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Die Schweiz und die NNSC. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der Neutral Nations Supervisory Commission in Korea 1951–1995, Bd. 21, Dok. 56
volume linkBern 2023
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
Signatur | CH-BAR#E2010A#1995/313#5448* | |
Dossiertitel | Berichte Peter Niederberger (1982–1984) | |
Aktenzeichen Archiv | B.73.0.1(34) • Zusatzkomponente: Corée |
dodis.ch/65594Der Chef der schweizerischen NNSC-Delegation, Botschaftsrat Niederberger, an die Politische Abteilung II des EDA1
Ungereimtes mit den Amerikanern
Die Amerikaner pflegen bisweilen eigenartige aussenpolitische Methoden. Ich möchte Ihnen ein paar Kostproben vermitteln, die direkt oder indirekt mit unserer Tätigkeit in Panmunjom zu tun haben:
1. Es ist üblich, dass sowohl die Nord- als auch die Südseite mit einem oder zwei Verbindungsoffizieren als Beobachter an den Plenarsitzungen der NNSC vertreten sind. Vom Norden sind es jeweils Chinesen, vom Süden Amerikaner. Seit dem 11. Januar 1983 (zufälligerweise hatte damals der schweizerische Vertreter den Vorsitz) ist nun aber aus vorerst unerfindlichen Gründen von der Südseite niemand mehr erschienen.2 Die Amerikaner verhielten sich plötzlich ganz eigenartig; auf die Frage nach dem Grund erhielten meine Mitarbeiter lediglich ein trockenes «no comment». Man merkte lediglich mit der Zeit, dass mit den Tschechoslowaken irgend etwas nicht in Ordnung sein musste. Da ich mir dieses Getue nicht mehr länger mitansehen wollte (offiziell wussten wir ja noch nichts, und es hätte sogar im Zusammenhang mit mir – Vorsitz vom 11.1.83 – ein Haar in der Suppe sein können), sprach ich den amerikanischen Joint Duty Officer3 auf die Angelegenheit an. Dabei erhielt ich folgende verblüffende Erklärung: der amerikanische Verteidigungsattaché in Prag4 sei letztes Jahr erstmals im August zusammen mit einem britischen,5 und ein zweites Mal im Oktober zusammen mit einem italienischen Kollegen6 festgenommen, verhört und untersucht worden. Daraufhin hätten die Amerikaner nun von höchster Stelle die Weisung erhalten, als Vergeltungsmassnahme während des Monats Januar 1983 sämtliche gesellschaftlichen und offiziellen Kontakte mit den Tschechoslowaken zu meiden. – Ich sah mich auf diese Erklärung hin veranlasst, meinen Gesprächspartner darauf aufmerksam zu machen, dass die NNSC keine tschechoslowakische, sondern eine multinationale, gewissermassen eine internationale Kommission sei, und das Verhalten der Amerikaner deshalb auch die Polen, die Schweden und die Schweizer vor den Kopf stossen müsse.
2. Im Anschluss an die Plenarsitzungen der NNSC pflegen die vier Mitglieder mit ihren Alternates nach alter Tradition jeweils zu einem ungezwungenen Gedankenaustausch zusammenzusitzen. Allenfalls auftauchende Probleme werden in der Regel zuerst hier besprochen. Während eben dieser (halboffiziellen) Sitzung vom letzten Dienstag, 18. Januar 1983, erschien plötzlich, und ohne sich vorher irgendwie angemeldet zu haben, der Sekretär der Südseite7 zusammen mit zwei Damen (der Frau eines Kongressabgeordneten sowie der Frau eines amerikanischen Generals) und drei Begleitoffizieren in unserem Sitzungsraum. Der amerikanische Oberst konnte nicht genug unterstreichen, wie dankbar und geehrt er sei, dass er uns mit seinen Gästen die Aufwartung machen dürfe; den tschechoslowakischen General8 überhäufte er mit Komplimenten (ich erinnere an das vorhergehende Kapitel!). Wir waren alle perplex.
