Deutsche Meinung und Teilnahme an der europäischen Verteidigung. Deutsch-alliierte Gespräche zur Frage der Remilitarisierung Deutschlands. Haltung des amerikanischen Hohen Kommissars. Verstärkung der alliierten Truppen.
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 18, Dok. 99
volume linkZürich/Locarno/Genève 2001
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2300#1000/716#389* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2300(-)1000/716 191 | |
Dossiertitel | Köln, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 15 (1951–1951) |
dodis.ch/8035 Der schweizerische Gesandte in Köln, A. Huber, an den Vorsteher des Politischen Departements, M. Petitpierre1
Militaria: Der Koreakrieg stellte die deutsche öffentliche Meinung quasi über Nacht vor die Frage einer deutschen Beteiligung an der Verteidigung Europas2. Der Gedanke wurde von Adenauer und seiner Regierung sofort angenommen, aber vom übrigen Deutschland damals ziemlich einmütig abgelehnt. Kommunisten, Sozialisten, ehemalige Militärs, die evangelische Kirche, die Neutralisten um Professor Noack, die Jugend, die Universitäten, die Presse bildeten eine Mauer der Absage. Das Schlagwort «Ohne uns» fand allgemeine Verbreitung. Der sozialistische Leader, Professor Carl Schmid, verstieg sich zu dem defaitistischen Wort «Uns ist es lieber, es werden heile Menschen in Häusern bolschewisiert als Krüppel in Erdlöchern». Der bekannte Pastor Niemöller, Kirchenpräsident von Hessen, erklärte «Wir dürfen uns um keinen Preis gegen unsere eigenen Brüder bewaffnen lassen, selbst dann nicht, wenn drüben im Osten die Menschen mit Gewalt bewaffnet werden». Bundesinnenminister Heinemann folgte ihm und demissionierte. Professor Noack und sein Kreis, die den weltfremden Gedanken einer unbewaffneten Neutralität vertreten, die Militärs, verbittert wegen ihrer jahrelangen Proskribierung, sie alle lehnten den deutschen Verteidigungsbeitrag ab. Hätte damals eine Volksbefragung stattgefunden, so wäre eine überwiegende Verwerfung ihr Schicksal gewesen. Anlässlich seines Deutschlandbesuches erkannte Eisenhower sofort die Verfahrenheit der Situation und veranlasste, dass die Durchführung der kurz vorher – im Dezember 1950 – in Brüssel gefassten Beschlüsse betreffend die deutsche Remilitarisierung aufgeschoben wurden.
Nun hat vor kurzem der amerikanische Hochkommissar in Deutschland, McCloy3, im Laufe seiner «Hearings» vor der Senatskommission in Washington erklärt, dass seiner Ansicht nach die Stellungnahme Westdeutschlands zum Problem der Remilitarisierung sich sehr gewandelt habe und dass bei behutsamer Behandlung der Frage, Westdeutschland in absehbarer Zeit zu aktiver Beteiligung an der Verteidigung des Westens gebracht werden könnte. Von einer Wandlung zu reden, wäre m. E. verfrüht. Indessen werden Anzeichen für eine Tendenzänderung sichtbar. Die Einstellung der Massen dürfte zwar nach wie vor negativ, zum mindesten passiv sein. Indessen kommt es beim Herdentrieb der Deutschen entscheidend auf die führenden Schichten an und bei diesen zeichnet sich ein gewisser Umschwung ab. Die Kritik in der Presse ist verstummt; die grossen Blätter zeigten eine zunehmend aufgeschlossenere Haltung. Ebenso wichtig ist, dass eine Reihe ehemaliger Militärs sich zur Notwendigkeit einer Verteidigung bekannten. Ich berichtete neulich über die Erklärungen des ehemaligen Kommandanten der Panzerdivision «Grossdeutschland», General von Manteuffel4. Der neugewählte Präsident des Deutschen Gewerkschaftsbundes sprach sich für einen deutschen Verteidigungsbeitrag aus. Pastor Niemöller schweigt und die Neutralisten um Professor Noack haben kein nennenswertes Echo gefunden. Bei all dem handelt es sich zwar um blosse Indizien neuer Tendenzen, die nicht überschätzt werden dürfen, aber immerhin wert sind, registriert zu werden, umsomehr als die fortschreitende Verstärkung der alliierten Besetzungstruppen diese Richtung begünstigt, indem sie den Faktor Furcht bei der deutschen Bevölkerung reduziert.
