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Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 12, Dok. 313
volume linkBern 1994
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E4320B#1968/195#16* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 4320(B)1968/195 13 | |
Dossiertitel | Deutsche Nationalsozialisten: Verstärkte Aktivität der Ortsgruppe und Stützpunkte der NSDAP (1938–1940) | |
Aktenzeichen Archiv | C.02-8.14 |
dodis.ch/46573 Aide-Mémoire du Ministère public de la Confédération1
1. Politische Tätigkeit der deutschen Staatsangehörigen in der Schweiz:
Es ist insbesondere dank der ausserordentlich straffen und energischen Leitung des Freiherrn von Bibra in letzter Zeit eine erhöhte Tätigkeit der Deutschen in politischer Beziehung festzustellen. Diese Tätigkeit erstreckt sich nach Erhebungen der Bundesanwaltschaft hauptsächlich auf eine organisatorische Zusammenfassung2 aller Deutschen in der Schweiz in den bekannten Organisationen: NSDAP, NS-Frauengemeinschaft, HJ (Hitler Jugend), BdM (Bund deutscher Mädchen), DAF (Deutsche Arbeitsfront) und Deutsche Studentenschaft.
Ein Grund und eine gesetzliche Grundlage zum Verbot dieser Organisationen besteht angesichts der in Art. 56 BV3 verankerten Vereinsfreiheit und der Tatsache des ungehinderten Bestehens der kommunistischen Partei in der Schweiz nicht. Ein solches Verbot, das zudem praktisch gar nicht durchgeführt werden könnte, hätte ausserdem in aussenpolitischer Beziehung für die Schweiz nachteilige Folgen und wäre überdies auch nicht zweckmässig.
Die Bundesanwaltschaft wird wie bisher auch in Zukunft diese Organisationen überwachen und in Einzelfällen, wo sich eine Verletzung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen feststellen lässt, in Form von Strafuntersuchungen, Ausweisungen und Grenzsperren durchgreifen. Es laufen gegenwärtig verschiedene gerichtspolizeiliche Ermittlungsverfahren, über deren Ausgang im jetzigen Augenblick noch nichts ausgesagt werden kann.
Es hat sich in mehreren Fällen herausgestellt, dass infolge einer gefühlsmässigen Einstellung kleine Vorfälle und Vermutungen über Gebühr aufgebauscht worden sind. Sofort angeordnete Erhebungen haben auch vielfach die absolute Haltlosigkeit von in der linksgerichteten Presse erschienenen Gerüchten erwiesen. Ein typischer Fall ist derjenige der Deutschen Studentenschaft in Basel, wo die kantonale Polizei mehrfach Erhebungen anstellte, die vollständig resultatlos verliefen.
Zweifellos bedarf es im gegenwärtigen Augenblick einer erhöhten Aufmerksamkeit seitens der mit der Strafverfolgung betrauten Behörden; im allgemeinen Interesse sollte sich jedoch die Öffentlichkeit und insbesondere die Presse einer erhöhten Zurückhaltung befleissigen. Zwischenfälle wie z. B. in Arbon schaden den internationalen Beziehungen der Schweiz ausserordentlich und sollten in Zukunft unbedingt unberbleiben.
2. Deutsche Zeitung in der Schweiz:
Die «Deutsche Zeitung in der Schweiz» ist die Zeitung der deutschen Kolonie in der Schweiz und nimmt dieselbe Stellung ein wie die «Squilla Italica» für die italienische Kolonie.
Die «Deutsche Zeitung in der Schweiz» ist aus der seinerzeit in Bern erschienenen «Nachrichten der Deutschen Kolonie Bern» entstanden. In Ersetzung dieser «Nachrichten der Deutschen Kolonie Bern» erschien zunächst in Luzern das vom bekannten A.W. Ahrens redigierte und herausgegebene «Deutsche N achrichtenblatt ».
Hernach wurde seitens der Deutschen Gesandtschaft durch Mittelsmänner versucht, in Ersetzung des früher erschienenen und verbotenen «Reichsdeutschen» die in Speicher seit 1927 erscheinende «Deutsche Wochen-Zeitung» in nationalsozialistischem Sinne zu beeinflussen und zu einer Koloniezeitung auszubauen. Der Verleger namens Hauke liess sich jedoch nicht hiezu bewegen. Die Bundesanwaltschaft gab s. Zt. dem Politischen Departement von diesen Bestrebungen Kenntnis und verhehlte diesem ihre Bedenken keineswegs.
Neuerdings wird nun mit Einwilligung des Politischen Departements4 die «Deutsche Zeitung in der Schweiz» herausgegeben, als deren Schriftleiter ein gewisser Gerhard Horn in Bern genannt ist. Der Bundesanwaltschaft, die gewisse Bedingungen gestellt hätte, wurde keine Möglichkeit gegeben, sich zur Frage der Gestattung dieser Zeitung zu äussern.
3. Grossdeutsche Propaganda.
Die Bundesanwaltschaft kontrolliert laufend diejenigen Sendungen politischen Propagandamaterials, die ihr seitens der Oberzolldirektion und der Generaldirektion P.T.T. unterbreitet werden, und beschlagnahmt, was im Widerspruch mit den geltenden gesetzlichen Bestimmungen steht. So wurde u. a. auch kürzlich die Aprilnummer der Schulungsbriefe der NSDAP auf Grund des Unabhängigkeitsgesetzes beschlagnahmt. Die Volkstumskarte, die im bekannten Artikel des St. Galler Tagblattes vom 20. Mai 1938 erwähnt ist, war nicht mehr in der Sendung enthalten.
