Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
B. AVEC LES ÉTATS EUROPÉENS NON LIMITROPHES
6. Grande-Bretagne
6.1. Affaires politiques et militaires
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 13, doc. 226
volume linkBern 1991
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2300#1000/716#486* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2300(-)1000/716 233 | |
Titolo dossier | London, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 34 (1940–1940) |
dodis.ch/46983
Ich bin heute vom britischen Aussenminister empfangen worden.
Lord Halifax ist ein typischer Brite, gross, hager, blond, mit ernstem energischem Gesichtsausdruck. 59 Jahre alt, zeigt er keine Spur von Übermüdung, trotz der ausserordentlichen Arbeitslast und Verantwortung, die auf ihm ruhen, und hat Sinn für Humor. Der Empfang, dessen ursprüngliches Datum wegen Erkältung des Aussenministers und meiner selbst - es herrscht zurzeit eine leichte Grippeepidemie - verschoben werden musste, war ausserordentlich freundlich.
Nach den üblichen einleitenden Höflichkeitsformeln erkundigte sich Lord Halifax nach den Verhältnissen in der Schweiz. Ich benützte die günstige Gelegenheit, um ihn kurz - im Vorzimmer warten bereits drei Herren - über politische, militärische und ökonomische Fragen aufzuklären. Dabei hatte ich besonders auch die Aufgabe der vorgestern hier eingetroffenen Handelsdelegation im Auge.
Ich wies darauf hin, dass der Krieg der Schweiz, die nach wie vor eine strikt neutrale Politik verfolge, grosse Schwierigkeiten bringe; diese hängen hauptsächlich damit zusammen, dass zwei der kriegführenden Staaten unsere Nachbarn seien, wovon der eine, Deutschland, seit Anschluss Österreichs eine besonders lange Grenze mit uns habe. Wegen der in den letzten Jahren sich zuspitzenden politischen Lage in Europa und der Möglichkeit eines Krieges habe unser Land schon vor Längerem umfassende militärische Vorbereitungen getroffen, deren Kosten in viele hundert Millionen Schweizer franken gehen. Seit Kriegsausbruch sei unsere Armee mobilisiert; die täglichen Ausgaben für die Truppe und den stets fortschreitenden Ausbau der Bewaffnung und Befestigungen bedeuten eine weitere schwere finanzielle Belastung.
Diese finanzielle Last würde umsomehr empfunden, als gleichzeitig auch unser Export eine starke Einbusse erlitten habe und der Import wegen der Blockade Schwierigkeiten ausgesetzt sei. Der Export von Luxuswaren nach den kriegführenden Staaten sei aus Devisenrücksichten der Letzteren auf ein Minimum zusammengeschmolzen; auch nach neutralen Ländern habe dieser Export eine starke Abnahme erfahren. Ich erwähne besonders die Uhrenindustrie, ferner die Textilen und Stickereien. Lord Halifax frägt mich in diesem Zusammenhang, ob dies auch Arbeitslosigkeit zur Folge habe, was ich bestätige und beifüge, dass es gewissen Industrien eben nicht möglich sei, sich auf andere Wirtschaftszweige umzustellen. Als Beispiel führe ich Qualitätsarbeiten der Uhrenindustrie, ferner auch die St. Gallische Stickerei- und Spitzenindustrie an. Auch für die Hotelindustrie, die schwer betroffen, sei eine Umstellung ausgeschlossen.
Was nun speziell den Verkehr zwischen der Schweiz und England anbelange, bringe man dem Umstande, dass England sich im Kriege befinde und aus Valutaerwägungen gewisse Waren nicht im gleichen Umfange weiter importieren wolle, Verständnis entgegen, doch hoffe man anderseits, dass auch England unsere Lage verstehe; eine zuweitgehende Unterbindung unserer bisherigen Exporte könnte von unserer Wirtschaft kaum ertragen werden. Wenn ich Englands Wirtschaftspolitik richtig verstehe, gehe sie aus Valutagründen dahin, ausgeglichene Handelsbilanzen anzustreben. Die Schweiz habe bis anhin mit England eine aktive Handelsbilanz gehabt, die nun durch die englischen Importeinschränkungen, was den Normalverkehr anbelange, negativ werde.
