Classement thématique série 1848–1945:
VI. AFFAIRES DE PRESSE, CENSURE, PROPAGANDE ET OPINION PUBLIQUE
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 13, Dok. 56
volume linkBern 1991
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2001D#1000/1551#3334* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2001(D)1000/1551 103 | |
Dossiertitel | Unterredungen der Ganeralstabsabteilung mit Oberstlt. Ilsemann, deutscher Militärattaché, und Legationsrat von Bibra über angeblich einseitige Grenzschutzmassnahmen gegenü (1939–1939) | |
Aktenzeichen Archiv | B.51.20.6 |
dodis.ch/46813
Le Sous-Chef de l’Etat-Major Général de l’Armée, H. Frick, au Chef de l’Etat-Major Général de l’Armée, J. Labhart1
Herr Oberstkorpskommandant melde ich, dass gestern, 27.3. kurz nach 1800 der deutsche Militärattache, Oberstlt. von Ilsemann, bei mir anrief und um eine Unterredung, möglichst noch am Abend bat. Ich empfing ihn ca. 1830 und zog, nachdem ich den Inhalt der Anfrage kannte, auch Oberstlt. Masson zu den Unterredung bei. Oberstlt. von Ilsemann schien sehr besorgt wegen unserer Massnahmen2, indem ihm gerüchteweise und wohl auch durch Presseäusserungen zugetragen worden war, es handle sich um einseitig gegen Deutschland gerichtete Massnahmen. Herr v. Bibra habe diesbezüglich mit Legationsrat Dr. Feldscher vom Politischen Departement gesprochen, der ihn auf mich verwiesen habe3.
Ich habe Herrn von Ilsemann sofort erklärt, dass diese Massnahmen keineswegs einseitig gegen Deutschland gerichtet seien, sondern auf allen Fronten ganz genau gleich befohlen worden seien. Ich habe ihm auch angedeutet, dass die Notwendigkeit Vorgelegen habe, eine auf Grund der Spannungen und Ereignisse der letzten Zeit entstandene und an sich verständliche Beunruhigung unseres Volkes durch Vorkehren militärischer Natur zu beruhigen. Ich habe Herrn von Ilsemann auch erneut erklärt, dass sowohl von Seiten des Bundesrates als der militärischen Instanzen peinlich genau - auch hinsichtlich der militärischen Vorkehren - unsere Neutralitätspolitik gewahrt werde.
Herr von Ilsemann wollte ferner gehört haben, dass Wiederholungskurse an die Nordfront verlegt worden seien. Ich stellte dies der Wahrheit gemäss sofort des Bestimmtesten in Abrede.
Schliesslich wiesen wir Herrn von Ilsemann darauf hin, dass die Schweiz, die keine stehende Truppen besitze, zweifellos genötigt sei, Vorkehren für ihre Sicherheit zu treffen in einer Zeit, wo alle umliegenden Staaten Massnahmen der Kriegsvorbereitung treffen. Daraus könne unmöglich geschlossen werden, dass sich diese gegen irgend einen Nachbarn besonders richteten.
Nach der Unterredung mit Oberstlt. v. Ilsemann wurde mir bekannt, dass Legationsrat v. Bibra Legationsrat Feldscher mitgeteilt habe, ich hätte in einem Gespräch zugegeben, dass wir nur gegen Deutschland Befestigungen errichteten. Ich stellte dann heute früh fest, dass Herr v. Bibra tatsächlich eine derartige Aussage gegenüber Herrn Dr. Feldscher gemacht hatte. Da gerade das Gegenteil wahr war, rief ich unverzüglich Herrn v. Bibra an und teilte ihm mit, ich hätte vernommen, dass er die oben erwähnten Äusserungen getan habe. Er bestritt dies sofort und erklärte der Wahrheit gemäss, dass ich ihm den Rückstand der Westbefestigungen gegenüber den Nordbefestigungen aus rein militärgeographischen Rücksichten erklärt habe. Die ganze Sache bezog sich auf ein Gespräch bei einem gesellschaftlichen Anlass kurz nach der Septemberkrise, wo Herr v. Bibra mir wieder einmal seine Besorgnisse wegen unserer Neutralität vortrung und u[nter\ &[nderem\ sagte, wir befestigten ja nur gegen Deutschland. Ich habe ihm damals sofort mit aller Deutlichkeit geantwortet, dass dies den Tatsachen nicht entspreche, indem in der besonders gefährdeten Gegend unserer Westfront im Abschnitt Ste. Croix - Vallorbe schon ein sehr starker Festungsgürtel angelegt sei. Ich fügte bei, dass wir die Dringlichkeitsordnung unserer noch nicht beendigten Befestigungsbauten nach rein militärgeographischen und nicht nach politischen Gesichtspunkten getroffen hätten, und da könne doch kein Zweifel walten, dass der Jura ein unendlich schwierigeres Gelände sei als die ganze Nordfront.
