Überblick über die Lage der Wirtschaftsbeziehungen zur Tschechoslowakei: geschädigte schweizerische Grundbesitzer. Entschädigungsansprüche.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 16, doc. 89
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1970/217#2395* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1970/217 112 | |
Dossier title | Schweizer und schweiz. Interessen in der Tschechoslowakei (1946–1955) | |
File reference archive | B.31.0 • Additional component: Tschechoslowakei |
dodis.ch/48
STAND DER WIRTSCHAFTSBEZIEHUNGEN SCHWEIZ–TSCHECHOSLOVAKEI
Ich beehre mich, Ihnen im Nachstehenden einen Überblick über die derzeitige Situation unserer Wirtschaftsbeziehungen zur Tschechoslovakei zu erstatten.
Der reine Warenaustausch hat sich seit Beginn dieses Jahres günstig entwickelt und es darf angenommen werden, dass diese erfreuliche Entwicklung noch einige Zeitlang andauert, wenn auch gewisse Ermattungserscheinungen oder neu auftauchende Schwierigkeiten (insbesondere bei den Preisen) nicht aus dem Auge gelassen werden dürfen. Der beiderseitige Handelsverkehr hat sich besonders günstig zu Gunsten der Tschechoslovakei gestaltet, deren steigender Exportüberschuss (1 1/2 Milliarden Kronen während der ersten sieben Monate 1946) in erster Linie der grossen Aufnahmefähigkeit der Schweiz für tschechoslovakische Produkte und ihrer Grosszügigkeit beim Bezahlen hoher tschechoslovakischer Preise zu verdanken ist. Ein Ausfall der Schweiz als Handelspartnerin oder auch nur eine wesentliche Senkung ihrer Bezüge aus der Tschechoslovakei würde für Letztere eine Katastrophe bedeuten. Die Schweiz spielt im tschechoslovakischen Aussenhandel eine ungleich viel wichtigere Rolle als umgekehrt; sie nimmt weitaus den ersten Platz im tschechoslovakischen Gesamtaussenhandel ein, während die Tschechoslovakei nur ungefähr den 7. oder 8. Rang unter den Partnern des Schweizer Aussenhandels belegt. Darüber hinaus muss bemerkt werden, dass die in der Tschechoslovakei veröffentlichten Statistiken die Situation nicht in jeder Hinsicht wahrheitsgetreu schildern. Die Ziffern für den Austausch mit der Schweiz stimmen ziemlich genau, offenbar weil die anerkanntermassen genaue schweizerische Statistik allzu grosse Differenzen sofort in Erscheinung treten liesse. Dagegen stimmen die Ziffern für einige andere Länder offenbar weniger. Die Position der Schweiz ist sehr wahrscheinlich noch viel stärker, als dies nach den von der Statistik veröffentlichten Zahlen zum Ausdruck kommt.
Die Schweiz setzt der Einfuhr tschechoslovakischer Produkte praktisch keine Schwierigkeiten entgegen. Dagegen bedarf es fortwährender intensiver Bemühungen der tschechoslovakischen Importeure und dieser Gesandtschaft, die hiesigen Stellen zur Erteilung der nötigen Einfuhrbewilligungen für Schweizerwaren zu bewegen. Die tschechoslovakischen Stellen zeigen auch die Tendenz (z. B. im pharmazeutischen Sektor) womöglich nur noch Rohund Halbwaren aus der Schweiz herein zu lassen, unseren Fertigprodukten aber den Absatz in der Tschechoslovakei zu verwehren.
Wenn trotzdem die Gesamtsituation im Warenaustausch als sehr erfreulich bezeichnet werden kann und der hohe schweizerische Importüberschuss aus verschiedenen Gründen sehr erwünscht sein mag, so ist die Lage auf anderen Gebieten unserer Wirtschaftsbeziehungen mit der Tschechoslovakei leider weniger erfreulich. Mit Mühe gelang es zwar den schweizerischen Unterhändlern, einen teilweisen Finanztransfer sowie befriedigend funktionierende Überweisungen für den Reiseverkehr sicherzustellen2. Wie der Finanztransfer funktionieren wird, kann zwar noch nicht vorausgesagt werden. Völlig in der Luft hängen die zahlreichen schweizerischen Entschädigungsansprüche für Betriebe, welche auf Grund der Verstaatlichungsdekrete den bisherigen Besitzern enteignet wurden3. Die Art und Weise, wie einzelne Betriebe verstaatlicht oder unter nationale Verwaltung gestellt oder sonstwie ihren rechtmässigen schweizerischen Eigentümern entzogen wurden, mahnt nachgerade zum Aufsehen. Die Entschädigung ausländischer Besitzer verstaatlichter Betriebe ist zwar im Prinzip vorgesehen, doch sind die Resultate sämtlicher bisheriger Verhandlungen noch völlig ungewiss und es steht keineswegs fest, auf welche Weise die tschechoslovakische Regierung sich der ungeheuren Ansprüche der ausländischen Besitzer entledigen wird. Angeblich sollen ausländische Betriebe im Werte von 20 Milliarden Kronen verstaatlicht worden sein und das Ausland verlangt selbstverständlich Bezahlung in freien Devisen. Neben der Schweiz, die mit erheblichen Werten beteiligt ist, sind die USA, England, Frankreich, Schweden, Holland, Belgien usw. an dieser Frage interessiert.
