Die USA berufen eine Konferenz aller Aussenminister Amerikas ein. Eines der Hauptziele stellt die Mobilisierung der lateinamerikanischen Staaten gegen den Kommunismus sowohl im Innern als auch gegen aussen dar.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 18, doc. 89
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#874* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 387 | |
Dossier title | Rio de Janeiro, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 8 (1948–1955) |
dodis.ch/8684 Der schweizerische Gesandte in Rio de Janeiro, E. Feer, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre1 MOBILMACHUNG SÜDAMERIKAS GEGEN DEN KOMMUNISMUS
Schon einige Wochen bevor Herr Neves da Fontoura, der neue brasilianische Kanzler im Kabinett Vargas2, nach Washington verreiste, um sein Land an der IV. Konferenz der amerikanischen Aussenminister zu vertreten, sagte er mir, im Mittelpunkt der Diskussionen würde die Frage stehen, mit welchen gemeinsamen Massnahmen die Länder der panamerikanischen Union3 der kommunistischen Gefahr entgegentreten sollen. Auf der amerikanischen Botschaft sah man das Programm von Washington von einem anderen Gesichtswinkel aus. Das nordamerikanische Stichwort für die Zusammenkunft von Washington war schon einige Wochen früher von Herrn Edward Miller Jun., Assistant Secretary of State for Interamerican Affairs, gegeben worden, der in einer Rundreise, die gerade der Vorbereitung dieser Konferenz galt, alle südamerikanischen Hauptstädte aufgesucht hat. Seit dieser Rundreise Millers, der ein energischer und kluger Kopf ist, ist es kein Geheimnis mehr, dass die offiziellen Kreise in Washington über die militärische Hilfe, die man im Kriege gegen die nordkoreanische Aggression4 von den südamerikanischen Partnern bis jetzt erhalten hat, bitter enttäuscht sind. Südamerika verlange immer nur wirtschaftliche Hilfe und handelspolitisches Entgegenkommen, Ausdehnung des Marshallplanes auf die lateinischen Nachbarn, vermehrte Kreditgewährungen durch die Export-Importbank, usw., aber von Gegenleistungen, die nicht gerade die Form der Entsendung von Truppen annehmen müsste, höre man nichts. Washington sei diesmal entschlossen, mit allem ihm zur Verfügung stehenden Nachdruck, nicht nur im Rahmen der Vereinigten Nationen einen positiven Beitrag seiner südamerikanischen Partner im Kampf gegen den Weltkommunismus zu verlangen, sondern auch im Felde der panamerikanischen Union. Eine Mobilmachung Südamerikas gegen den Kommunismus sei umso wichtiger als diese Länder in Lake Success ja über 21 Stimmen verfügen, mit denen sie in allen wichtigen Entscheidungen leicht den Ausschlag geben können.
Nun hat ja diese IV. Konferenz der amerikanischen Aussenminister bereits begonnen und Staatssekretär Acheson hat in seiner klaren Eröffnungsrede die drei Hauptpunkte des Programms herausgeschält. Sie sind:
1. Möglichst rasch die Verteidigung des amerikanischen Kontinents zu organisieren, wobei auch die Frage der Bildung einer panamerikanischen Armee sozusagen als mobile Polizeitruppe gegen den Kommunismus geprüft werden soll.
2. Massnahmen im Kampf gegen den Kommunismus im Innern.
3. Bewirtschaftung der produktiven Kräfte des Kontinents, im Hinblick auf diesen politischen Kampf, wobei die USA den schwächeren Partnern Garantien geben will, dass sie das Risiko aus forcierten Produktionserweiterungen späterhin, wenn sich die Weltlage wieder beruhigt hat, mit den Lieferländern teilen will. Diese Garantie ist für einen Kontinent, dessen Export immer noch zu 90% aus Rohstoffen besteht, besonders wichtig.
Obschon die Konferenz von Washington ein epochemachendes Programm aufweist und geeignet sein könnte, einen Wendepunkt in der panamerikanischen Politik darzustellen, ist man hier geneigt, nicht zu viel von ihr zu erwarten. Als militärpolitischer Faktor ist Südamerika, wenn man die Kräfteverteilung zwischen Moskau und seinen Satelliten einerseits und der «partnership of the free world», wie sie Acheson bezeichnet hat, andererseits betrachtet, erbärmlich schwach. Die Nordamerikaner selbst meinen, es sei besser, in Korea keine südamerikanischen Truppen zu haben, weil schon jetzt das Volksgemisch und die Verschiedenheit der Ausbildung und der Bewaffnung die Einheitlichkeit in der strategischen Führung erschwere. Dagegen sind die südamerikanischen Länder natürlich in der Lage, an die Lebensmittelversorgung der Truppen und unter Umständen auch mit Rohstofflieferungen für die Kriegsproduktion an die gemeinsamen Leistungen beizutragen, wobei ihre Leistungsfähigkeit naturgemäss durch ihre wirtschaftliche und devisenpolitische Schwäche beschränkt ist. Im Rahmen der Aktion der Vereinigten Nationen wird man also von Südamerika keine grossen Überraschungen erwarten dürfen. Auch mit dem eigentlichen Punkt 1 der Konferenz von Washington wird man nicht viel weiter kommen, da die Voraussetzung einer koordinierten Verteidigung des Kontinents, bzw. der Schaffung einer panamerikanischen Polizeitruppe in erster Linie die militärische Dachorganisation des eigenen Landes ist. Eine schlagfertige Armee unterhält aber ausser Argentinien kein einziges der südamerikanischen Länder und gerade Argentinien ist ja bekanntlich der am schwersten zu behandelnde Partner5.
