Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 371
volume linkBern 1994
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1552#604* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1000/1552 32 | |
Dossier title | Allgemeines (1936–1938) | |
File reference archive | A.45.20 |
dodis.ch/46631 Le Conseil fédéral au Conseil d’Etat de Bâle-Ville1
Getreue, liebe Eidgenossen!
Wie der Bundesrat aus Zeitungsmeldungen entnommen hat, sind in Basel in letzter Zeit zwei Gesetzesinitiativen nach kantonalem Recht zur Unterzeichnung aufgelegt und bereits der Staatskanzlei eingereicht worden. Die eine richtet sich gegen die nationalsozialistischen, von Ausländern gebildeten sowie gegen verwandte Organisationen; diese sollen als staatsgefährlich erklärt und im Gebiet des Kantons Basel-Stadt verboten werden, ebenso die Herstellung, die Einfuhr und der Vertrieb der Presseerzeugnisse der N.S.D.A.P. Die andere, allgemeiner gefasste Initiative will alle nationalsozialistischen oder fascistischen Organisationen, unter besonderer Nennung bestimmter Vereinigungen, sowie jede Propaganda dieser Art verbieten und Widerhandlungen mit schweren Strafen treffen.
Der Bundesrat hat sich mit der Frage befasst, wie diese Initiativen sich zum Bundesrecht verhalten. Die Frage allerdings, ob sie, das Zustandekommen der vorgeschlagenen Gesetze vorausgesetzt, einen unzulässigen Eingriff in die von der Bundesverfassung garantierte Vereinsfreiheit und Pressefreiheit enthalten, ist von uns nicht zu untersuchen; das wäre gegebenenfalls Sache des Bundesgerichts auf staatsrechtliche Beschwerde hin. Dagegen haben wir mit Beunruhigung festgestellt, dass die erstgenannte Initiative auf ein der Bundesgewalt vorbehaltenes Gebiet übergreift. Sie beschränkt sich nicht auf Massnahmen gegen einen Missbrauch der Vereins- und Pressefreiheit, sondern sie bezweckt eine zudem einseitig gerichtete Abwehr einer ausländischen Gefährdung unserer demokratischen Einrichtungen. Sollte aber eine solche Gefahr bestehen, so berührt sie das ganze Land und nicht nur einen Kanton. Massnahmen zum Schutze der äussern Sicherheit des Landes fallen in die Zuständigkeit des Bundes (Art. 85 Z.6, 102 Z.8 und 9 BV)2. Ein Verbot ausländischer Organisationen in der Schweiz trifft unvermeidlich die Beziehungen zum Ausland selbst, es ist eine Frage der internationalen Politik und berührt die völkerrechtliche Stellung des Landes. Für diese tragen aber die Bundesbehörden, und nur sie, die Verantwortung. Demgemäss muss der Bundesrat auch die ausschliessliche Kompetenz beanspruchen, die im Interesse des gesamten Landes erforderlichen Massnahmen zu treffen oder den gesetzgebenden Behörden vorzuschlagen. Ein gesondertes und einseitiges Vorgehen der Kantone auf diesem Gebiet müsste zu unerträglichen Zuständen führen. Die Einfuhr von Presseerzeugnissen über die Grenze kann ohnehin wirksam nur durch die Organe des Bundes kontrolliert werden.
Die Bundesbehörden sind denn auch in der Abwehr unerwünschter Einflüsse von aussen nicht untätig geblieben. Wir verweisen auf den Bundesbeschluss vom 21. Juni 1935 betr. den Schutz der Sicherheit der Eidgenossenschaft (das sog. Spitzelgesetz)3, das Bundesgesetz vom 8. Oktober 1936 betr. Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft4, die Beschlüsse des Bundesrates vom 1. Februar 1932 und 12. Mai 1933 über das Verbot von Uniformen5, die Richtlinien des Justiz- und Polizeidepartements vom 26. September 1935 betr. politische Vereinigungen von Ausländern in der Schweiz6, den Bundesratsbeschluss vom 3. November 1936 betr. Teilnahme ausländischer Redner an politischen Versammlungen7 und schliesslich auf den Bundesratsbeschluss vom 27. Mai 1938 betr. Massnahmen gegen staatsgefährliches Propagandamaterial8. Diese Massnahmen dürften zur Zeit hinreichende Möglichkeiten bieten, die vom Ausland her drohenden Gefahr abzuwenden. Im Falle der Not kann und wird der Bundesrat jederzeit weitere Schritte tun.
Aus diesen Gründen sehen wir uns genötigt, Einspruch zu erheben gegen den Erlass eines kantonalen Gesetzes, wie die gegen die ausländischen Organisationen gerichtete Initiative es sich zum Ziel setzt. Im Erlass dieses Gesetzes müssten wir einen Verstoss gegen die verfassungsmässige Ausscheidung der Kompetenzen zwischen Bund und Kantonen erblicken. Wir ersuchen den Regierungsrat, von diesem Einspruch dem Grossen Rat Kenntnis geben und das Nötige veranlassen zu wollen, damit die Verwirklichung der Initiative unterbleibt.
Der zweiten Initiative kommt insofern ein anderer Charakter zu, als sie sich allgemein gegen die nationalsozialistischen und fascistischen Organisationen richtet. Es kann aber kein Zweifel darüber bestehen, dass sie mit dieser Umschreibung auch Vereinigungen von Ausländern trifft. Insofern gelten also für sie die nämlichen Erwägungen wie für die erste Initiative; sie erweist sich in diesem Umfang ebenfalls als bundesrechtswidrig. Den zuständigen kantonalen Instanzen müssen wir es überlassen, auf Grund des kantonalen Rechts die Konsequenzen aus dieser Sachlage zu ziehen.
Wir gewärtigen gerne Ihre Mitteilung über die Folge, die unserem Einspruch gegeben wird und benützen auch diesen Anlass, um Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen9.
- 1
- Lettre (Copie): E 2001 (D) 2/32. Cette lettre est signée: Im Namen des Bundesrates, der Bundespräsident, Baumann, der Bundeskanzler, G. Bovet.↩
- 2
- Cf. RO, 1876, vol. 1, pp. 25, 29.↩
- 3
- Cf. RO, 1935, vol. 51, p. 495.↩
- 4
- Cf. RO, 1937, vol. 53, p. 37.↩
- 5
- Cf. RO, 1932, vol. 48, p. 57 et 1933, vol. 49, p. 315.↩
- 6
- Cf. FF, 1935, vol. 2, p. 457.↩
- 7
- Cf. RO, 1936, vol. 52, p. 845.↩
- 8
- Cf. No 240, note 14.↩
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