Ausser dem schweizerischen Besitz an industriellen- und Versicherungsbetrieben bestehen erhebliche schweizerische Interessen in Form von Krediten, Hypotheken, Lizenzen, Aktienbeteiligungen und namentlich Grundbesitz. Über die gegen einen Teil der schweizerischen Grundbesitzer in der Tschechoslovakei aus rein politischen Gründen immer wieder ergriffenen, oft ans unerträgliche grenzenden Massnahmen tschechoslovakischer Behörden, Benachteiligungen und Belästigungen aller Art usw. ist Ihr Departement durch diese Gesandtschaft laufend orientiert worden. Trotz aller Bemühungen ist erst neulich wieder ein seit Jahrzehnten im Lande ansässiger Schweizer seines Grundbesitzes verlustig erklärt worden mit der Begründung, er sei deutscher Nationalität (es handelt sich um einen Deutschschweizer, der sich aber nie politisch irgendwie zu Gunsten einer deutschen Organisation betätigt hat)4. Ich bemerke, dass in dieser Frage gemäss einer mündlichen Mitteilung des Generalsekretärs des hiesigen Aussenministeriums, Botschafter Heidrich, im kommenden Monat endlich eine Verordnung erscheinen soll, die schweizerische Staatsangehörige ebenso wie italienische und solche alliierter Staaten in Zukunft vor solchen Übergriffen schützen soll5. Damit würde eine Ihnen seinerzeit gemeldete frühere Verordnung, wonach gegen Personen deutscher Nationalität ohne Rücksicht auf die Staatszugehörigkeit mit Konfiskationen und anderen Massregelungen vorgegangen werden kann6, wenigstens formalrechtlich aufgehoben. Was praktisch daraus wird, kann nur die Zukunft zeigen.
Der äusserst günstige Verlauf des Warenaustausches lässt die schlechte Situation auf den anderen Gebieten unserer Wirtschaftsbeziehungen besonders bedauerlich erscheinen. Die Gesandtschaft hat denn auch in letzter Zeit bei den massgebenden tschechoslovakischen Persönlichkeiten immer wieder darauf hingewiesen, dass dieser Zustand auf die Dauer nicht hingenommen werden kann. Ferner habe ich wiederholt durchblicken lassen, dass bei den nächsten Wirtschaftsverhandlungen, die schon im kommenden Monat stattfinden sollen, der gesamte Fragenkomplex zur Diskussion kommen muss7. Ich glaube, dass die tschechoslovakische Verhandlungsdelegation erwartet, von der schweizerischen Delegation zu hören, dass ohne vorgängige prinzipielle Einigung über eine befriedigende Regelung auf den andern Sektoren schweizerischerseits nicht Geneigtheit zur Unterzeichnung neuer Handelsvereinbarungen bestehe. Das starke Gewicht der Schweiz auf handelspolitischem Gebiete sollte allen vernünftigen schweizersichen Forderungen zum Durchbruch verhelfen können.