Aus der nachträglich abgestrittenen Äusserung des Herrn v. Bibra an Herrn Dr. Feldscher kann nur vermutet werden, dass er versuchte, Herrn Dr. Feldscher gewissermassen «aus dem Busch zu klopfen».
Im weiteren Verlauf der telefonischen Unterredung mit Herrn v. Bibra sagte dieser dann, es wären eben in der Presse (er nannte das Volksrecht) Artikel erschienen, die offen sagten, unsere ganzen Massnahmen richteten sich nur gegen Deutschland. Nachdem er nun gestern nach meiner Unterredung mit Oberstlt. von Ilsemann ein beruhigendes Telegramm nach Berlin gesandt habe, wäre es doch peinlich, wenn ihm nun von Berlin aus der betreffende Artikel als eine Art Gegenbeweis gegen seine Nachrichten gesandt würde. Ich erklärte daraufhin, er müsste doch unsere schweizerischen Verhältnisse hinreichend kennen, um zu wissen, dass derartige Äusserungen der Linkspresse keinerlei Bedeutung für die Haltung der Regierung und der verantwortlichen militärischen Instanzen besässen. Herr v. Bibra kam dann ebenfalls auf die Frage der VerSchiebung von Wiederholungskursen an die Nordgrenze zu sprechen. Anlässlich einer gesellschaftlichen Veranstaltung habe ihm jemand - auf Befragen sagte er, ein Schweizer - lächelnd gesagt, in Basel sei ein Tessiner Regiment. Es soll dabei auch eine Nummer genannt worden sein: 72 oder 73. Ich erklärte sofort ganz bestimmt, dass weder von uns irgend ein Befehl zur Verschiebung von Wiederholungskursen an die Nordgrenze gegeben worden sei, noch irgend jemand sonst in der Lage wäre, derartiges zu befehlen. Es sei ausgeschlossen, dass ein Tessiner-Regiment in Basel sei, übrigens seien diese Nummern keine Tessinernummern und die Bataillone, die diese Nummern trügen, stünden gar nicht im Dienst. Wenn überhaupt ein Anlass zu solchem Gerücht bestände, so könnte es höchstens daraus entstanden sein, dass sich irgendwelche Rekruten dieser Bataillone während ihres normalen Sonntagsurlaubs in Basel befunden hätten, was bei uns jederzeit Vorkommen könnte, da die Rekruten während des Sonntagsurlaubes ermächtigt seien, zu reisen wohin sie wollen.
Ich habe schliesslich Herrn v. Bibra erneut erklärt, und zwar unter Berufung auf meine Eigenschaft als Soldat, dass wirklich nicht der geringste Grund für die Befürchtung vorliege, als stellten wir uns einseitig gegen Deutschland. Der Bundesrat sei - und unser Volk mit ihm - nach wie vor auf dem Standpunkt strengster Neutralität und würde in dieser Auffassung auch von den verantwortlichen militärischen Instanzen mit aller Energie unterstützt. Ich fügte bei, dass man es doch in Deutschland verstehen müsse, wenn die kleine Schweiz, die über keine stehenden Truppen verfüge, gewisse Sicherheitsmassnahmen treffe in einer Zeit, wo dies auch die Grossmächte um uns herum in mehr oder weniger grossem Massstabe täten.
Ich habe den Eindruck, Herrn v. Bibra durch die Unterredung beruhigt zu haben.
Ich habe nachher mit den Herren Minister Bonna, Dr. Feldscher und Rezzonico vom Politischen Departement die Sache besprochen. Wir suchten bei dieser Gelegenheit den betreffenden Volksrechtartikel heraus4, der in der Tat unglaublich ist (siehe Beilagen5).Da uns allen der Tatbestand einer Verletzung der bundesrätlichen Verordnung betreffend Massnahmen gegen staatsgefährliche Umtriebe zum Schutze der Demokratie vom 5.12.386 gegeben erschien, habe ich Herrn Bundesanwalt Stämpfli gebeten, gegen das Blatt vorzugehen. Es ist vielleicht erwünscht, wenn auch von Seiten des Herrn Departmentsvorstehers in der Sache beim Herrn Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartments noch ein Vorgehen gegen das Blatt nachdrücklich verlangt wird.
