Gespräch mit Rakosi betreffend die bilateralen Beziehungen, Pressefreiheit, Entschädigung nationalisierten Eigentums.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 18, doc. 32
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#179* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 92 | |
Dossier title | Budapest, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 7 (1950–1951) |
dodis.ch/8539
Der schweizerische Gesandte in Budapest, M. Grässli, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre1
GESPRÄCH MIT HERRN MATHYAS RAKOSI
Über meine bisherigen Besuche, insbesondere beim stellvertretenden Ministerpräsidenten Herrn Mathyas Rakosi beehre ich mich, Ihnen folgenden Bericht zu erstatten:
Die Persönlichkeiten, die ich bisher aufgesucht habe und die Gespräche, die dabei geführt worden sind, boten kein so grosses Interesse, dass es sich lohnte, etwas darüber zu schreiben. Zusammenfassend darf bemerkt werden, dass die gepflogenen Unterhaltungen durchwegs freundlich waren und alle meine Gesprächspartner pflichteten mir bei, dass der Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen als Voraussetzung eines guten Verhältnisses zwischen zwei Kleinstaaten verschiedener politischer Struktur durchaus erstrebens- und wünschenswert ist. Alle fanden auch einige freundliche Worte für die Schweiz. Leider ist aber zu sagen, dass die hochgestellten Leute, mit denen ich bis jetzt gesprochen habe, mehr die Rolle vorgeschobener Figuren als entscheidender Faktoren spielen. Dies gilt für Präsident Arpad Szakasits, Ministerpräsident Istvan Dobi (beide von der Kleinlandwirtepartei), Aussenminister Gyula Kallai und Parlamentspräsident Lajos Drahos (Kommunisten). Gemeinsam für alle ist, dass sie nur die ungarische Sprache beherrschen.
Eine Ausnahme macht einzig Andor Berei, kommunistischer Staatssekretär für politische Angelegenheiten im Aussenministerium und eigentlicher Kopf dieser Behörde. Ich besuchte diesen intelligenten und sprachgewandten Semiten am 5. Januar, um ihm die Note wegen der durch die Verordnung vom 28. Dezember 1949 erfolgten Nationalisierungen und der daraus resultierenden schweren Beeinträchtigung schweizerischer Interessen auszuhändigen2. Wenn ein Berei in der anschliessenden durchaus freundschaftlichen Unterhaltung versichert, es sei Ungarn daran gelegen, erspriessliche Wirtschaftsbeziehungen mit der Schweiz auszubauen und auch eine befriedigende Lösung in der Frage der Nationalisierungsentschädigungen anzustreben, hat das schon einiges Gewicht. Ich darf hiezu auch auf meinen kurzen Bericht vom 5. Januar an die Abteilung für Politische Angelegenheiten verweisen3.
Vor ungefähr Monatsfrist, nach seiner Rückkehr aus Moskau, wohin er sich zu den Stalin-Geburtstagsfeierlichkeiten begeben hat, meldete ich mich durch Vermittlung des Protokolls zu einem Besuch bei Herrn Mathyas Rakosi. Der grundgescheite, ebenfalls sprachgewandte allmächtige Diktator Ungarns, seines Zeichens Vizeministerpräsident, empfing mich am Mittwoch, den 8. Februar um 11.30 h in seinem Büro in der wohlbehüteten und bewachten kommunistischen Parteizentrale. Unsere Unterhaltung dauerte nahezu 1 1/2 Stunden und kann folgendermassen resümiert werden:
Gleich zu Beginn unseres Gespräches machte Rakosi einen Exkurs auf das pressepolitische Gebiet. Dabei gab er seiner lebhaften Missbilligung Ausdruck, dass in der Schweizerpresse häufig gehässige Artikel über Ungarn erscheinen. Er habe jedoch vorderhand nicht die Absicht zurückzuschlagen, obschon ihm dies mindestens einmal monatlich von verschiedenen Seiten nahegelegt werde. Als Begründung für seine mässigende Einflussnahme in dieser Richtung führte er an, es sei nicht Sache eines kleinen Landes wie Ungarn, den Angreifer zu spielen. Er wisse allerdings nicht, wie lange