Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
II.15. ITALIE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 15, doc. 170
volume linkBern 1992
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1553#5830* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1000/1553 270 | |
Dossier title | Mussolini, Benito u. Rachele (1944–1945) | |
File reference archive | B.41.21 • Additional component: Italien |
dodis.ch/47774 Le Chef de la Division de Police du Département de Justice et Police, H. Rothmund, au Chef du Département de Justice et Police, Ed. von Steiger1
Die Lage an der Front in Italien2 entwickelt sich in einer Art und Weise, dass vielleicht schon in naher Zukunft Rückwirkungen auf die politischen Verhältnisse in Oberitalien eintreten können. Gewisse Pressemeldungen deuten dies an. Es muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass tiefgreifende personelle Änderungen in der Zusammensetzung der neofascistischen Regierung eintreten, wenn nicht sogar diese Regierung überhaupt mehr oder weniger ganz zur Seite geschoben wird. Es erscheint deshalb auch möglich, dass eine Reihe der zurzeit in Oberitalien, nahe der Schweizergrenze weilenden führenden neofascistischen Persönlichkeiten versuchen werden, als Flüchtlinge über die Schweizergrenze zu kommen. Zu diesen Persönlichkeiten ist vor allem auch Herr Mussolini zu rechnen.
Ein allfälliger Grenzübertritt des Herrn Mussolini würde die schweizerischen Behörden vor die sehr heikle Frage stellen, ob Asyl gewährt oder die Rückweisung verfügt werden soll. Die Erfahrungen mit den Fällen Alfieri, Edda Ciano und Bastianini zeigen, dass es jeweilen verhältnismässig lange dauert, bis die Stellungnahmen des Eidgenössischen Politischen Departementes und der Bundesanwaltschaft vorliegen und vom Bundesrat über Aufnahme oder Rückweisung entschieden werden kann. Das liegt nicht etwa daran, dass die Angelegenheiten von den verschiedenen interessierten Amtsstellen nicht rasch behandelt würden, sondern daran, dass Erkundigungen eingeholt werden müssen und dass jeweilen eine reifliche Abwägung aller Gründe, die für und wider eine Asylgewährung sprechen, notwendig ist. Während der Dauer dieser Prüfung geht aber unter Umständen sehr wertvolle Zeit verloren.
Sollte eines Tages Herr Mussolini sich genötigt sehen, die Flucht ins Ausland zu versuchen, so wird das voraussichtlich in einer Zeit geschehen, in der sich die Entwicklung der Lage in Oberitalien überstürzt und die Verhältnisse nahezu von Stunde zu Stunde ändern. Unter Umständen wird eine Rückweisung, sofern sie verfügt werden sollte, möglich und tunlich sein, wenn sie sofort nach Grenzübertritt durchgeführt wird, während sie vielleicht schon am folgenden Tage nicht wohl mehr vollzogen werden kann. Ich bin deshalb der Auffassung, dass man heute schon die Frage einer allfälligen Aufnahme oder Rückweisung des Herrn Mussolini einlässlich prüfen und den allenfalls notwendigen Entscheid des Bundesrates vorbereiten oder sogar zum voraus treffen sollte.
Es ist allerdings nicht üblich, in solchen Angelegenheiten Entscheide zu treffen für Tatbestände, die noch gar nicht eingetreten sind und möglicherweise auch gar nicht eintreten werden. Der Entscheid über eine allfällige Aufnahme des Herrn Mussolini wird aber, wie bereits gesagt, voraussichtlich sehr rasch getroffen werden müssen, wenn er praktisch soll durchgeführt werden können, und er wird auch von ausserordentlicher Tragweite für die aussenpolitische Stellung der Schweiz sein. Ich glaube deshalb, dass es sich rechtfertigt, unter diesen besondern Umständen einmal einen Entscheid zu treffen für einen vorläufig noch hypothetischen Fall. Die Gründe, die für und wider die Aufnahme des Herrn Mussolini sprechen, dürften heute schon abschliessend beurteilt werden können. Es ist nicht anzunehmen, dass Dinge Vorkommen, die einen heute getroffenen Entscheid noch wesentlich beeinflussen und als unrichtig erscheinen lassen könnten, vorausgesetzt, dass ein Grenzübertritt im Laufe der nächsten paar Monate stattfinden sollte.
