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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 14, doc. 383
volume linkBern 1997
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#J1.131#1000/1395#53* | |
Ancienne cote | CH-BAR J 1.131(-)1000/1395 8 | |
Titre du dossier | Verschiedenes (1939–1944) | |
Référence archives | N.5 |
dodis.ch/47569
Ich fühle mich verpfichtet, Ihnen von folgender Angelegenheit Kenntnis zu geben, nicht nur weil sie auf meine hiesige Stellung und Tätigkeit von einem gewissen Einfluss sein könnte, sondern auch weil sie mir für die Beurteilung der schweizerisch-deutschen Beziehungen von Interesse zu sein scheint:
Wie Sie wissen, hatte ich bis jetzt sehr gute, ja freundschaftlich-herzliche Beziehungen mit dem hiesigen offiziellen diplomatischen Vertreter Deutschlands, Minister Krug von Nidda, und seiner Frau, einer gebürtigen Bernerin. Trotzdem gelegentlich, wie nicht zu verwundern, die politischen Meinungen aufeinander platzten, war der Ton immer freundschaftlich und es blieb nie die geringste persönliche Verstimmung zurück.
Gestern war ich von Marschall Pétain in sein Landgut in der Nähe von Vichy zum Abendessen im kleinen Kreise eingeladen. Von ändern Diplomaten waren nur Herr v. Krug und seine Frau noch anwesend. Trotzdem ersterer eine gewisse Verstimmung, dass ich und nicht er zur Rechten der Marschallin gesetzt war, - was durchaus dem hiesigen Protokoll entspricht - nicht ganz verstecken konnte, verlief das Essen durchaus angenehm und ruhig. Auf nachdrückliche Einladung begab ich mich nachher noch zu einem Glase Wein in die Privatwohnung meines Kollegen, wo wir zu Dritt, über alles Mögliche plaudernd, eine Flasche Wein tranken, die, wie er sagte, nur besondere Freunde vorgesetzt erhalten.
Plötzlich hörte man zahlreiche Flugzeuge über die Stadt fliegen und K[rüg von Nidda] bemerkte recht bissig «Aha, da sind wieder ihre Freunde». Ich bemerkte sehr ruhig, wir hätten politisch weder Freunde noch Feinde, und das Gespräch ging weiter. In seinem Verlauf machte K. eine sehr abfällige Bemerkung über den von einem Dänen, den wir beide kennen, gegen Deutschland gezeigten Hass. Ich antwortete, man müsse doch wohl die Gefühle gerade der Dänen, die, ohne dass Deutschland auch nur versucht hätte, ihnen etwas vorzuwerfen, nun seit Jahren besetzt und ihrer Freiheit beraubt sind, verstehen. Hierauf:
K. es ist lächerlich, dieser par Regimenter wegen eine solche Geschichte zu machen und zu vergessen, dass Europa endlich zusammengeschweisst werden muss und sich gegen die gemeinsamen Feinde zu verteidigen hat.
St. gerade dieser «par Regimenter wegen» würden auch wir Schweizer uns bis zum Äussersten wehren. Ein geeinigtes Europa unter deutscher Domination, unter deutschen Bajonetten ist nicht möglich, sowenig als wir eine französische, englische, italienische oder gar russische Domination ertragen könnten.
K, (erregt) für Europa kommt nur eine deutsche Führung in Frage, das andere sind «Untervölker», es ist unerhört, dass Sie, ein Deutschschweizer, also ein Germane, das nicht anerkennen wollen. Aber natürlich, aus Ihnen spricht der Geist des «Bourgeois», der an der ganzen Katastrophe schuld ist. Deutschland wird Europa führen und zwar sozialistisch, oder Europa wird untergehen. Die Haltung der kleinen europäischen Staaten ist einfach skandalös und dass die deutsche Schweiz diese Haltung einnimmt, ist das Schlimmste. Statt uns zu verstehen und uns zu helfen, feindet man uns an. Deutschschweizer, also Germanen, die die weltgeschichtliche Aufgabe des Germanentums begriffen haben und uns zu helfen suchen, werden als Spione von «germanischen» Militärgerichten zum Tode verurteilt und erschossen2 während der Mörder eines Gustloff3 unbehelligt blieb. Ein sehr angesehener Beamter der Reichsbank, Streibel, wurde in der Schweiz verhaftet, man hat ihm sogar den Kurriersack abgenommen4. Es ist einfach unerhört, wie sich die Schweiz, die deutsche Schweiz, uns gegenüber einstellt.
Krug hatte sich in eine derartige Erregung hineingesprochen, dass seine Frau mehrfach und angstvoll zu intervenieren und zu beruhigen suchte.
