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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 12, doc. 431
volume linkBern 1994
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001D#1000/1551#98* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(D)1000/1551 4 | |
Titre du dossier | Neutrale Haltung der Schweizerpresse, Allgemeines (1937–1946) | |
Référence archives | A.15.42.10 |
dodis.ch/46691 Le Ministre de Suisse à Berlin, H. Frölicher, au Chef de la Division des Affaires étrangères du Département politique, P. Bonna1
Ich erhielt Ihre Zuschrift vom 14. dieses Monats2 betreffend den schweizerisch-deutschen Pressekonflikt und danke Ihnen für Ihre eigehenden Aufschlüsse.
Schon wiederholt hatte ich Gelegenheit Sie schriftlich und mündlich auf die Gefahren aufmerksam zu machen, die sich aus der Schreibweise unserer Presse ergeben. Fast jederman, mit dem ich hier über die schweizerisch-deutschen Beziehungen sprach, hat sich über die unfreundliche Haltung gewisser schweizerischer Zeitungen beklagt. Der Reichspropagandaminister und der Reichspressechef haben mich auf diese unerfreulichen Vorgänge hingewiesen, gleichzeitig aber auch betont, dass ihnen die Bemühungen der Bundesbehörden, hier Besserung zu schaffen, bestens bekannt seien. Sie haben beide versprochen, nötigenfalls Gegenangriffe in der deutschen Presse zu verhindern, um diese Bemühungen nicht zu stören. Man wird sich aber keinen Illusionen darüber hingeben können, dass auf die Dauer für Grossdeutschland diese Hetze gegen den nationalsozialistischen Staat unerträglich wird und dass wir, falls keine Änderung erfolgt, zum mindesten mit einer Zeitungsfehde gegen unser Land rechnen müssen. Bei dem engen Einvernehmen Deutschlands mit Italien muss auch erwartet werden, dass diese Abwehr von unserem südlichen Nachbar kräftig sekundiert wird.
Ein solcher Zeitungskrieg mag vielleicht für das schweizerische Zeitungsgeschäft förderlich sein, aber über die Nachteile, die unserem Land entstehen, sind keine Worte zu verlieren.
Bei dieser Sachlage begrüsse ich die von Ihnen bereits getroffenen Massnahmen lebhaft und namentlich auch die Absicht des Herrn Departementschef, am 26. Oktober an einer Pressekonferenz den Chefredaktoren die Auffassung des Bundesrates auseinanderzusetzen. Wie ich mich dieser Tage vergewissern konnte, sind hier alle diese Massnahmen mit grosser Befriedigung aufgenommen worden.
Die deutschen Vorwürfe richten sich, wie ich betonen möchte, fast ausschliesslich gegen die deutsch geschriebene Schweizerpresse. Nicht ohne Berechtigung weist man darauf hin, dass in der welschen Presse die deutschen Verhältnisse objektiver beurteilt werden. Ferner aber wird naturgemäss die deutsch geschriebene Presse mit kritischeren Augen gelesen, namentlich heute, wo die Zeitungen der deutschen Schweiz die einzigen deutschsprachigen sind, die nicht der Dirigierung der deutschen Stellen unterstehen. Die Vorwürfe richten sich auch weniger gegen die sozialdemokratischen Blätter, obwohl, sachlich betrachtet, deren Schreibweise ganz besonders zu beanstanden wäre. Aber man versteht hier, dass diese Zeitungen bei ihren früheren nahen Beziehungen zum deutschen Marxismus keine freundlichen Töne anschlagen können. Man benügt sich, wenn die Organe unserer Linkspresse auf Beleidigungen und Falschmeldungen verzichten. Die Aussetzungen richten sich vielmehr hauptsächlich gegen die bürgerlichen deutsch geschriebenen Zeitungen, die ja bekanntlich auch in Anspruch nehmen, die politisch massgebende öffentliche Meinung in der deutschen Schweiz wiederzugeben.