Wenn die Zukunft vielleicht dennoch einen Aktivsaldo aufweise, so einzig nur wegen der weitgehenden Bestellungen von Kriegsmaterial, die ja England dringend benötige; gerade diese Bestellungen bereiten uns aber viel Kopfzerbrechen. Die schweizerische Armee habe bald nach Kriegsausbruch für eigenen Bedarf die schweizerische Industrie im grössten Aumass in Beschlag nehmen müssen. Eine gut ausgerüstete, zur Verteidigung bereite schweizerische Armee sei für alle wertvoll und wohl besonders für Frankreich und England. Was eine solche Armee bedeute, selbst gegen eine gewaltige Übermacht, könne man in Finnland sehen; was in Finnland die Wälder, bedeuten in der Schweiz die Berge. Trotz der weitgehenden Beanspruchung unserer Industrie für eigene äusserst wichtige Zwecke, bringe man aber den Wünschen Englands für Armeelieferungen Verständnis entgegen; es sei mir angenehm, mitteilen zu können, dass man die englischen Armeelieferungen soviel wie möglich in wohlwollende Erwägung gezogen habe; man werde demnächst in dieser Frage Bericht erstatten (Ich konnte diese Auskunft geben, da die Gesandtschaft am gleichen Vormittag von Herrn Fierz den verdankenswerten Bericht2 erhielt, er denke, man könne im Prinzip das Minimalprogramm für die englischen Militärbedürfnisse erfüllen. Die Verwendung dieser ausführlicheren Mitteilung wollte ich für die Wirtschaftsdelegation reservieren).
Von englischer Seite sei im Hinblick auf diese grossen Bestellungen in der Schweiz der Wunsch nach einer Zahlungsabmachung in Kreditform geäussert worden; es handle sich um circa 100 Millionen Schweizerfranken, ein Beitrag, der angesichts der vorgeschilderten finanziellen Lasten für unsere eigene Armee und der allgemeinen Wirtschaftslage sehr bedeutend sei; auch müssten wir mit solchen Krediten wegen unserer neutralen Stellung und eventuellen ähnlichen Forderungen von anderer Seite sehr vorsichtig sein. Für den Fall, dass überhaupt ein Kredit gewährt würde, sollte hiefür eine solche Form gewählt werden, die den Kredit nicht mit den Armeelieferungen in Verbindung bringe. Aus den vorerwähnten Gründen könne eventuell wohl nur ein Kredit von Seiten von Privatinstitutionen in Frage kommen. Trotz all diesen Schwierigkeiten würde auch die Kreditfrage einer wohlwollenden Prüfung unterzogen werden.
Lord Halifax nimmt von den vorstehenden Ausführungen mit lebhaftem Interesse Kenntnis. Insbesondere schien ihm die Mitteilung betreffend die Kriegslieferung angenehm; er versichert mir in diesem Zusammenhang, das man in England in höheren Militärkreisen sich durchaus Rechenschaft gebe von den Schwierigkeiten der Schweiz; ich schliesse daraus, dass eine zuvorkommende Haltung der Schweiz betreffend die dringend erwünschten Militärlieferungen englischerseits als ein wirkliches Entgegenkommen eingeschätzt wird und dass wir demgemäss auch ein Entgegenkommen Englands zugunsten unserer Anliegen fordern können.
Der Aussenminister stellt mir dann die Frage, ob man in der Schweiz einen deutschen Angriff als wahrscheinlich betrachte. Ich antworte mit dem Hinweis darauf, dass neulich unser höchster Offizier, General Guisan, sich in einer Rede dahin geäussert habe, dass die Schweiz unbedingt auf alle Eventualitäten gefasst und bereit sein müsse3. Von welcher Seite ein Angriff in erster Linie von uns befürchtet werde, würde Lord Halifax wohl ohne Nennung eines speziellen Landes meinerseits verstehen.
Lord Halifax äussert daraufhin die Ansicht, dass Deutschland sich einen Angriff auf die Schweiz doch zweimal überlegen werde. Erstens einmal allein schon aus wichtigen militärischen Gründen, dann aber auch aus politischen Erwägungen. Die Schweiz habe in der Völkerfamilie eine ganz besondere Stellung. Sie geniesse ein so grosses Ansehen im Ausland, deren unbedingte Neutralität sei so allgemein bekannt, dass ein Angriff Deutschlands auf die Schweiz dem deutschen Prestige einen derart schweren Schaden zufügen würde, dass man annehmen könne, es würde von einem solchen Schritte absehen. Er fügt allerdings bei, dass leider derartige Erwägungen in Berlin bei der Beurteilung militärischer Aktionen offenbar nicht immer die genügende Beachtung finden. Trotz dieses Nachsatzes habe ich den Eindruck gewonnen, dass Lord Halifax allerdings ohne absolute Überzeugung zur Ansicht neigt, Deutschland werde aus den von ihm angeführten Gründen von einem Angriff auf die Schweiz wenn immer möglich Umgang nehmen.
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