Ich erlaube mir deshalb, anzuregen, die Frage einer allfälligen Asylgewährung an Herrn Mussolini sei heute schon in der gebotenen diskreten Art und Weise mit dem Eidg. Politischen Departement und mit der Bundesanwaltschaft zu prüfen und eventuell dem Bundesrat zur Stellungnahme zu unterbreiten.
Zur materiellen Frage, ob Herrn Mussolini gegebenenfalls Asyl gewährt werden sollte oder nicht, möchte ich meinerseits nicht Stellung nehmen, da dies eine hochpolitische Frage ist, zu deren Beurteilung ich mich nicht für zuständig erachte. Ich möchte lediglich auf meine Ausführungen verweisen, die ich mit meinen Schreiben vom 28. Oktober und 5. November 1943 zum Fall Alfieri gemacht habe3. Ich habe damals einlässlich auseinandergesetzt, weshalb es mir grundsätzlich untragbar erscheine, führende fascistische Persönlichkeiten als Flüchtlinge in der Schweiz aufzunehmen. Ich habe aber beigefügt, dass es unter diesen Persönlichkeiten allerdings auch Männer gebe, die unserem Lande gegenüber stets eine wohlwollende Haltung eingenommen hätten, weshalb ihnen m.E. das schweizerische Asyl nicht verweigert werden sollte. Ich halte die damals gemachten Überlegungen nach wie vor für richtig und auch auf Herrn Mussolini anwendbar. Nun ist bekannt, dass Herr Mussolini als italienischer Regierungschef der Schweiz gegenüber im allgemeinen eine wohlwollende Haltung eingenommen hat. Das spräche somit für Asylgewährung. Demgegenüber ist aber nicht zu übersehen, dass in der Zwischenzeit namentlich der Prozess gegen die frühem Mitglieder des Grossen Fascistenrates stattgefunden hat und dass wohl Herrn Mussolini ein grosser Teil der Verantwortung für die Durchführung dieses Prozesses und für die gefällten Todesurteile trifft. Die Hinrichtung einer grössern Zahl von Mitgliedern eines verfassungsmässigen Rates nur allein deshalb, weil sie es wagten, wenigstens einmal in einer Abstimmung gegen die Auffassung des Regierungschefs zu stimmen, verstösst derart gegen die staatspolitischen Auffassungen unseres Volkes, dass man sich fragen muss, ob es nicht von vornherein schon mit der Würde und dem Ansehen unseres Landes nicht vereinbar wäre, die Frage der Asylgewährung an Herrn Mussolini überhaupt ernsthaft zu diskutieren.
Ausser Herrn Mussolini könnten eines Tages auch andere Herren des neofascistischen Regimes versuchen, als Flüchtlinge in die Schweiz zu kommen, wie z. B. Herr Dr. Pavolini und Herr Farinacci4. Ich werfe absichtlich die hier für Herrn Mussolini gestellte Frage nicht auf, wie ich sie nicht aufwerfen möchte beispielsweise für die Herren Laval5 und Darnand, die ebenfalls vielleicht schon in kurzer Zeit den Versuch unternehmen könnten, als Flüchtlinge in die Schweiz zu kommen, und schon gar nicht für die Herren Hitler, Goering, Himmler und Goebbels. Denn ich betrachte es als selbstverständlich, dass diesen Herren schweizerischerseits das Asyl verweigert werden müsste6.
- 1
- E 2001 (D) 3/270. Cf. aussi E 4001 (C) 1/284.↩
- 2
- A ce sujet et sur le risque d’un afflux de réfugiés italiens en Suisse, cf. notamment le rapport du Consul général de Suisse à Milan du 22 juin 1944 (E 2300Rom/47).↩
- 3
- A ce sujet, cf. ci-dessus No 41, ainsi queE 2001 (E) 1/91, E 2809/1/4 et E 4001 (C) 1/282.↩
- 6
- Annotation, en tête du document, de Pilet-Golaz pour Bonna: Je n’aime pas beaucoup que l’on traite ces questions par écrit. Nous conférerons. 5.7.44. Annotation de Bonna: J’ai exposé verbalement nos vues à M. Rothmund. 17/7.↩
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