Die Schweiz sollte ihren Beitrag an den Kinderhilfsfonds aufgrund ihrer humanitären Verpflichtung nicht von den Beiträgen anderer Länder abhängig machen, da dadurch die angesehene Stellung der Schweiz Schaden leiden könnte. Daraus könnten Eingriffe in die schweizerische Haltung resultieren. Die Schweiz soll die Beitragshöhe für ihre Solidaritätsaktionen selber bestimmen.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 18, doc. 101
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2003-04#1000/123#185* | |
Old classification | CH-BAR E 2003-04(-)1000/123 20 | |
Dossier title | Contributions / FISE (1949–1951) | |
File reference archive | F.03.2 |
dodis.ch/8704 Der schweizerische Legationsrat bei der schweizerischen Gesandtschaft in London, A. R. Lindt, an den Chef der Abteilung für Internationale Organisationen des Politischen Departements, Ph. Zutter12
Ich danke Ihnen für Ihren Brief vom 18. Juni3, welcher den Vorschlag der Eidgenössischen Finanzverwaltung zum Gegenstand hat, den schweizerischen Beitrag an UNICEF abhängig von den Beiträgen, berechnet auf den Kopf der Bevölkerung, der anderen westeuropäischen Staaten zu machen.
Darf ich mich hierzu folgende Bemerkungen erlauben:
1.) An und für sich ist es sicher wünschenswert, einen Schlüssel für die Beitragsleistung der Schweiz an UNICEF zu finden. Meines Erachtens sollte dieser Schlüssel in erster Linie bestimmt werden durch das politische und humanitäre Interesse der Schweiz an einer Organisation, die nicht eine «specialized agency», sondern ein integrierender Bestandteil der Vereinigten Nationen ist. Der Vorschlag der Finanzverwaltung sucht aber das Kriterium nicht in unserer eigenen Politik, sondern in Beiträgen anderer westeuropäischer Staaten, die von unserem Willen vollständig unabhängig sind und durch politische, wirtschaftliche und egoistische Überlegungen bestimmt werden, die von den schweizerischen durchaus verschieden sind. Ich erwähne nur den Umstand, dass hilfeempfangende Länder ihren Beitrag sehr stark nach der erhaltenen oder nach der zu erhoffenden Hilfe UNICEF’s einschätzen.
Länder, die an UNICEF besonders interessiert sind – ich nenne die Vereinigten Staaten, Australien, Kanada –, erwarten von der Schweiz, dass sie in ihrer Beitragspolitik eine selbständige Haltung einnimmt. Dass die Schweiz ihren Beitrag von Beiträgen anderer Länder abhängig machen würde, liesse gewisse Zweifel daran aufkommen, ob die Schweiz wirklich eine eigene humanitäre Politik befolge4.
2.) Der Berechnung des schweizerischen Beitrages auf Grund der Jahresbeiträge anderer Regierungen haftet etwas Starres und Künstliches an. Ist es gerechtfertigt, das Mittel der Beiträge pro Kopf der Bevölkerung zu errechnen, ohne zwischen «contributing countries», die keine Hilfe empfangen, und «receiving countries», die auch einen Beitrag leisten, zu unterscheiden? Würde es tatsächlich als angebracht betrachtet werden, dass die neutrale und kriegsverschonte Schweiz das Doppelte dieses errechneten Mittels aufbringen würde? Ein Fall sei herausgegriffen: Auch bei der Weglassung Westdeutschlands würde sich der Beitragsschlüssel so auswirken, dass die Schweiz kaum mehr als das kriegsgeschädigte Norwegen zahlen würde. Würde Norwegen nicht den schweizerischen Beitrag als unangemessen betrachten5? Ein zweiter Fall: Grossbritannien macht immer wieder geltend, dass seine direkte Beitragsleistung an den Fonds deshalb verhältnismässig klein sei, da es grosse Beiträge an UNRRA geleistet und deshalb zur Grösse der Liquidationsdividende beigetragen habe, die UNICEF zugekommen ist. Die Schweiz aber habe sich an der UNRRA kaum beteiligt.
Ich fürchte, dass die vorgeschlagene Matching Formel6 unerquicklichen Diskussionen rufen wird: Entspricht es der besonderen Stellung der Schweiz, wenn sie das Doppelte eines Mittels zahlt, das aus den Beiträgen lediglich kriegsgeschädigter Länder errechnet wird?