Aus der ganzen Angelegenheit werden meines Erachtens folgende Punkte klar:
1. Das Vorgehen unserer Linkspresse bringt uns in eine immer grössere Gefahr. Sie vor allem ist dafür verantwortlich, dass deutscherseits immer wieder der Verdacht auftaucht, wir halten unsere Neutralität nicht ein. Wer Gelegenheit hat, hie und da mit deutschen Diplomaten zusammenzutreffen, kann das immer wieder feststellen, wie ich von verschiedenen Seiten weiss. Wenn wir uns nicht endlich entschliessen, hier schärfere Seiten aufzuziehen, kann uns dies eines Tages den Krieg bescheren. Gegenüber dieser Möglichkeit müssen die innenpolitischen Bedenken eben rücksichtslos zurücktreten. Ich werde Herrn Oberstkorpskommandant über diese Frage eine besondere Eingabe unterbreiten7. Ich kann nur beifügen, dass die Herren des Politischen Departements diese Sachlage genau gleich beurteilen wie ich.
2. Es ist von höchster Bedeutung, dass unsere militärischen Massnahmen sich genau gleich gegen alle unsere Nachbarn richten. Wir dürfen uns hierin weder durch das Geschrei der Presse, noch durch den Druck von Politikern oder Regierungen aufgeregter Grenzkantone, noch auch durch Verlangen von Truppenkommandanten, die nur ihren Abschnitt sehen, beirren lassen. Insbesondere ist es wichtig, dass der Festungsbau auf der Westfront wieder aufgenommen wird, sobald es die Witterungsverhältnisse irgendwie erlauben.
3. Gegen die Gerüchtemacherei müssen scharfe Massnahmen ergriffen werden. Insbesondere sollten ausländische Elemente, Emigranten und dergleichen, die Gerüchte verbreiten, festgenommen und sofort ausgewiesen werden. Es ist überhaupt notwendig, unsere öffentliche Meinung von Regierungsseite schärfer am Zügel zu führen. Um eine Art Propagandastelle werden wir bestimmt nicht herumkommen.
4. Gegen neutralitätswidrige Reisen und Reden unserer Linkspolitiker wie die des Herrn Nationalrat Oprecht an den Kongress der französischen Beamtenorganisation, muss endlich einmal ein Mittel gefunden werden, das wirksam ist (Beilage 28).5. Soviel ich beurteilen kann und auch aus verschiedenen Äusserungen entnehmen muss, hat die alarmmässige Einberufung der Bewachungsmannschaften durch Telegramm und die Ansage durch Lautsprecher, z[um]B[eispiel\ in Basel, eher beunruhigend gewirkt. Es wäre wohl vorteilhafter gewesen, die Sache in aller Ruhe für einen bestimmten Zeitpunkt anzuordnen, etwa für Montag, da ja eine unmittelbare Gefahr nicht vorlag. Wir laufen m[eines]E[rachtens Gefahr, im Gegensatz zu den Verhältnissen in der Septemberkrise, dass uns von politischer Seite überstürzte Massnahmen aufgedrängt werden wollen, die das Gegenteil des erstrebten Zweckes bewirken.Ich traf am 28.3 abends, nachdem dieser Bericht schon geschrieben war, Herrn von Bibra bei einem Tee. Hier erklärte er, seine Quelle für die auf Seite 2 vorstehend gegebenen Mitteilungen sei ein Diplomat der Gegenseite, mit dem er sehr gut stehe. Ich erwiderte sofort, dieser Diplomat habe mit dieser Mitteilung besondere Absichten verfolgt; diese könne daher nicht ernst genommen werden.
- 1
- Lettre (Copie): E 2001 (D) 1/103. Unterredung mit Oberstlt. v. Ilsemann und Legationsrat v. Bibra.↩
- 2
- Cf. No 52.↩
- 3
- Non reproduit.↩
- 4
- Il s’agit d’un commentaire intitulé Gespannte Lage, paru dans le Volksrecht du 27 mars 1939, en première page.↩
- 5
- Non reproduit.↩
- 6
- Cf. RO, 1938, vol. 54, p. 880.↩
- 7
- Non retrouvé.↩
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