Ich stand auf und erklärte ganz ruhig, es sei mir nicht länger möglich, als Gast in einem Hause zu weilen, wo derartig ungerechte Vorwürfe gegen mein Land erhoben würden. Wollte ich antworten, so müsste das zu einer Spannung führen, die ich vermeiden möchte. Ich wollte Herrn v. Krug die Hand zum Abschied reichen, er übersah sie geflissentlich, blieb sitzen und sprach kein Wort der Entschuldigung oder der Versöhnung. Äusserst aufgeregt begleitete mich seine Frau zur Türe, beschwor mich, nicht so wegzugehen und versuchte, ihren Mann mit Überarbeitung und Nervenüberreizung zu entschuldigen5.
- 1
- Lettre: CH-BAR#J1.131#1000/1395#53*.↩
- 2
- Cf. No 248, note 5.↩
- 4
- Le 2 juillet, le Chef de la Division des Affaires étrangères du DPF, P. Bonna, transmet à Stucki les renseignements suivants sur le cas Streibel: Am 10. Mai d. J. wurde zur Verhaftung zweier deutscher Staatsangehöriger geschritten: der Herren Friedrich Streibel, Leiters der Generalvertretung der Deutschen Reichsbahnzentrale für den Deutschen Reiseverkehr in Zürich und früheren Leiters des Reichsbahnbüros in Paris, und Hans von Koenitz, Vertreters der Deutschen Lufthansa in Zürich. Beide waren militärischer Spionage zum Nachteil der Schweiz verdächtigt, und ihre Gefangennahme erfolgte auf Anordnung der Militärgerichtsbehörden. An Herrn Streibel wurde sie in Basel vollzogen, als er von Paris kommend in die Schweiz einreiste. Er war Träger eines Ministerialpasses und leistete Kurierdienst zwischen der Deutschen Botschaft in Paris und der Deutschen Gesandtschaft in Bern. Doch konnten ihn selbstverständlich weder der Besitz eines solchen Passes noch die Tätigkeit als Gelegenheitskurier polizeilichem Zugriff entziehen, da Ministerialpässe und Kurierdienste keinerlei Immunität verleihen, sondern bloss Anspruch auf zuvorkommende Behandlung geben. Selbst der diplomatische Charakter der Kuriergegenstände erschien mit Rücksicht auf den Verhaftungsgrund recht zweifelhaft. Trotzdem sind in dieser Hinsicht alle üblichen Vorrechte eingeräumt worden, d. h. der Kurierpli wurde Streibel nicht abgenommen, sondern in dessen Anwesenheit unverzüglich und unangetastet dem Deutschen Konsulat in Basel ausgefolgt. Weder in Berlin noch auf der hiesigen Deutschen Gesandtschaft wurde das Recht zur Verhaftung eines Gelegenheitskuriers mit Ministerialpass in Abrede gestellt, und man hat sich beiderorts im wesentlichen darauf beschränkt, mit Nachdruck auf die gehobene Stellung des Herrn Streibel und auf das Aufsehen hinzuweisen, das die Inhaftierung eines Trägers eines Ministerialpasses erregen müsse. Auch uns ist das Ungewöhnliche einer solchen Verhaftung durchaus bewusst. Sie war aber unumgänglich und musste leider auch bis heute aufrechterhalten bleiben. Herr Streibel scheint nämlich recht schwer belastet zu sein. Es soll erwiesen sein, dass er schon seit längerer Zeit seine Dienste dem deutschen Spionagedienst dadurch zur Verfügung gestellt hatte, dass er Spione zur Erstattung von Nachrichten aufforderte, diese auf sicherem Weg weiterleitete und ihre Verfasser im Aufträge des deutschen Nachrichtendienstes entlöhnte. Bei dieser Sachlage konnte von einer Verhaftung nicht Umgang genommen werden, und es liess sich auch selbstverständlich eine sofortige Freilassung Streibels nicht in Aussicht nehmen. Die deutschen Behörden sind sowohl auf dem Wege über die deutsche diplomatische Vertretung in der Schweiz als auch durch unsere Gesandtschaft in Berlin hierüber nicht im Unklaren gelassen worden. Sur cette affaire, cf. ci-dessus No 356, note 5.↩
- 5
- Dans son rapport politique envoyé le 9 juillet suivant à Pilet-Golaz, W. Stucki revient longuement sur l’incident avec Krug von Nidda, et écrit que: Seither[depuis l’incident]habe ich zwei weitere Einladungen erhalten, beide aber abgelehnt[Pilet-Golaz a noté dans la marge: bien]. Da mich Frau Krug von Nidda tags darauf besuchte, um mir mit Wissen ihres Mannes ihr Bedauern auszudrücken und ihn mit Überarbeitung entschuldigte, so hatte ich keine Veranlassung die Beziehungen überhaupt abzubrechen [Pilet-Golaz a noté dans la marge: très bien]. Wir haben uns seither an drittem Ort gesehen und korrekt begrüsst. Er macht sichtlich Anstrengungen, um die früheren freundschaftlichen Beziehungen wieder aufleben zu lassen. Ich glaube nicht, dass dies möglich sein wird, werde aber meinerseits alles tun, damit diese Beziehungen korrekt bleiben (E 2300Paris/96).↩
Tags
France (Politique)
Régime de Vichy