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Die Schweiz und die NNSC. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der Neutral Nations Supervisory Commission in Korea 1951–1995, vol. 21, doc. 45
volume linkBern 2023
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2785* | |
Dossier title | Numerierte Berichte von van Muyden 1.1.1973 - 31.3.1975 (1973–1978) | |
File reference archive | B.73.0.1.(31) • Additional component: Korea, Republik |
dodis.ch/66173Der Chef der schweizerischen NNSC-Delegation, Botschaftsrat van Muyden, an den Direktor der Politischen Direktion des EPD, Botschafter Thalmann1
Die Lage in Panmunjom (20)
Die Diskussion über den
ist noch nicht beendet. Im Verlaufe der 1957. und 1958. Sitzung3 nahmen alle vier Mitglieder der NNSC Stellung zur Behandlung dieses Schreibens. Alle vier sind sich einig, dass eine Empfangsbestätigung an General Kim Poong Sup zu schreiben ist. Ihr Text ist aber noch nicht festgesetzt.
Was das übliche Schreiben an die Waffenstillstandskommission anbelangt, welches ihr mitteilt, dass unsere Kommission einen Brief der Nordseite erhalten (ohne Inhaltsangabe) und davon Kenntnis genommen hat, sowie auf die entsprechenden Sitzungsprotokolle hinweist, sind die Ansichten geteilt. Die Tschechische und Polnische Delegation möchten sich zum Inhalt des Nordkoreanischen Briefes bekennen und ihrer «Beunruhigung» Ausdruck verleihen. Hingegen weigere ich mich angesichts des Mangels jeder juristisch akzeptablen Beweisführung im Schreiben Kim Poong Sups, überhaupt einen Brief an die MAC zu richten – umsomehr, als der Inhalt dieses neuen Nordkoreanischen Briefes mit demjenigen eines früheren Schreibens der KPA/CPV Seite (vom 1. April 1970)4 fast identisch ist – also überhaupt keine neuen Elemente bringt. General Gerring, Leiter der Schwedischen Delegation, der zuerst nicht ganz begriff, worum es ging, gesellte sich anfangs während unseren nicht-offiziellen Besprechungen zu den CZ- und PO-Mitgliedern, hat sich aber des Besseren besonnen.
An der 1259. Sitzung am 12. Oktober wurde das Problem nicht diskutiert, weil Gerring und ich wegen Teilnahme an einer offiziellen Orientierungsreise in Südkorea abwesend waren.5 Es ist aber klar, dass die Generäle Smoldas (CZ) und Marchewka (PO) durch die Nordkoreaner unter Druck gesetzt werden, damit ein gemeinsamer Brief aller vier NNSC-Mitglieder an die MAC geschrieben wird. Pyongyang hatte schon am 24. Oktober über Radio Pyongyang und die KCNA-Depeschenagentur den Text des Briefes an den MAC Senior Member und an unsere Kommission veröffentlicht.6 Es geht ihr vor allem darum, sagen zu können, dass nicht nur die Nordkoreanische Delegation an der MAC, sondern auch die NNSC die (angebliche!) Verstärkung der Nuklearwaffenbestände in Südkorea und die (angeblich) damit verbundene Gefahr eines neuen Weltkrieges zu beanstanden.7 Eine solche Stellungnahme könnte anlässlich der Diskussion der Koreafrage in New York ausgewertet werden.
Am 11. November fand
statt. Nichts von Bedeutung wurde diskutiert. Wieder einmal zählten die Nordkoreaner eine Serie von angeblichen Verletzungen des Waffenstillstandsabkommens (Einführung von automatischen Waffen in die DMZ, sowie von Truppen ohne die vorgeschriebenen Kennzeichen, usw., usw.) welche innerhalb des letzten Monats stattgefunden haben sollen. Die Südseite erklärte, sie würde diese Beschuldigungen untersuchen, warf aber danach (mit Recht) der Nordseite vor, sie abkommenswidrig «aufgelagert»8 zu haben, um sie im Verlaufe einer Sitzung «ausschütten» zu können – anstatt sie jedesmal sofort über die Joint Duty Officers zu melden. Dieser Vorwurf muss immer wieder gemacht werden.9
ist zur Zeit alles relativ ruhig und entspannt; es gibt weniger Demonstrationen durch Gäste der Nordseite. Aber wie zu erwarten war, haben vor einer Woche die Nordkoreaner
Letztere sollte bekanntlich den UNC Wachen, welche Checkpoint 3 besetzen, im Notfalle einen freien Rückzug erlauben. Die Amerikaner glauben nun, dass jetzt die Nordkoreaner einen Kontrollposten auf dieser neuen Strasse südlich des Checkpoints 3 bauen werden. Theoretisch haben sie das Recht dazu. Es sieht aus, als ob es jetzt in der JSA zu einem «Krieg» der Strassen und Kontrollposten kommen könnte –––
Vielleicht ernster zu nehmen ist die
Jedenfalls wird dieses Ereignis durch die Südkoreanische Regierung – welcher es gerade recht kommt – gross aufgezogen. Ich selber wurde mit General Gerring durch die UNC Armistice Affair Division am 17. November nachmittags zu einem ausführlichen Briefing über diese Angelegenheit eingeladen.
