gesühnten Verbrechen verbundenen deutschen Spione auf sehr starke gefühlsmässige Schwierigkeiten stossen muss.
Im fernern verwies ich auf einen weitern erschwerenden Umstand: Wären die gegenwärtigen Zeiten als einigermassen normal zu bezeichnen, d. h. hätte ein wirklicher Friede den Krieg abgelöst, so könnte man mit grösserer Freiheit Restanzen aus der Kriegszeit liquidieren. Die durch den Gang der Weltereignisse gegebene Notwendigkeit, mit besonderer Sorgfalt und Energie über die Wahrung der äussern und innern Sicherheit des Staates zu wachen, muss jedem Versuch entgegenstehen, die in der Vergangenheit zum Schutze des Staates getroffenen Massnahmen nachträglich abzuwerten. Ich gab Minister Holzapfel gegenüber auch meinem Befremden darüber Ausdruck, dass durch Legationsrat Zapp versucht worden sei, in dieser Angelegenheit verschiedene Departemente gegeneinander auszuspielen.
Zusammenfassend umriss ich meinen Standpunkt, den ich ausdrücklich und wiederholt als meinen persönlichen Standpunkt bezeichnete, in folgender Weise:
Mit Rücksicht auf die Ereignisse der Vergangenheit, die gegenwärtigen Zeitverhältnisse und die besondern persönlichen Umstände, die bei den noch inhaftierten deutschen Spionen vorliegen, muss die Frage einer vorzeitigen Freilassung äusserst behutsam behandelt werden. Ein unvorsichtiges Vorgehen, das den Bundesrat dem Vorwurf aussetzen müsste, aus diplomatischer Gefälligkeit elementare Erfordernisse des Staatsschutzes zu verkennen, könnte in der schweizerischen öffentlichen Meinung eine derart heftige Reaktion auslösen, dass jede weitere konstruktive Behandlung des Problems gewissermassen blockiert wäre. Wem es um eine möglichst konstruktive und positive Gestaltung der schweizerisch-deutschen Beziehungen zu tun ist, muss darauf Bedacht nehmen, nicht durch irgendwelche Forcierungen des fraglichen Problems neue Belastungen zu schaffen. Diese Überlegung ist umso eher gerechtfertigt, als sich die Regierung der deutschen Bundesrepublik im vorliegenden Falle für Delinquenten verwendet, die in sehr exponierter Weise für das nationalsozialistische Deutschland tätig gewesen sind.
Minister Holzapfel dankte in seiner Antwort für die freimütige Darlegung meines Standpunktes; er erklärte dabei, für diesen Standpunkt besitze er schon deshalb volles Verständnis, weil er persönlich davon überzeugt sei, dass Hitler, wenn er militärisch dazu in der Lage gewesen wäre, über kurz oder lang auch die Schweiz überfallen hätte. Der Minister erklärte wörtlich: «Dieser Mann (Hitler) war derart verblendet und grössenwahnsinnig, dass auch dies ihm zuzutrauen gewesen wäre.»
Minister Holzapfel verwies sodann auf die komplizierte innere Situation in Deutschland; er äusserte ernsthafte Besorgnisse über die weitere Entwicklung sowohl nach der kommunistischen wie nach der rechtsextremen Seite. Die Widerstandskraft Westdeutschlands gegenüber dem Kommunismus machte er abhängig von der Frage, ob es gelingen werde, mit demokratischen Mitteln die wirtschaftlich-sozialen Probleme zu lösen; diesen wirtschaftlichsozialen Problemen gegenüber ist seines Erachtens die Frage nach der Unterzeichnung des «Generalvertrages» von sekundärer Bedeutung5. In der Richtung rechtsextremer Gefahren verwies Minister Holzapfel darauf, dass die rechtsextremen Gruppen (gemeint waren Gruppen mit nationalsozialistischer Tendenz) ihren Agitationsstoff nicht zuletzt aus der unabgeklärten Frage der deutschen Spione in der Schweiz schöpfen; es gehe ihm in erster Linie auch darum, diesen Agitationsstoff zu beseitigen. Abschliessend stellte Minister Holzapfel die Frage, wie nun weiter vorgegangen werden solle; ich empfahl ihm, für alles Weitere mit dem für die Behandlung dieser Angelegenheit in erster Linie zuständigen Politischen Departement zu verhandeln6.
- 1
- Schreiben (Kopie): E 2001(E)1970/217/60.↩
- 2
- Vgl. das Schreiben von M. Petitpierre an M. Feldmann vom 26. November 1952. Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Duc de San Lucar la Mayor.↩
- 4
- Vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 108, dodis.ch/5280(dodis.ch/5280).↩
- 5
- Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 3, dodis.ch/9646.↩
- 6
- Vgl. die Notiz von M. Petitpierre vom 9. Dezember 1952, E 2800(-)1990/106/19 (dodis.ch/9645).↩
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