In diesem Zusammenhang erwähne ich, dass die Vereinigten Staaten im Laufe der gegenwärtig schwebenden Verhandlungen über die Erteilung grosser Kredite an die Tschechoslovakei, entsprechend ihrer auch auf anderen Gebieten schärfer gewordenen Haltung, nicht mehr das gleiche Entgegenkommen gegenüber Prag bekunden und nicht nur die Erteilung neuer, sondern auch die Bereitstellung schon früher genehmigter Kredite von Forderungen aller Art abhängig machen, z. B. Publikation aller tschechoslovakischen Handelsverträge, Zusicherung voller Entschädigung des amerikanischen Besitzes an verstaatlichten Betrieben usw. Die französischen Behörden scheinen ähnliche Wege zu beschreiten und dabei darauf abzustellen, dass die Tschechoslovakei gewisse Rohstoffe aus dem französischen Kolonialreich dringend benötigt. Da die Haltung z. B. der USA auch mit hochpolitischen Fragen verquickt ist, dürften die betreffenden Verhandlungen kaum rasch zum gewünschten Resultat führen. In hiesigen Regierungskreisen beklagt man sich über die steigenden Schwierigkeiten der Verhandlungen mit USA und empfindet besonders die politische Verklausulierung der amerikanischen Wünsche als unangenehm. Ohne Zweifel wäre man hier sehr glücklich, einen andern Kreditgeber zu finden. Neben den USA kommt aber derzeit höchstens die Schweiz in Frage, welche aus einer ganzen Reihe von wirtschaftlichen und politischen Gründen offenbar als Kreditgeberin den USA bei weitem vorgezogen würde. In tschechoslovakischen Wirtschaftskreisen würde man in einer solchen Lösung auch einen willkommenen Beweis dafür erblicken, dass die Tschechoslovakei sich ohne aussenpolitische Hemmungen mit einem «westlichen kapitalistischen» Staat über Kreditfragen einigen kann. Der umfangreiche Warenaustausch mit der Schweiz und insbesondere der fortwährend hohe Exportüberschuss im Verkehr mit unserem Lande scheint diese Überlegungen stark zu fördern. Auch die hin und wieder sichtbar werdende Tendenz eine allzu einseitige aussenpolitische Orientierung wenigstens durch Pflege guter Beziehungen mit einzelnen kleineren Staaten speziell mit der Schweiz und Schweden, zu mildern, wirkt in gleichem Sinne.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Prager Regierung in nächster Zeit mit Sondierungen dieser Art bei den zuständigen schweizerischen Stellen beginnt, umsomehr, als offenbar schweizerische Banken, welche schon vor einiger Zeit mit entsprechenden Angeboten an die hiesigen Stellen herangetreten sind, weiterhin Interesse für solche Transaktionen bekunden und vermutlich hoffen, durch eine Kredittransaktion den ganzen Fragenkomplex der schwierig lösbaren finanziellen und vermögensrechtlichen Beziehungen zur Tschechoslovakei auf eine andere, wenigstens rechtlich saubere Basis zu bringen8. Die Tatsache, dass die Schweiz Dollars im Überfluss besitzt, die Tschechoslovakei aber gerade Dollars sucht, gibt diesen Überlegungen weiteren Auftrieb, umsomehr, als nun, im Gegensatz zum vergangenen Jahre, durch das Abkommen von Washington9 eine ganze Reihe von Schwierigkeiten behoben erscheinen.
Mit Rücksicht auf den delikaten Charakter einzelner vorstehender Mitteilungen darf ich um streng vertrauliche Behandlung dieser Angaben und streng vertrauliche Orientierung der Handelsabteilung des Eidg. Volkswirtschaftsdepartements sowie allenfalls der Schweizerischen Nationalbank und der Schweizerischen Verrechnungsstelle bitten. Ich lege zu diesem Zwecke drei Kopien dieses Briefes bei.
- 1
- Schreiben (Kopie): E 2001 (E) 1970/217/112.↩
- 2
- Vgl. hierzu den BRB über den Zahlungsverkehr mit der Tschechoslowakei vom 3. September 1946, AS, 1946, Bd. 62, S. 781–787.↩
- 3
- Für die Unterlagen der Kommission für Nationalisierungsentschädigungen mit der Tschechoslowakei, vgl. E 9500.2/1970/231.↩
- 4
- Vgl. hierzu Notiz betreffend Konfiskation und Nationalisierungen in der Tschechoslowakei vom 30. September 1946. Vgl. auch E 9500.2/1970/231/1.↩
- 5
- Dokument nicht ermittelt. Vgl. hierzu das Rundschreiben des tschechoslowakischen Innenministeriums vom 25. August 1945, in welchem ausgeführt wird, dass schweizerische Staatsangehörige mit deutscher Muttersprache ohne weitere Identifizierung keinesfalls als Personen deutscher Nationalität und daher staatlich unzuverlässig betrachtet werden dürfen. Vgl. E 9500.2/1970/231/5.Trotz dieses Schreibens kam es in der Tschechoslowakei weiterhin zur Konfiszierung schweizerischen Eigentums.↩
- 6
- Vgl. hierzu das Dekret Nr. 12145 des Präsidenten der tschechischen Republik vom 21. Juni 1945. Vgl. E 9500.2/1970/231/5↩
- 7
- Betreffend die Wirtschaftsverhandlungen mit der Tschechoslowakei vom 14.–19. Dezember 1946, vgl. E 7110/1976/16/58 sowie E 2001 (E) 1/370.Schweizerischerseits wurde versucht, diese Verhandlungen an Verstaatlichungsfragen und den Transfer von Rückwandererguthaben zu knüpfen. Vgl. E 9500.2/1970/231/1.↩
- 8
- Vgl. hierzu die Besprechungen betreffend den Kredit an die Tschechoslowakei vom 30. September 1946, E 9500.2/1970/231/1. Für EVD und EPD war klar, dass vor einer Behandlung des Kreditbegehrens der Tschechoslowakei noch hängige Nationalisierungsfragen gelöst werden mussten.↩
- 9
- Betreffend das Washingtoner-Abkommen vom 25. Mai 1946 vgl. Thematisches Verzeichnis in diesem Band: Allgemeine Finanzbeziehungen.↩
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Nationalization of Swiss assets Washington Agreement (1946)