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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 27, doc. 95
volume linkZürich/Locarno/Genève 2022
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1991/17#7475* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)-01/1991/17 805 | |
Dossier title | Besuch von Frank Judd in Bern. Originale, Unterlagen Judd (1977–1977) | |
File reference archive | B.15.21.GB.(5) • Additional component: Grossbritannien |
dodis.ch/50204Notiz des schweizerischen Botschafters in London, E. Thalmann1
Der Stand unserer Beziehungen zu Grossbritannien2
Im grossen und ganzen erscheint unser bilaterales Verhältnis zu Grossbritannien zurzeit problemlos. Wir wissen, dass dies auch von britischer Seite so empfunden wird. Die Kehrseite dieses erfreulichen Bildes ist wohl unvermeidlich: Die öffentliche Meinung, vorab die hiesige Presse, beschäftigt sich nur wenig mit der Schweiz, erstaunlicherweise auch dann kaum, wenn hier für Grossbritannien so wesentliche Probleme wie Föderalismus (devolution) und direkte Demokratie (referendum) zu hitziger Debatte stehen. Ereignisse, die Aufsehen erregen (Jeanmaire3, SKA4), werden von den Boulevardblättern eher mit den üblichen Clichées, von den massgebenden grossen Zeitungen in der Regel mit Objektivität behandelt.
Das offizielle Grossbritannien, ich denke vor allem an die hohe Beamtenschaft, zeigt Interesse, Verständnis, ja Achtung für die Stellung der Schweiz in Europa und in der Welt. Sehr positiv ist hier etwa das aktive schweizerische Mitwirken an der internationalen Stützungsaktion der englischen Währung5 vermerkt worden (Healeys Dank an Bundesrat Brugger bei dessen Londoner Besuch6). Erwähnt sei noch die zuvorkommende Haltung, welche gerade Grossbritannien zur Zeit seiner EG-Präsidentschaft unserem Anliegen entgegenbrachte, der Ministerrat möge auf den Wiener EFTA-Gipfel7 angemessen reagieren. Es war Frank Judd, der mir damals erklärte, er freue sich für die künftige Gestaltung intensiver britischer Beziehungen zu den EFTA-Staaten insbesondere auch auf seinen Besuch in der Schweiz8. Der Staatsminister widmet sich zudem eingehend dem Europarat.
In diesem angenehmen Klima erfreut sich die Botschaft bester Beziehungen mit der hiesigen Verwaltung. Neben andern Ministerien bemüht sich vor allem das FCO sehr darum, unseren Informationsbedürfnissen so weit als nur möglich entgegenzukommen. Gegenseitige Besuche auf hoher und höchster Ebene9 tragen ohne Zweifel dazu bei, unser Verhältnis zu meinem Residenzland sowohl auf bilateraler Ebene wie auch im Rahmen multilateraler Organisationen und internationaler Konferenzen zu pflegen und weiter zu stärken.
Die wirtschaftlichen Beziehungen entwickeln sich normal10; von den schweizerischen Firmen in Grossbritannien hören wir kaum Klagen, es wäre denn die Sorge wegen des immer höher kletternden Schweizerfrankens, der im übrigen auch den britischen Tourismus in der Schweiz wesentlich beeinträchtigt, wogegen der Zustrom schweizerischer Touristen nach Grossbritannien ganz beträchtlich zugenommen hat. Die Schweizerbanken in London (die drei Grossen und Julius Bär) arbeiten mit gutem Erfolg. Kürzlich hat die Schweizerische Volksbank in London ein Verbindungsbüro eröffent, und Generaldirektor Bosshard ist vom bisherigen Ergebnis befriedigt. Nun wird der Schweizerische Bankverein demnächst in Manchester eine Filiale und in Edinburg ein Liaison-Office eröffnen, was ebenfalls auf das immer noch grosse Interesse der Banken am Geschäft mit und in Grossbritannien schliessen lässt. Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin, dass auch die schweizerischen Investitionen in Grossbritannien11 im Steigen begriffen sind.
In den vergangenen Jahren haben die schweizerischen Waffenkäufe in Grossbritannien12 eine ganz besondere Rolle gespielt, und es werden auch jetzt noch laufend – allerdings weniger umfangreiche – Geschäfte getätigt. Wenn sich gewisse Pläne des EMD13 verwirklichen lassen, so könnten sich auf diesem Sektor ganz neue Perspektiven eröffnen.
Die kulturellen Beziehungen sind recht rege und vielfältig14. Die Weltstadt London lockt viele hervorragende Künstler an, darunter namentlich Musiker, welche trotz vergleichbar niedrigen Gagen und wenig günstigem Pfundkurs gerne hier auftreten. Während aus Grossbritannien beste Orchester- und Theaterensembles jedes Jahr die Schweiz besuchen, gilt dies in der Gegenrichtung leider nicht im selben Masse. Erfreulicherweise werden indessen die kulturellen Beziehungen mit der Teilnahme der Zürcher Oper an den Festspielen 1978 in Edinburg einen seltenen Höhepunkt finden. Auf der anderen Seite wird die Scottish National Opera im Mai im Zürcher Opernhaus gastieren.