Die Sache begann kurz nach Tagesanbruch, um 0710 Uhr am 15. Oktober, als eine Südkoreanische, aus neun Mann bestehende, Patrouille des 71. Regiments der 21. ROK-Division in der Mitte der Südlichen Hälfte der DMZ Dampf aus einem Loch im Boden steigen sah. Sondierungsversuche stiessen gleich auf Zementplatten in einer Tiefe von ca. 45 cm. Sofort wurde ernsthaft weitergegraben. Gegen 0800 Uhr wurden die Nordkoreaner dieser Tätigkeit gewahr, und begannen von einem Hügelposten nördlich der Militärischen Demarkationslinie (MDL) aus, mit leichten automatischen Waffen (AK47) zu feuern – zirka 300 Schuss. Daraufhin verlangte die Patrouille per Funkgerät Deckfeuer, und eine Südkoreanische Batterie südlich der DMZ feuerte 12 105mm-Geschosse. Gegen 0830 Uhr hörten die Nordkoreaner auf zu schiessen.
Weitere Grabarbeiten der Südkoreaner ergaben, dass ein ca. 1 Meter breiter und ca. 1–1½ Meter hoher, mit prefabrizierten Zementplatten (für Seiten und Decken) verstärkter, Tunnel sich von der MDL mindestens 1000 Meter in süd-östlicher Richtung, entgegen der südlichen Grenze der DMZ, zieht. Ein primitives, aber wirksames Schienensystem mit kleinen vierrädrigen Karren dient zum Transport der Erde und Platten.
Ferner fanden die Südkoreaner und die Equipe von UN Command-Spezialisten, die sich bald zu ihnen gesellten, im Tunnel eine Drehscheibe, ein elektrisches Stromkabel mit 220V/60W-Glühbirnenbeleuchtung, eine ziemliche Quantität Dynamit, einige Metallbecken mit relativ frischem Reis und Wasser, eine Armbanduhr mit Nordkoreanischem Armband, eine «Claymore Mine», kleine Unterkünfte zum Schlafen und Essen und einen, als Ostdeutsch bezeichneten Militärkompass...
Angesichts der kleinen Statur der Nordkoreaner könnte ein solcher Tunnel – falls es gelingen sollte, ihn unter dem Stahlgitterzaun 16 Barrier und bis auf Südkoreanischen Boden zu führen – das heimliche Eindringen von Stoss- oder Guerillatruppen in Südkorea, ermöglichen.
Das UN Command nimmt die Sache sehr ernst, und betrachtet sie als eine grobe Verletzung des Waffenstillstandsabkommens. Es wurde uns sofort mitgeteilt, als wir am 15. November um 1600 Uhr aus Taegu zurückkamen, und am nächsten Morgen wurde ich in Panmunjom durch den MAC Sekretär Oberst Cross telephonisch (im Auftrage des CINCUNC, General Stilwell) angefragt, ob die Möglichkeit bestünde, die NNSC ins Spiel zu setzen, indem man sie einlade, den Tunnel zu besichtigen. Ich antwortete (wie üblich in solchen Fällen), dass die NNSC nur als Ganzes funktionieren kann, das heisst mit Bewilligung aller vier Mitglieder, und dass es sich in diesem Falle um ein Gebiet handle, das nicht spezifisch unter unsere Kompetenz fällt. Es gäbe bekanntlich laut Waffenstillstandsabkommen die Institution der Joint Observer Teams, welche im Falle von Verletzungen des Abkommens innerhalb der DMZ zu bilden sind. Man müsse also darauf gefasst sein, dass die Tschechen und Polen sich (wie immer) auf diese Tatsache berufen würden, um jegliche Teilnahme an Kontrollen innerhalb der DMZ abzulehnen.
Dann fragte Cross, ob vielleicht die Schweden und Schweizer, oder gegebenenfalls nur ich bereit wäre, den Tunnel zu besichtigen. Ich entgegnete natürlich, dass ich für den Schweden nicht antworten könne (er war in der Stadt geblieben), dass ich selber den Tunnel gerne sehen möchte, aber dass dies unter keinen Umständen als offizielle Handlung eines Mitglieds der NNSC dargestellt werden dürfte. Ich fügte hinzu, dass ich am ehesten – wenn überhaupt – diese «private» Besichtigung mit meinem Schwedischen Kollegen unternehmen möchte. Seitdem habe ich nichts weiteres zu dieser Sache gehört. (Ich hatte von vornherein angenommen, dass Gerring, der ziemlich schüchtern ist, sich nicht gerne in einer Gegend riskiert, wo geschossen wird).