es ihm noch gelingen werde, die ungarische Presse vom Zurückschlagen abzuhalten. Unter Hinweis auf die bekannte in der Schweiz herrschende Pressefreiheit gab ich Rakosi zu verstehen, dass ihm wahrscheinlich auch in Zukunft noch Artikel zu Gesicht kommen werden, welche vielleicht nicht gerade in freundlichster Weise gewisse Vorkommnisse in Ungarn sowie auch in andern Volksdemokratien kommentieren. Dies sei an sich bedauerlich, lasse sich aber aus der grundverschiedenen Auffassung über das was Demokratie ist, erklären. Es sei schon möglich, gab ich zu, dass gewisse Vorkommnisse nicht in streng objektiver Weise beschrieben werden, was wohl darauf zurückzuführen ist, dass es für schweizerische Journalisten bürgerlicher Richtung sozusagen ein Ding der Unmöglichkeit ist, nach Ungarn zu reisen. Unsere Zeitungsunternehmen seien allerdings nicht so kapitalkräftig, um überall ständige Vertreter zu halten, es wäre aber immerhin vielleicht vorteilhaft, durch Erteilung einer Einreisebewilligung ab und zu einem schweizerischen Journalisten zu ermöglichen, sich an Ort und Stelle über den Ablauf der Dinge zu orientieren. Hierzu meinte Rakosi lachend, es sei ihm eigentlich gleichgültig, ob die Zeitungsleute aus erster oder zweiter Hand lügen. In diesem Zusammenhang wies er darauf hin, dass mit gewissen Journalisten, die zu den beiden letzten grossen Prozessen (Mindszenty und Rajk) zugelassen worden waren, üble Erfahrungen gemacht worden sind. Wenn sie sich damals schon bemühten, aus Budapest einigermassen objektive Berichte zu senden, so hätte sich ihre Schreibweise seither wesentlich geändert. Im übrigen sei es nicht anzunehmen, dass die Schweizerpresse ihre Haltung ändere, da unser Land ja ohnehin stark unter amerikanischem Einfluss sei.
Diese Bemerkung gab mir die Gelegenheit, meinem Gesprächspartner aus eigener Erfahrung einige Schwierigkeiten zu schildern, die in der Nachkriegszeit das Verhältnis zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten etwas trübten. Ausserdem sollte unsere Haltung zu der Frage der amerikanischen Wirtschaftshilfe, zum Atlantikpakt sowie auch zum Europarat doch allgemein bekannt sein. Unsere Politik all diesen Bestrebungen gegenüber habe gerade zum Ziel zu verhüten, dass die Schweiz in Blockbildungen und Mächtekonstellationen aller Art hinein gerate. Der Bundesrat sei im Gegenteil unablässig bemüht, die Unabhängigkeit der Schweiz nach allen Richtungen zu wahren. Rakosi gab zu, dass ihm diese Bestrebungen bekannt und dass sie tatsächlich auch von einem gewissen Erfolg gekrönt seien.
Ich benützte die Gelegenheit Herrn Rakosi darzulegen, wie ich meine Aufgabe als schweizerischer Gesandter in Ungarn auffasse. Es sei mir in erster Linie darum zu tun, mit Hilfe der zuständigen ungarischen Behörden die Wirtschaftsbeziehungen auszubauen und wenn möglich damit den Beweis zu erbringen, dass zwei Kleinstaaten trotz verschiedener politischer Struktur ein erspriessliches gegenseitiges Verhältnis schaffen können. Überdies betrachte ich einen intensiven und für beide Teile nutzbringenden Wirtschaftsverkehr als eine Voraussetzung dazu, zwischen unsern beiden Ländern mit der Zeit vielleicht mehr als nur korrekte Beziehungen herzustellen. Hiezu sei erforderlich, dass schweizerische Geschäftsleute ohne grosse Schwierigkeiten zu Besprechungen mit den zuständigen Organen in Ungarn einreisen können. Vermehrter persönlicher Kontakt und daraus resultierende für beide Teile fruchtbare Wirtschaftsbeziehungen werden vielleicht mit der Zeit dazu beitragen, dass auch die von ihm beanstandete Kritik an gewissen Zuständen in der Volksdemokratie Ungarn in den Spalten der schweizerischen Presse einer objektiven Würdigung des, wie ich hoffe, sich erbaulich gestaltenden Handelsaustausches Platz machen werde.