3.) Die vorgeschlagene Matching Formel bezieht sich ausdrücklich nur auf westeuropäische Staaten. Die Eidgenossenschaft gehört nicht dem Europarat an. Es muss deshalb etwas befremden, dass sie die Matching Formel auf westeuropäische Staaten beschränkt7. Kann es vom Neutralitäts-Standpunkt aus verantwortet werden, osteuropäische Staaten, falls diese neue Beiträge an UNICEF leisten sollten, nicht zu berücksichtigen? Die Schweiz kämpft für die internationale Geltung der humanitären Grundsätze8. Es ist deshalb schwer verständlich, warum nur die Beiträge der westeuropäischen Staaten und nicht aller übrigen Länder wegweisend sein sollten.
4.) Dass die Schweiz, dem grossen amerikanischen Beispiel folgend, nun ebenfalls eine Matching Formel aufstellen will, kann zu hämischen Bemerkungen Anlass geben. Auch ist klarzustellen, dass die vorgeschlagene schweizerische Matching Formel sich vom amerikanischen Beispiel insofern unterscheidet, als die Vereinigten Staaten wenigstens einen bestimmten Betrag aussetzen, indes der schweizerische Betrag einzig und allein bedingt ist durch die Beitragsleistung der anderen westeuropäischen Länder.
Wenn daran festgehalten werden sollte, einen festen Schlüssel für das Ausmass des schweizerischen Beitrages aufzustellen, was ich grundsätzlich für falsch halte, so wäre es wohl besser, auf die Beiträge derjenigen Staaten der ganzen Welt abzustellen, die keine Hilfe empfangen. Diese Formel hätte wenigstens den Vorteil, dass sie politisch unverfänglich ist und, von England abgesehen, die kriegsgeschädigten Länder ausser Betracht lässt.
Richtiger würde es mir jedoch erscheinen, wenn die Schweiz fortfahren würde, das Ausmass ihres Beitrages an UNICEF in voller Selbstverständlichkeit auf Grund ihrer eigenen Einschätzung des Wertes der Arbeit des Kinderfonds zu bemessen9. Die Schweiz nimmt unter den beitragsleistenden Nationen eine sehr angesehene Stellung ein. Ihr Beitrag, berechnet auf den Kopf der Bevölkerung, ist nicht der höchste unter diesen Ländern. Das besondere Interesse, das die Schweiz humanitärer internationaler Arbeit zuschreibt, rechtfertigt es, wenn die Schweiz ihren gegenwärtigen Platz unter den beitragsleistenden Nationen behaupten kann. Aus dieser Überlegung drängt sich ein neuer schweizerischer Beitrag von 1 Million Schweizerfranken10 auf.
- 1
- Handschriftliche Anmerkung von Ph. Zutter an H. Cramer vom 2. Juli 1951: Cette lettre ne me persuade pas entièrement. Je continue plutôt à trouver de la valeur à la solution Iklé. Les arguments de Lindt ne sont pas très convaincants et nous ne devons pas cultiver un complexe de culpabilité parce que nous n’avons pas eu la guerre. Cramer hebt im folgenden verschiedene Aussagen des Schreibens hervor und notiert am Seitenrand seine Kommentare.↩
- 2
- Schreiben: E 2001-04(-)-/6/20.↩
- 3
- Nicht abgedruckt.↩
- 4
- Handschriftliche Anmerkung: Ja, ev.↩
- 6
- Die USA waren nur bereit, ihre Beitragsleistung im Verhältnis 2,5 zu 1 aufrechtzuerhalten, wenn ausseramerikanische Staaten weiterhin dem UNICEF genügend hohe Summen zur Verfügung stellten. Vgl. das Schreiben von Ph. Zutter an M. Iklé vom 1. März 1951. Nicht abgedruckt.↩
- 7
- Handschriftliche Anmerkung: werden berücksichtigt.↩
- 8
- Vgl. Thematisches Verzeichnis in diesem Band: Humanitäre Hilfe.↩
- 9
- Handschriftliche Anmerkung: Ja, klar.↩
- 10
- Handschriftliche Anmerkung: pro Jahr.↩
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