3. Am letzten Donnerstag bezw. Freitag (20./21.1.83) war vorgesehen, dass der neue Kommandant der Combined Field Army (ROK / US), Generalleutnant Louis C. Menetrey, sowie der US-Armee-Generalstabschef, Viersterngeneral Edward C. Meyer, Panmunjom einen Besuch abstatteten. Als ich davon erfuhr, habe ich mich im Einvernehmen mit meinem schwedischen Kollegen9 bereit erklärt, die beiden hohen Offiziere auch in unserem Camp kurz zu begrüssen. Ich hatte dann aber alle erdenkliche Mühe, die Organisatoren zu überzeugen, dass uns dies im Konferenzareal aus politisch/diplomatischen Gründen unmöglich wäre. Den Amerikanern (und nebenbei bemerkt auch dem schwedischen Alternate, einem Obersten)10 wollte das nicht in den Kopf. Noch am Vorabend wurde ich angerufen, ob wir nun kommen würden. Meine Antwort: «no, we stay home».
4. Über die amerikanische Studie «Fiscal 1984–1988 Defense Guidance» werden Sie bestimmt von zuständiger Seite unterrichtet worden sein. Aus der Sicht Panmunjom’s überraschend und absolut nicht geeignet, die Spannungen zwischen Nord- und Südkorea abzubauen, ist nun daraus in der hiesigen Presse (siehe Beilagen 1 und 2)11 die Drohung an die Öffentlichkeit geraten, Nordkorea könnte militärisch angegriffen werden, sofern die Sowjetunion Hand auf den Mittleren Osten legen sollte. Solche Meldungen sind natürlich Wasser auf die Propagandamühlen Nordkoreas – und ich habe dafür sogar Verständnis. Man kann die Abschreckung auch ad absurdum treiben.
5. Bekanntlich argumentiert Nordkorea immer wieder, mit der Wiedervereinigung ginge es nur deshalb nicht vorwärts, weil Südkorea von den Vereinigten Staaten besetzt sei. Wenn es stimmen sollte (siehe Beilage 3),12 dass die Amerikaner tatsächlich in Tokyo reklamiert haben, weil Washington nicht vorzeitig über den Besuch des japanischen Premierministers Nakasone in Seoul orientiert worden sei, dann wäre das ebenfalls wieder Wasser auf die Propagandamühlen Nordkoreas. – Wie würden wir reagieren, wenn wir zuerst die amerikanische Regierung fragen müssten, ob ihnen dieser oder jener Besuch eines Bundesrates im Ausland genehm sei!
- 1
- CH-BAR#E2010A#1995/313#5448* (B.73.0.1(34)). Dieses an die Politische Abteilung II des EDA gerichtete Schreiben wurde vom Chef der schweizerischen NNSC-Delegation, Botschaftsrat Peter Niederberger, verfasst und unterzeichnet. Kopien gingen an das Bundesamt für Adjutantur des EMD und die schweizerische Botschaft in Seoul. Eine Kopie wurde von Serge Salvi von der Politischen Abteilung II an das Politische Sekretariat des EDA weitergeleitet.↩
- 2
- Vgl. das Protokoll des 1689. NNSC-Meetings vom 11. Januar 1983, CH-BAR#E9500.188-01A#1992/37#121* (1.1).↩
- 3
- Lieutenant Commander John P. Slattery.↩
- 4
- Oberst Robert Piper.↩
- 5
- Oberst Jeremy Carter.↩
- 6
- Es handelt sich vermutlich um Oberst Berardi.↩
- 7
- Oberst Patrick H. Brady.↩
- 8
- Generalmajor Ján Gazík.↩
- 9
- Generalmajor Otto Rathsman.↩
- 10
- Oberst Nils Gunnar Ahlgren.↩
- 11
- Für die Beilagen vgl. das Faksimile dodis.ch/65594.↩
- 12
- Für die Beilage vgl. das Faksimile dodis.ch/65594.↩
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Neutrale Überwachungskommission des Waffenstillstands in Korea (NNSC)
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