Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATION BILATÉRALES ET LA VIE DES ÉTATS
II.1 ALLEMAGNE
II.1.1. QUESTIONS DE POLITIQUE GÉNÉRALE ET BILATÉRALE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 477
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#123* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 65 | |
Dossier title | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 39 (1938–1938) |
dodis.ch/46737
Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass Deutschland eine vollständige Eliminierung der Juden herbeizuführen beabsichtigt. Die Zerstörungen, die nach der Ermordung des Legationsrates vom Rath in ganz Deutschland planmässig vorgenommen worden sind, werden sich zwar nicht mehr wiederholen. Dagegen wird durch immer weitergehende gesetzliche Massnahmen die Existenzmöglichkeit der Juden eingeschränkt mit dem Ziel, sie zur Auswanderung zu veranlassen. Wie ich von verschiedenen Seiten höre, soll die Auswanderung dadurch gefördert werden, dass den Juden gestattet wird, durch zusätzliche Warenexporte die Transferierung gewisser Vermögensbeträge vorzunehmen. Die reichen jüdischen Auswanderer sollen dabei verpflichtet werden, einen Teil dieser transferierbaren Beträge an unbemittelte Juden abzutreten. Dadurch will man vermeiden, dass schliesslich nur das Judenproletariat in Deutschland zurückbleibt. In Österreich sei dieses neue System schon mit gutem Erfolg angewendet worden. Zur Zeit leben noch ca. 600000 Juden in Deutschland. Vielleicht will man mit dieser Organisierung der Auswanderung der antideutschen Stimmung in USA und in anderen Ländern begegnen. Von einer in Aussicht stehenden Rückkehr des amerikanischen Botschafters habe ich noch nichts vernommen.
Herr Caratsch hat in der «Neuen Zürcher Zeitung» Fernausgabe Nr. 339 vom 8. Dezember behauptet, dass wegen der Erschiessung Codreanus und seiner Parteigenossen eine Verschlechterung in den Beziehungen zwischen Deutschland und Rumänien eingetreten sei. Diese Beurteilung ist zweifellos übertrieben. Richtig ist, dass die rumänische Gesandtschaft wegen der deutschen Pressekampagne, insbesondere wegen des bekannten Artikels gegen den König im «Angriff» vorstellig wurde. Daraufhin sind die Kritiken im grossen Ganzen verstummt; jedenfalls wurde das rumänische Staatsoberhaupt aus dem Spiele gelassen. Die Handelsvertragsverhandlungen sind erfolgreich abgeschlossen worden. Es zeigt sich also, dass trotz aller ideologischen Gegensätze das Deutsche Reich keine Störung der guten Beziehungen mit Rumänien herbeiführen will.
Bezüglich Polen möchte ich nachträglich noch berichten, dass die Erneuerung des polnisch-russischen Nichtangriffspaktes im Auswärtigen Amt nicht als Störung der guten Beziehungen angesehen wird. Polen hat vorgängig die deutsche Regierung von seinem Schritt verständigt und letzteren damit begründet, dass nach der Septemberkrisis, die ja ein russisches Ultimatum an Polen zur Folge hatte, eine Normalisierung der polnisch-russischen Beziehungen notwendig erschien. Eine Änderung der polnischen Politik, die mit Deutschland und Russland Frieden haben will, ist somit nicht eingetreten trotz der vorübergehenden Verstimmung infolge des deutschen Vetos gegen eine gemeinsame ungarisch-polnische Grenze. Dass auch Ungarn sich mit der Situation in der Karpatho-Ukraine abgefunden hat, dürften die Erklärungen des neuen ungarischen Aussenministers zeigen, der so weit gegangen ist zu sagen, dass sein Land «durch dick und dünn» mit dem Deutschen Reich gehen werde.
Die Deutschlandreise des südafrikanischen Verteidigungsministers Pirow ist resultatlos verlaufen. Der hiesige südafrikanische Gesandte hat mir schon vor dem Besuch des Verteidigungsministers auseinandergesetzt, dass seiner Ansicht nach ein Ausgleich in der Frage des deutschen Kolonieanspruchs möglich sei. Deutschland würde nicht Siedlungsland sondern Rohstoffquellen suchen und diese Gebiete würden in Zentralafrika liegen, wo, mit anderen Worten, die südafrikanische Union nichts zu der Regelung beizutragen habe. Wenn diese Auffassung dem Plan Pirows zugrunde lag, so kann es einen nicht wundern, dass seine Mission scheitern musste. Wie ich nun aber höre, ist dem südafrikanischen Verteidigungsminister überhaupt nicht ermöglicht worden seinen Plan vorzulegen, indem man deutscherseits jede Diskussion der Koloniefrage vermieden hat. Deshalb sei Herr Pirow enttäuscht aus Deutschland zurückgekehrt und verkünde jetzt, dass man einem neuen Weltkrieg entgegengehe. Die Zurückhaltung Deutschlands in dieser Frage dürfte wohl aber darauf zurückzuführen sein, dass Deutschland zur Zeit überhaupt nicht eine Regelung des Kolonieanspruchs wünscht. Man will offenbar eine andere günstigere Machtkonstellation abwarten, oder vielleicht handelt es sich bei der Forderung auf Rückgabe der Kolonien nur um einen Anspruch, den man aufrecht erhält, um einmal anderes einzutauschen.
Es zeigt sich immer deutlicher, dass das Gefahrenmoment für den Weltfrieden seit den Münchner Abmachungen nicht im Osten oder im Südosten Europas zu suchen ist, sondern im Mittelmeer. Wenn mir, wie ich Ihnen berichtete, Herr von Neurath seinerzeit gesagt hat, dass Mussolini nicht auf seine Afrikapläne verzichten werde, so hat er wohl schon damals in Kenntnis der Sachlage gesprochen. Man hat den Eindruck, dass die Haltung der Achsenmächte Frankreich und England gegenüber seit der Septemberkrisis durch diese italienischen Aspirationen bedingt ist und dass hier die Gegenleistungen zu suchen sind, die Italien für seine Unterstützung in der tschechoslowakischen Krisis erhalten soll. Deutschland ist offenbar die Rolle zugewiesen, England an einem Konflikt Frankreich/Italien zu desinteressieren, was dadurch erreicht werden soll, dass Deutschland sich in einem solchen Konflikt selbst ausschaltet. So dürfte sich die Verständigung mit Frankreich erklären, wo in einem diplomatischem Dokument festgelegt wurde, dass keine Differenzen zwischen den beiden Ländern bestehen. Es ist auch auffallend, wie hier die Erklärung Chamberlains vom letzten Montag im Unterhaus, wonach England durch keine Abmachungen zur Unterstützung Frankreichs bei einem Konflikt im Mittelmeer oder in Afrika gebunden sei, mit Genugtuung beachtet wurde. Wenn es gelingen sollte zu erreichen, dass EnglandFrankreich in einem allfälligen Konflikt mit Italien im Stiche lässt, so wäre jedenfalls die Kolonie Dschibuti ein verlorener Posten.
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