Dass diese Zeitungen sich keine Beschimpfungen und Beleidigungen zuschulden kommen lassen, wird anerkannt und auch zugegeben, dass sie auf Falschmeldungen, die ungewollt ja ab und zu Vorkommen mögen, verzichten. Man stösst sich auch nicht daran, dass diese Zeitungen sich kritisch mit den deutschen Verhältnissen auseinandersetzen. Man verträgt sogar eine scharfe Sprache, insbesondere dann, wenn schweizerische Interessen durch die deutschen Massnahmen berührt werden. Was man aber auf die Dauer nicht erträgt, ist die Tatsache, dass das hiesige Regierungssystem journalistisch bekämpft wird, dass man also darauf verzichtet, die hiesigen Verhältnisse objektiv zu würdigen.
Ich glaube mich mit dem Departement einig, dass diese grundsätzlich ablehnende kämpferische Haltung auch vom schweizerischen Standpunkt aus ein Fehler ist. Sie ist unvereinbar mit der schweizerischen Neutralitätspolitik, die auf gleiche freundschaftliche Beziehungen mit den Nachbarstaaten abzielt, nicht nur wegen der Auslandschweizer, wegen unseren eingefrorenen Milliarden, unseren wirtschaftlichen Interessen (Deutschland ist der grösste Kunde und der grösste Lieferant der Schweiz), sondern vor allem wegen der schweizerischen Sicherheit, nachdem zwei Drittel unseres Landes von den Mächten der Achse umschlossen sind. Man sollte doch erwarten dürfen, dass die massgebliche Presse in unserem Land diese Zusammenhänge endlich auch begreift und diese Politik und Diplomatie nicht stört oder geradezu durchkreuzt.
Man sagt, dass die Neutralität den Staat und nicht den Bürger und damit die Presse angehe. Glücklicherweise ist der Staat nicht für jeden Unsinn verantwortlich, der in der Presse geschrieben wird, und zunächst gilt der bekannte Satz, dass das Papier geduldig ist. Aber auf die Dauer kann eben die Politik des Staates, namentlich in einem demokratischen Land, nur dann ihre Früchte tragen, wenn sie gestützt wird von der gesamten öffentlichen Meinung.
Man hat mich auch wiederholt auf die Notwendigkeit der geistigen Landesverteidigung verwiesen. Es will mir scheinen, dass man den schweizerischen Unabhängigkeitswillen unterschätzt. Um gute Schweizer zu bleiben, haben wir es nicht nötig uns mit dem Ausland herumzustreiten. Wir brauchen nicht unsere aussenpolitischen Beziehungen zu gefährden, um den schweizerischen Unabhängigkeitswillen zu erhalten.
Herr Caratsch hat mir gegenüber den Standpunkt vertreten, dass sich die Schweiz an der geistigen Auseinandersetzung der Ideologien beteiligen müsse. Es ist meines Erachtens ein Fehler, wenn die Frage des innerpolitischen Regimes ins weltanschauliche übersteigert wird. Diesem Fehler begegnet man ja auch hier in Deutschland, sonst hätte man nicht das Gastrecht am Nürnberger Parteitag dadurch verletzt, dass man die demokratischen Länder vor den Vertretern der betreffenden Staaten in ungehöriger Weise kritisierte. Die Fehler der anderen sind aber nicht dazu da, um sie nachzumachen. Die Schweiz sollte kein Rufer im Streit der Ideologien sein. Im Gegenteil, als kleines Land neben grossen Staaten mit anderen Staatsauffassungen haben wir alles Interesse die Auffassung zu vertreten, dass jeder Staat das Recht hat seine inneren Einrichtungen nach eigenem Ermessen zu bestimmen. Dieser Standpunkt entspricht auch der natürlichen Friedensmission eines neutralen Landes: Wir, die in einem Krieg neutral bleiben wollen, haben nicht die Aufgabe, im Frieden die Gegensätze zu steigern, sondern im Gegenteil, wir haben die schöne und dankbare Aufgabe, unseren Beitrag zu der Überbrückung dieser Gegensätze zu leisten, sonst erlebt man das betrübende Schauspiel der letzten Wochen, dass ein grosser Teil unserer Presse nicht nur im Gegensatz stand zu den Mächten der Achse, sondern auch zu Frankreich und England, deren Völker und deren einsichtige Regierung trotz neutraler Ideologen keinen Weltkrieg wollten.
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