Classement thématique série 1848–1945:
IV. RÉFUGIÉS, IMMIGRATION, POLICE DES ÉTRANGERS
IV.1 LA SUISSE ET L'IMMIGRATION JUIVE
Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 12, Dok. 372
volume linkBern 1994
Mehr… |▼▶Aufbewahrungsort
Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E4300B#1969/78#2* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 4300(B)1969/78 1 | |
Dossiertitel | Deutschland, Visumspflicht und Visumsaufhebung (101-531) (1938–1939) | |
Aktenzeichen Archiv | B.06.12.2 |
dodis.ch/46632
Notice du Chef de la Division de Police du Département de Justice et Police, H. Rothmund1
NOTIZ ÜBER DIE BESPRECHUNG MIT DEM DEUTSCHEN GESANDTEN AM 2. SEPTEMBER, 11 UHR 30
Herr Minister Koecher spricht vor mit einer längeren schriftlichen Instruktion aus Berlin. Er gibt mir diese teilweise wörtlich bekannt. Sie enthält nochmals den Vorschlag, den das Auswärtige Amt in seiner Note vom 29. August2 bereits wiederholt hat. Herr Koecher hat den Auftrag, hervorzuheben, welche Anstrengungen sich die deutsche Regierung gegeben habe, um einerseits die Zuschiebungen von Flüchtlingen durch deutsche Grenzorgane zu verhüten und anderseits Anordnungen zu treffen, die es der Schweiz erlauben sollten, eine Einreisekontrolle über die Emigranten zu haben, ohne dass das Visum auf dem deutschen Pass eingeführt werden muss. Ich lege ihm die technischen Gründe noch einmal dar, die den deutschen Vorschlag als ungenügend erscheinen lassen, weil er uns nicht ermöglichen würde, eine lückenlose Kontrolle über die Einreise von Emigranten zu haben. Ich insistiere ganz besonders darauf, dass wir ohne diese nicht auskommen können. Der neuerlichen Betonung Herrn Koechers gegenüber, dass Deutschland nicht wünsche, dass diese Flüchtlinge nach der Schweiz gehen, erkläre ich ihm, dass man dann doch in Berlin verstehen müsse, dass wir nicht ohne ein lückenloses Kontrollsystem auskommen könnten. Ich setze ihm die Lage auseinander, in der wir uns heute befinden, und weise ganz besonders auf die grossen Schwierigkeiten hin, die wir haben werden, um die bereits in der Schweiz sich befindenden - zum Teil mit Mitwirkung der deutschen Behörden eingereisten - mittellosen Flüchtlinge loszuwerden. Ich betone auch, dass wir uns stets bemüht haben, nicht verjudet zu werden und dass wir es auch in Zukunft unter keinen Umständen werden wollen; man sollte doch Verständnis haben dafür in Berlin.
Was den deutschen Vorschlag anbetrifft, weise ich ihn namentlich auf zwei Punkte hin: Erstens könnte kein Mensch in Deutschland verhindern, dass die Juden mit deutschen Pässen via Frankreich oder Italien in die Schweiz einreisen würden. Zweitens würde es, selbst wenn die deutschen Passbeamten die Weisung, Juden, von denen sie vermuten müssten, dass die nach der Schweiz reisen wollten, keinen deutschen Pass auszustellen, strikte befolgen würden, nach wenigen Tagen unter der Judenschaft bekannt werden. Die Passbewerber, die nach der Schweiz gehen wollten, würden dann einfach behaupten, sie hätten die Absicht, in ein anderes Land zu reisen. Wie sollte der Beamte ihnen dann das Gegenteil beweisen können. Nachdem jeder Beamte weiss, dass die Regierung die Juden um jeden Preis loshaben will, so müsste er doch im Zweifelsfall den Pass ausstellen. Einmal im Besitz des Passes könnte zudem doch der Passinhaber nicht von der Polizei bis zur Grenze des Landes geführt werden, das er als Reiseziel angegeben hatte.
Herr Koecher suchte nach einem Weg und fragte mich, ob den nicht eine Möglichkeit für uns bestehen würde, auf das Visum zu verzichten, wenn die Passinhaber ausdrücklich als Juden bezeichnet werden. Ich antwortete ihm, technisch sei das gewiss möglich, wir müssten aber dann das Visum wieder einführen für die Juden. Ob das Politische Departement und der Bundesrat eine solche Massnahme billigen könnten, sei allerdings fraglich. Ich könne ihm deshalb nur sagen, dass die Lösung technisch möglich wäre. Nachdem Herr Koecher mir aber einen Satz aus seiner Instruktion vorgelesen hatte, der dahin ging, bei dem von uns in Berlin gemachten Vorschlag würden die deutschen Juden schlechter behandelt als die Juden aus anderen Ländern, eine Diskriminierung, die Deutschland nicht wolle, könnte doch wohl der von Herrn Koecher vorgeschlagene Weg nicht beschritten werden. Auch sei es mir klar, dass Deutschland eben die Bezeichnung der Juden als solche im Pass nicht wolle, weil es sonst den Juden den deutschen Pass gar nicht ausstellen, sondern ihnen irgendein anderes Identitätspapier verabfolgen würde. Herr Koecher will trotzdem den Vorschlag nach Berlin bekanntgeben, mit der Beifügung, dass seine Durchführung hier technisch möglich scheine, dass es aber fraglich sei, ob er nicht aus anderen Gründen unmöglich sei. Herr Koecher ist einverstanden, dass ich Herrn Kappeler davon verständige.
Er fügte noch bei und las mir die Stelle aus den Instruktionen vor, dass es Deutschland als unfreundlichen Akt der Schweiz betrachten würde, wenn die Schweiz auf der Wiedereinführung des Visums bestehen würde. Ich entgegnete ihm, dass ich eine solche Erklärung nach allem, was vorausgegangen sei, als eine Unfreundlichkeit der Schweiz gegenüber betrachte.
Ich habe den bestimmten Eindruck, dass Deutschland nun mit allen Mitteln versucht, uns für den Fall der Wiedereinführung des Visums ins Unrecht zu versetzen, obgleich es ganz genau weiss, dass seine Erklärungen, es wünsche nicht, dass die Juden nach der Schweiz kämen, nur Wert haben können, wenn es neben dem Verbot an seine Grenzbeamten, uns solche Ausländer zuzuschieben, uns auch das Mittel zu einer technisch lückenlosen Einreisekontrolle in die Hand gibt. Man weiss aber in Berlin ganz genau, dass das nicht möglich ist, ohne dass Deutschland die Emigranten im Ausweispapier als solche bezeichnet. Da es dies aus unaufrichtigen Gründen nicht tun will, soll nun der Spiess umgedreht und die Schweiz ins Unrecht versetzt werden.
Wir wollen immerhin noch einen Versuch machen mit dem Antrag Koecher, und ich werde deshalb vorschlagen, Herrn Kappeler zu ersuchen, noch einmal von dieser Seite anzupacken.
Herr Koecher war am Schluss der Besprechung anscheinend überzeugt, dass kein anderer Weg bleibt als die Wiedereinführung des Visums. Ich ersuchte ihn, dahin zu wirken, dass Berlin sich mit uns verständigt über das Datum des Inkraftsetzens, ohne sich auf die vorgesehene einmonatige Kündigungsfrist zu versteifen.
Tags
Haltungen gegenüber Verfolgungen
Religiöse Fragen Asylpolitik Österreich (Allgemein) Deutsches Reich (Allgemein) Österreich (Politik)