Rakosi konnte und durfte natürlich kein Verständnis zeigen für die schweizerische Auffassung von Pressefreiheit. Er gab jedoch zu, dass ein Aufschwung in den gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen geeignet sei, ganz allgemein das Verhältnis unserer beiden Länder günstig zu beeinflussen. Im übrigen sei auch er durchaus der Auffassung, dass eine Intensivierung des Handelsaustausches anzustreben sei. Die geographische Lage der beiden Länder sei hiezu durchaus geeignet, ebenso ihre Volkswirtschaften, die sich glücklich ergänzen. Das Gespräch mit Herrn Rakosi bestätigt nur den allgemeinen Eindruck, den ich während meiner bisherigen Tätigkeit in Budapest erhalten habe, nämlich dass es der ungarischen Regierung ausserordentlich daran gelegen sei, gerade mit der Schweiz möglichst gute Handelsbeziehungen zu pflegen.
In diesem Zusammenhang kam Rakosi auch auf die gegenwärtig schwebenden Verhandlungen zu sprechen und meinte, er könne es nicht recht verstehen, dass sich die Schweiz in der Frage der Nationalisierungsentschädigungen gewissermassen als Lanzenbrecher missbrauchen lasse. Die grossen Haifische, wie er sich ausdrückte, seien doch Unternehmen wie die amerikanische Standard Oil Company, der schwedische Zündholztrust u. a., denen gegenüber die schweizerischen Interessen an Bedeutung zurücktreten. Wir müssen damit rechnen, dass die ungarische Delegation uns auf der ganzen Linie erbitterten Widerstand entgegensetze, da später ohnehin die Amerikaner, Engländer, Schweden usw., bei denen es sich um grössere Komplexe handelt, eine Gleichbehandlung für sich in Anspruch nehmen. Rakosi glaubt, es wäre für die Schweiz vielleicht vorteilhafter gewesen zuzuwarten, bis mit diesen Ländern eine Verständigung erzielt worden sei, um nachträglich gegebenenfalls ein günstigeres Resultat zu erwirken. Dabei betonte er nochmals, es sei ihm ganz besonders daran gelegen, mit unserem Lande eine befriedigende Lösung anzustreben. Hiezu erwiderte ich, dass es uns ferne liegt, für andere die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Ausserdem könnte späterhin, obschon sein Einwand auf den ersten Blick einer gewissen Logik nicht entbehre, der Spiess umgedreht und uns vorgehalten werden, dass die andern in Betracht fallenden Länder auch nicht mehr erhalten haben. Überdies sei er meines Wissens im Irrtum, wenn er annehme, die schweizerischen Interessen seien an Bedeutung geringer als diejenigen, die er zitiert habe. Ich glaube sogar, dass unsere Ansprüche zusammengezählt den Wiedergutmachungsbegehren jedes andern Landes nicht nachstehen. Rakosi war sichtlich überrascht, da er offenbar der Überzeugung war, unsere Interessen seien nicht so bedeutend. Ich habe den Eindruck, dass meine wiederholte Bitte, seinen Einfluss geltend zu machen, um dieses unliebsame Hindernis in unsern gegenseitigen Beziehungen in einer auch für die Schweiz tragbaren Weise aus dem Wege zu räumen, nicht in taube Ohren gefallen ist.
Abschliessend darf gesagt werden, dass die offene Unterhaltung mit Herrn Rakosi in durchaus freundlichem, ja fast freundschaftlichem Tone geführt worden ist.
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Press and media Nationalization of Swiss assets