Abschliessend darf gesagt werden, dass hier unserem Land viel natürliche Sympathien und Gefühle echter Freundschaft entgegengebracht werden.
N.B. Mit nächstem Kurier werden Sie Kopie meines Schreibens15 erhalten, mit dem ich die Handelsabteilung des EVD über hiesige diskriminierende Praktiken orientiere, worüber sich schweizerische Unternehmen beklagen, welche für staatliche Aufträge mit britischen Firmen im Wettbewerb stehen.
- 1
- Notiz: CH-BAR#E2001E-01#1991/17#7475* (B.15.21.GB(5)).↩
- 2
- Vgl. dazu auch die Notiz von C. Caratsch an den Protokolldienst des Politischen Departements vom 5. Mai 1976, dodis.ch/51059.↩
- 3
- Zur Jeanmaire-Affäre vgl. DDS, Bd. 27, Dok. 47, dodis.ch/48692 und Dok. 51, dodis.ch/52005.↩
- 4
- Zur Chiasso-Affäre vgl. DDS, Bd. 27, Dok. 62, dodis.ch/49601 sowie das BR-Beschlussprot. II vom 5. Mai 1977 der 15. Sitzung des Bundesrats vom 27. April 1977, dodis.ch/49293.↩
- 5
- Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 42, dodis.ch/50205.↩
- 6
- Vgl. dazu die Notiz von F. Rothenbühler vom 14. März 1977, dodis.ch/51106.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 25, dodis.ch/48714, bes. Anm. 7; Dok. 33, dodis.ch/48716 sowie Dok. 183, dodis.ch/49374.↩
- 8
- Zum Besuch von F. Judd am 11. November 1977 vgl. das Schreiben von F. Judd an A. Weitnauer vom 18. November 1977, dodis.ch/51088; die Aufzeichnung von K. O. Wyss vom 6. Dezember 1977, dodis.ch/51089 sowie das Schreiben von E. Thalmann an A. Weitnauer vom 8. Dezember 1977, dodis.ch/51100.↩
- 9
- Vgl. dazu DDS, Bd. 16, Dok. 122, dodis.ch/336; DDS, Bd. 17, Dok. 68, dodis.ch/3880; DDS, Bd. 20, Dok. 40, dodis.ch/13134; DDS, Bd. 21, Dok. 68, dodis.ch/15417; DDS, Bd. 23, Dok. 99, dodis.ch/31418; DDS, Bd. 24, Dok. 95, dodis.ch/32418; DDS, Bd. 26, Dok. 155, dodis.ch/38724; die Notiz von H. Hausheer und J. Voyame vom Oktober 1975, dodis.ch/51073; die Aufzeichnung von K. O. Wyss vom Februar 1976, dodis.ch/51080; das Schreiben von E. Thalmann an A. Weitnauer vom 24. November 1976, dodis.ch/51081; die Aufzeichnung des Politischen Departements vom 24. Dezember 1976, dodis.ch/51083 sowie das Schreiben von E. Thalmann an P. R. Jolles vom 16. November 1978, dodis.ch/51117. Allgemein zur Besuchsdiplomatie vgl. DDS, Bd. 27, Dok. 111, dodis.ch/52297.↩
- 10
- Vgl. dazu die Notiz von H. U. Mazenauer vom 16. Februar 1977, dodis.ch/51104; die Notiz von M. Lusser an P. R. Jolles vom 1. März 1978, dodis.ch/51151 sowie die Notiz der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements vom 18. September 1978, dodis.ch/51144.↩
- 11
- Vgl. dazu das Schreiben von E. Thalmann an Ph. Lévy vom 14. November 1978, dodis.ch/51145.↩
- 12
- Zur Beschaffung der Fliegerabwehr-Lenkwaffe Bloodhound vgl. das BR-Prot. Nr. 2122 vom 21. November 1961, dodis.ch/30711; die Notiz von E. Diez an F. T. Wahlen vom 13. August 1964, dodis.ch/31877 sowie Doss. CH-BAR#E2001E#1978/84#3213* (A.14.41.32).↩
- 13
- Zum geplanten Erwerb des Flab Systems Rapier vgl. die Notiz von Ch. Blickenstorfer an F. Rothenbühler vom 28. September 1978, dodis.ch/51154 sowie das Schreiben von A. Kaech an Ch. Grossenbacher vom 14. Dezember 1978, dodis.ch/51160.↩
- 14
- Vgl. dazu die Notiz von P. Stauffer an die Politische Abteilung I des Politischen Departements vom 24. Oktober 1977, dodis.ch/51060 sowie die Notiz von J.-J. Indermühle vom 16. August 1978, dodis.ch/51211.↩
- 15
- Schreiben von E. Thalmann an P. R. Jolles vom 3. November 1977, dodis.ch/54064. Vgl. dazu ferner das Schreiben von W. Jaggi an H. Plüss vom 31. März 1978, dodis.ch/51149.↩
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