Unterdessen haben die Vorbesprechungen zwischen alliierten und deutschen militärischen Experten einen Abschluss gefunden5. Wie ich aus direkter Quelle erfuhr, kam über alle wesentlichen Punkte eine Einigung zu Stande. Selbstverständlich handelt es sich vorläufig nur um eine Einigung im Schosse der Experten, die noch der Genehmigung der amerikanischen, britischen, französischen und deutschen Regierung bedarf. Zunächst wurde Meinungsübereinstimmung erzielt über die Frage der Grösse der deutschen Verbände, welche so viel Staub aufgewirbelt hatte. Man einigte sich – über die Selbstverständlichkeit – dass auch die deutschen Kontingente in Divisionsstärke aufgestellt würden. Insgesamt sind 12 Divisionen vorgesehen. Die für die Aufstellung dieser Truppe erforderliche Zeit wird auf zwei Jahre geschätzt. Mein Gewährsmann glaubt aber, dass die Frage nunmehr in Fluss kommen könnte, und dass es bereits um die Jahreswende 1951/52 zur Aufstellung der ersten drei Divisionen kommen könnte. Auch über den Einsatz dieser Truppe wurden Regeln vorgesehen: so würden die 12 deutschen Divisionen nicht geschlossen zu einem einzigen Verband zusammengefasst werden, sondern würden in Gruppen à je drei Divisionen eingesetzt werden, sodass rechts und links andere alliierte Verbände zu stehen kämen.
Mit der Verstärkung der alliierten Truppen wird Ernst gemacht. Nach Meinung meines Gesprächspartners dürfte damit zu rechnen sein, dass die Amerikaner ihre Besatzung bald auf sechs und bis Jahresende auf etwa zehn Divisionen erhöhen werden; die britischen Truppen dürften auf sechs Divisionen steigen und die Franzosen auf eine Stärke, die etwas darunter liegt. Alles in allem ergäbe sich eine Truppenmacht, die einen Vormarsch in Richtung zur Atlantikküste nicht zu einem blossen militärischen Spaziergang machen würde.
- 1
- E 2300 Köln/15.↩
- 2
- Zur Orientierung der Zentrale über die deutsche Wiederaufrüstung des Jahres 1951 durch verschiedene schweizerische Gesandtschaften vgl. die Militärberichte zu Deutschland. Nicht abgedruckt. Zu den schweizerischen Waffenlieferungen an den sich im Frühjahr 1951 konstituierenden deutschen Bundesgrenzschutz vgl. E 2001(E)1967/113/390.↩
- 3
- Vgl. die Notiz zu einem Gespräch zwischen M. Petitpierre und J. McCloy vom 1. Juli 1950, E 2800(-)1990/106/19 (dodis.ch/8871).↩
- 4
- Vgl. den politischen Bericht Nr. 12 von A. Huber an M. Petitpierre vom 4. Juni 1951. Nicht abgedruckt.↩
- 5
- Am 9. Januar 1951 begannen Besprechungen zwischen der Bundesregierung und der Alliierten Hohen Kommission über einen deutschen Verteidigungsbeitrag im Rahmen der Diskussion des Pleven-Plans.↩
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Bundesrepublik Deutschland (Allgemein)
Deutsche Demokratische Republik (Politik) Alliierte (Zweiter Weltkrieg) Koreakrieg (1950–1953)