Bei verschiedenen an Reichsdeutsche adressierten Sendungen politischen Propagandamaterials, das auf Grund der bestehenden Bestimmungen nicht beschlagnahmt werden konnte, wurde jeweils die Auflage gemacht, dass das Propagandamaterial nur für deutsche Staatsangehörige verwendet werden dürfe.
Es hat sich im Verlaufe der letzten Monate, insbesondere auch infolge der strikten Wahrung des Postgeheimnisses durch die Generaldirektion P.T.T., welche die Namen der Adressaten von solchen Sendungen nicht bekannt geben wollte, gezeigt, dass mit Bezug auf das in die Schweiz eingeführte Propagandamaterial nationalsozialistischer Provenienz die gesetzlichen Grundlagen ungenügend waren. Daher hat die Bundesanwaltschaft eine Ergänzung des BRB vom 3. November 1936 betr. Massnahmen gegen die kommunistischen Umtriebe in der Schweiz5 beantragt. Der neue BRB betr. Massnahmen gegen stattsgefährliches Propagandamaterial6 ist gestern in Kraft getreten.
4. Schweizerische Erneuerungsbewegungen, die der nationalsozialistischen Bewegung ideologisch nahestehen:
a) Nationale Front: Die Bedeutung dieser Bewegung hat in letzter Zeit, insbesondere vom Augenblick, da die Landesleitung von R. Henne auf Dr. Tobler übergegangen ist, abgenommen. Numerisch ist die Front nur noch in Zürich von einiger Bedeutung. Viele Anhänger sind zur ESAP (Eidgenössische Soziale Arbeiterpartei) oder zum BTE (Bund treuer Eidgenossen nationalsozialistischer Weltanschauung) übergetreten.
b) Volksbund, auch NSSAP (Nationalsozialistische schweizerische Arbeiterpartei) genannt: Der unter Leitung von Major Leonhard, Basel, stehende Volksbund ist trotz seiner numerischen Schwäche wegen seiner regen Beziehungen mit Deutschland Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit seitens der Bundesanwaltschaft. Sobald das laufende Ermittlungsverfahren genügende Anhaltspunkte für eine Haussuchung bietet, wird in Basel und Zürich durchgegriffen.
c) Der BTE (Bund treuer Eidgenossen nationalsozialistischer Weltanschauung) hat sich in Zürich aus einer Gruppe ehemaliger Anhänger der Nationalen Front gebildet. Obmann ist der bekannte Schriftsteller A. Zander; weitere massgebende Personen sind Dr. phil. H. Oehler und der Journalist B. Schäppi. Als Organ erscheint in hektographierter Form im Verlag «Schweizerdegen» in Zürich «Der Nationale Sozialist». Weitere Erhebungen, welche die Bundesanwaltschaft durch die Kantonspolizei Zürich veranlasst hat, sind gegenwärtig im Gange.
d) ESAP (Eidgenössische soziale Arbeiterpartei): Leiter dieser in Zürich gegründeten Partei ist ein gewisser E. Hofmann, der auch als Schriftleiter der neuerscheinenden Zeitung «Schweizervolk» zeichnet. Früher genoss der seitens des Sekretärs des Zürcherischen Arbeitgeberverbandes, Dr. Otto Steinmann, als ehrlich und anständig bezeichnete Hofmann die Unterstützung von Oskar Sulzer, da insbesondere die Maschinenindustrie Interesse an einer nichtmarxistischen Arbeiterpartei besass. Seit Erscheinen der neuen Zeitung, als deren mitverantwortliche Redaktoren ein C.A. Schmid und ein Jean Hirt zeichnen, erhält die ESAP von der genannten Seite keinerlei Unterstützung mehr. Es wurde auch schon die Vermutung geäussert, die Finanzierung der neuen Zeitung erfolge durch die Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon. Auch in diesem Falle hat die Bundesanwaltschaft durch die Kantonspolizei Zürich Erhebungen angenordnet, die noch nicht abgeschlossen sind7.
Zum Schluss darf darauf hingewiesen werden, dass die Bundesanwaltschaft sämtlichen politischen Bewegungen in der Schweiz ihre volle Aufmerksamkeit widmet und in denjenigen Fällen, wo dies im Landesinteresse liegt, oder wo eine Zuwiderhandlung gegen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen festgestellt werden kann, unnachsichtlich und wirksam durchgreift, wie sie dies z. B. im Falle der im nationalsozialistischen Solde stehenden Presseagentur Franz Burri in Luzern gezeigt hat.
- 1
- E 4320 (B) 1968/195/10. Non signé.↩
- 2
- Remarque manuscrite en marge: Anmeldepflicht, Formular.↩
- 3
- Bundesverfassung, cf. RO, 1876, vol. 1, p. 18.↩
- 4
- Politischen Departements a été barré et remplacé par Bundesrats.↩
- 5
- Cf. RO, 1936, vol. 52, p. 843.↩
- 6
- Cf. RO, 1938, vol. 54, p. 249.↩
- 7
- Remarque manuscrite en marge de cet alinéa: Konfidentiell.↩
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Politische Akitvitäten ausländischer Personen
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