Was die Glaubwürdigkeit der Sache anbelangt, muss ich gestehen, dass die Zementplatten und die verschiedenen Gegenstände, die uns gezeigt wurden, überzeugend wirkten. Auch weiss ich seit ziemlich langer Zeit durch meinen Tschechoslovakischen Kollegen General Smoldas, dass die Nordkoreaner in dem ihnen gehörenden Teil der DMZ die Vietkong-Nordvietnamesische Praxis folgen und ein grosses Tunnelnetz gegraben haben, um ihre verschiedenen abkommenswidrigen Bunker- und andere Waffenstellungen untereinander zu verbinden. Als der Schweizer Vorschlag der NNSC eine Rolle der Entmilitarisierung der DMZ zu geben diskutiert wurde, erklärte mir Smoldas nach Ablehnung unseres Vorschlages, dass die Nordkoreaner keine Kontrolle der Entmilitarisierung erlauben würden, weil dieses Tunnelnetz bestünde.10
Es ist also gar nicht unwahrscheinlich, dass der jetzt entdeckte Tunnel an diesem Netze angeschlossen ist beziehungsweise zur gegebenen Zeit angeschlossen würde.
Der Südkoreanische Verteidigungsminister Suh Jyong Chul sprach nach Erwähnung11 des Nordkoreanischen Tunnelnetzes anlässlich einer Pressekonferenz am 17. November seine Besorgnis wie folgt aus:
«Am wichtigsten vom militärischen Gesichtspunkt, ist die Tatsache, dass diese Tunnel nicht gebaut wurden12 um einige Dutzend Agenten und subversive Elemente nach dem Süden zu bringen, sondern die geheime Einführung beträchtlicher Kräfte und die Organisation einer grossangelegten Überraschungsattacke bezwecken.»
Nun, wir stehen kurz vor dem Beginn der Diskussion der Koreafrage an der UN Generalversammlung und Seoul verliert keine Gelegenheit die Ereignisse zu ihren Gunsten auszuwerten. Aber ich glaube, dass die Südkoreaner in diesem Falle recht haben könnten.
Mit dem gleichen Kurier sende ich Ihnen einen Brief betreffend einer Rede des Nordkoreanischen Aussenministers13 vom 8. November, welche Pyongyangs Absichten in Sachen Wiedervereinigung ziemlich klar andeutet.14 Nordkorea denkt gar nicht an irgend welche Besprechungen mit der Regierung Park Chung Hees.
- 1
- CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2785* (B.73.0.1.(31)). Dieses an den Chef der Politischen Direktion des EPD, Botschafter Ernesto Thalmann, gerichtete Schreiben wurde vom Chef der schweizerischen NNSC-Delegation, Botschaftsrat Claude van Muyden, verfasst und unterzeichnet. Handschriftliche Marginalie über dem Empfangsstempel der Registratur, höchstwahrscheinlich von Botschafter Thalmann: Die Tunnellgeschichte ist interessant (S. 2/3).↩
- 2
- Vgl. das Schreiben von Generalmajor Kim Poong Sup, Senior Member KPA/CPV, an die NNSC vom 24. Oktober 1974, dodis.ch/66627.↩
- 3
- Gemeint sind das 1257. NNSC-Meeting vom 29. Oktober und das 1258. NNSC-Meeting vom 5. November 1974, CH-BAR#E9500.188-01A#1995/563#2* (1.1).↩
- 4
- Vgl. dazu die Beilage des Schreibens von Botschaftsrat van Muyden an den Generalsekretär des EPD, Botschafter Pierre Micheli, vom 14. April 1970, dodis.ch/66610.↩
- 5
- Vgl. das Protokoll des 1259. NNSC-Meetings vom 12. Oktober 1974, CH-BAR#E9500.188-01A#1995/563#2* (1.1).↩
- 6
- Für die beiden Schreiben vgl. dodis.ch/66627 und dodis.ch/66628.↩
- 7
- Am 1261. NNSC-Meeting vom 26. November 1974 setzte sich in einer Abstimmung der schweizerische Entwurf einer nüchternen Empfangsbestätigung der NNSC an Kim Poong Sup gegen einen polnischen Vorschlag eines Schreibens der NNSC an die MAC durch und wurde gleichentags versendet, vgl. CH-BAR#E9500.188-01A#1995/563#2* (1.1).↩
- 8
- Handschriftliche Korrektur des Verfassers aus:aufgegriffen.↩
- 9
- Vgl. das Protokoll des 428. MAC-Secretaries-Meetings vom 11. November 1974, CH-BAR#E9500.188-01A#1992/37#55* (2.2).↩
- 10
- Vgl. dazu die Schreiben von Botschaftsrat van Muyden vom 12. Juni 1973, dodis.ch/66669, und vom 23. Juli 1973, dodis.ch/66670.↩
- 11
- Handschriftliche Korrektur des Verfassers aus: Erscheinung.↩
- 12
- Handschriftliche Korrektur des Verfassers aus: dieser Tunnel nicht gebaut wurde.↩
- 13
- Ho Dam.↩
- 14
- Vgl. dazu das Schreiben von Botschaftsrat van Muyden an Botschafter Thalmann vom 18. November 1974, dodis.ch/66634.↩
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Neutral Nations Supervisory Commission (NNSC)