Unter Programmpunkt 2 ist von der Washingtoner Konferenz schon etwas positiveres zu erwarten. Bereits hat die militärisch-politische Kommission der Kanzler gestern einstimmig die sogenannte Erklärung von Washington gutgeheissen, die den Kampf gegen den Kommunismus zum Gegenstand hat, und die hier als ein ernstlicher Versuch betrachtet wird, die südamerikanischen Staaten auf diesem Felde zu mobilisieren. Auf lange Sicht wird die Wirksamkeit dieser Entschliessung wohl dadurch geschwächt werden, dass Argentinien und Mexiko versuchen, das Prinzip der strikten Nicht-Intervention in die inneren Verhältnisse der Vertragsstaaten, auch im Rahmen dieser Resolution durchzusetzen, wodurch eine nicht unerhebliche Schwächung des solidarischen Vorgehens im Kampfe gegen den Kommunismus bewirkt wird. Wenn einer der Vertragsstaaten plötzlich das Opfer eines kommunistischen Putsches würde, wären durch diese Klausel die Partner verhindert, im Interesse der kontinentalen Harmonie einzugreifen. Es gibt in Brasilien viele Leute von Einfluss, die glauben, dass Peron, wenn er einmal in ernste wirtschaftliche und innerpolitische Schwierigkeiten gerät, imstande wäre, mit dem Kommunismus zu paktieren. Die andere Alternative wäre eine militärische Diversion. Beides ist natürlich möglich, bevor ein verzweifelter Diktator die Waffen streckt, aber eine unmittelbare Gefahr bestimmt sicher nicht. Jedenfalls zeigt aber die Stimmung in Rio de Janeiro, dass man hier Argentinien nach wie vor als das Preussen Südamerikas betrachtet, dem nie ganz zu trauen ist. Die Nicht-Interventionsklausel im Pakt gegen den Kommunismus erscheint der brasilianischen Regierung mehr als nur ein Schönheitsfehler. Man findet, dass schliesslich alle südamerikanischen Regierungen ein gemeinsames Interesse haben sollten, kommunistischen Umsturzversuchen, wo sie immer stattfinden könnten, zum vorneherein mit allen Mitteln zu begegnen.
Die Erklärung Perons, dass Argentinien nun auch das Geheimnis der praktischen Auswertung der Atomenergie entdeckt habe6 und dazu noch ein besonders billiges Verfahren, ohne Uranium oder Plutonium, hat hier entweder ungläubiges Kopfschütteln oder doch eine gewisse Nervosität hervorgerufen. Die offizielle Interpretation geht dahin, dass, wenn ein Regierungshaupt eines befreundeten Staates eine derartige Mitteilung in aller Form macht, dann müsse man sie ernst nehmen. Alle sind sich darin einig, dass die Ankündigung Perons nicht von ungefähr am Vorabend der Konferenz von Washington stattgefunden hat. Der Präsident Argentiniens will damit, gemäss beliebter Taktik, den USA zur Kenntnis bringen, dass er ihre militärische Hilfe nicht braucht, wie auch Argentinien vom nördlichen Nachbar keine wirtschaftliche Hilfe erwarte. Argentinien ist und bleibt der Hecht im Karpfenteich der panamerikanischen Union.
PS. Über die Stärke und Gefährlichkeit der kommunistischen Bewegung in Brasilien ist es ausserordentlich schwer, zuverlässige Zahlen zu erhalten, da die kommunistische Partei hier seit Jahren verboten ist und an den Wahlen nicht in Erscheinung trat. Bei dem ausserordentlich niedrigen Lebensstandard der grossen brasilianischen Massen, ist die potentielle Gefahr einer kommunistischen Infiltration selbstverständlich stets vorhanden. Auf der anderen Seite verhindern aber die riesigen Entfernungen zwischen den Bevölkerungszentren und die schlechten Verkehrsmittel ein engeres Hand-in-Hand-Arbeiten der einzelnen kommunistischen Gruppen. So werden Demonstrationen arbeitsloser und hungernder Gruppen in einzelnen Landesgegenden von der Presse oft als kommunistische Aufstände dargestellt, in anderen Gegenden des riesigen Landes kaum beachtet.
Ich befasse mich zurzeit mit der Sammlung von Material über den Kommunismus in Brasilien7.
- 1
- E 2300 Rio de Janeiro/8.↩
- 2
- Zu G. Vargas und zur Zusammensetzung seines Kabinetts vgl. den politischen Bericht Nr. 1 von E. Feer vom 19. Februar 1951, E 2300Rio de Janeiro/10.↩
- 3
- Zur Schaffung der Panamerikanischen Union vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 72, dodis.ch/4185, Anm. 1 (dodis.ch/4185).↩
- 5
- Vgl. DDS, Bd. 18, Dok. 69, dodis.ch/8546 und den politischen Bericht Nr. 2 von E. Feer an M. Petitpierre vom 27. März 1950, E 2300Buenos Aires/10 (dodis.ch/8685).↩
- 6
- Vgl. die Schreiben von M. Fumasoli an das Politische Departement vom 27. März 1951, E 2001(E)1967/113/6, und vom 1. Dezember 1952, E 2001(E)1969/121/3.↩
- 7
- Vgl. seinen politischen Bericht Nr. 5 vom 25. Juni 1951, E 2300Rio de Janeiro/10.↩
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