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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 11, doc. 331
volume linkBern 1989
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2300#1000/716#1081* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2300(-)1000/716 465 | |
Titre du dossier | Tokio, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 8 (1932–1936) |
dodis.ch/46252
Die Nachricht vom deutsch-japanischen Vertrag zwecks gemeinsamer Bekämpfung des Kommunismus kam nicht unerwartet; man hörte schon seit längerm von dieser Möglichkeit und als dann in letzter Zeit verschiedene Kabinetts-Sitzungen stattfanden über die entgegen sonstiger Übung nur lakonisch gemeldet wurde, es handle sich um «wichtige Besprechungen», verdichtigten sich die Vermutungen auf Abmachungen mit Deutschland. Seit der amtlichen Bekanntgabe vernahm man, dass Aussenminister Arita dem russischen Botschafter schon vor einiger Zeit gewisse Eröffnungen bezüglich des Vertrages machte und nun schieben sich die beiden gegenseitig die Verantwortung für das Durchsickern von Mitteilungen zu, die zur Folge hatten, dass die Kontrahenten zu einer frühzeitigeren Veröffentlichung schritten, als ursprünglich beabsichtigt gewesen sein soll.
Der Vertrag erregte sowohl in Japan als im Auslande grösseres Aufsehen als die japanische Regierung offenbar erwartete; die hiesige Presse verhielt sich zuerst reserviert und ging, als die ungünstige Aufnahme im Auslande bekannt wurde, teilweise direkt zur ablehnenden Kritik über. Die sehr gemässigte «Japan Times» betitelt ihren Leitartikel zum Vertrage «Suspended Judgement»; auch sonst ist die Meldung in Japan nicht mit ungeteilter Freude aufgenommen worden. Die Mehrzahl der Intellektuellen und der Geschäftswelt steht eben der angelsächsischen Mentalität näher wie der deutschen und sieht eine Bindung mit Deutschland nicht besonders gerne. Wenn auch alle darin einig sind, dass der Kommunismus bekämpft werden müsse, so scheinen bezüglich der Nützlichkeit und Notwendigkeit des Vertrages die Meinungen geteilt. Eine Notwendigkeit war er jedenfalls für Japan selbst nicht, denn dieses besitzt eine derart strenge Gesetzgebung zur Bekämpfung des Bolschewismus, dass die Existenz des letztem in offener Form ausgeschlossen ist. Für geheime Organisationen bleibt bei dem weitverzweigten Polizei- und Spitzelsystem Japan’s wenig Raum. Zum Nachrichtenaustausch etc. hätte es keines besondern Vertrages zwischen den beiden Ländern bedurft; eine blosse Verständigung durch Notenaustausch wäre genügend gewesen.
Die Erklärung für den Vertrag wird daher auf anderm Gebiete zu suchen sein. Man sieht in ihm einen Versuch Japans, aus der bisherigen Isoliertheit herauszukommen. Der Anschluss bei der angelsächsischen Gruppe war ohne wesentliche Konzessionen in der Aussenpolitik der letzten Jahre kaum denkbar. Frankreich kam weniger, Russland nicht in Frage. Deutschland, das sich ähnlich wie Japan infolge seiner eigenen Politik etwas isolierte, und das ebenfalls nicht zu den Freunden Russlands zählt, schien um so eher angezeigt, als die Beziehungen zwischen Tokyo und Berlin ohnehin schon sehr freundschaftlich waren. Auch Italien, vielleicht auch Österreich und Ungarn, die alle drei seit geraumer Zeit eine lebhafte Kulturpropaganda in Japan betreiben, musste der Plan der Bekämpfung des Kommunismus willkommen sein; es zeigen sich bei diesen schon kleinere günstige Reaktionen; die japanische Gesandtschaft in Abessinien wird in ein Konsulat verwandelt, Italien wird gestattet, in Mandschukuo2 ein Konsulat zu errichten. Gemäss einer Mitteilung des Leiters der Presseabteilung soll der Vertrag in Österreich günstig beurteilt worden sein; ein gleiches wird für Ungarn zutreffen.
Deutschland dürfte aus der Abmachung die meisten Vorteile ziehen. Infolge des Weltkrieges hatte es seinen politischen Einfluss im Fernen Osten vollständig verloren; durch den Vertrag mit Mandschukuo3 gewann es etwas Terrain; mit diesem neuesten Vertrage wird es mit einem Schlage zu einem wichtigen Faktor in der Politik des Ostens. Dazu kommen wirtschaftliche Vorteile. Die japanische Regierung hat dieser Tage das bisher grösste Budget in Vorschlag gebracht. Davon entfällt die Hälfte auf die Armee und Marine und deren Rüstungen. Grosse Aufträge an die Industrie werden erwartet. Japan wird zum Ausbau seiner Kriegsindustrien trotz seiner schon hoch entwickelten eigenen Industrie noch viel vom Ausland beziehen müssen. Da Deutschland’s Vertrag mit Japan auch für wirtschaftliches Zusammengehen eine günstige Basis schafft, ist es der gegebene Lieferant, umsomehr als bei diesen Bestellungen ohne Zweifel die deutschfreundlichen militärischen Kreise viel mitzusprechen haben werden.
Für Japan ist der Gedanke der Bekämpfung des Kommunismus auf internationalem Gebiete nichts neues. Es hat bekanntlich in seinen Forderungen gegenüber China eine solche Zusammenarbeit dringend in Vorschlag gebracht; dieses zeigte sich aber sehr misstrauisch. Mag sein, dass der deutsch-japanische Vertrag schon seit längerm beschlossen war, dass man aber mit dessen Veröffentlichung auf den Zeitpunkt zuwarten wollte, wo China zugestimmt, in der Hoffnung, es hernach an diesem Haken in den Bereich deutsch-japanischen Einflusses ziehen zu können. Als sich dann die Verhandlungen mit China zu lange hinzogen, und die Gerüchte über den Vertrag intensiver wurden, entschloss man sich, mit dem deutsch-japanischen Vertrag allein vorwärts zu machen.
Als ausserpolitische Folge des Vertrages dürfte wahrscheinlich Russland, mit dem wichtige Besprechungen betreffend Fischereirechte, Ölkonzessionen in Saghalien, Grenzregulierung in Mandschukuo schweben, sehr zurückhaltend werden und zwar dies trotz der juristischen Differenzierung Japans zwischen der Sowjetregierung und dem Komintern. Der japanische Aussenminister teilt allerdings diese Befürchtung nicht und begründet seinen Standpunkt damit, dass sich die russische Regierung dann zu sehr mit dem Komintern identifizieren würde. In China erklärt der kluge Chiang Kai-Tschek, er schenke der japanischen Mitteilung, dass der Vertrag allein nur zur Bekämpfung des Kommunismus bestimmt sei, vollen Glauben; China werde somit von dem Vertrage in keiner Weise berührt und er bedinge auch keine Änderung in der Politik des Fernen Ostens. Es ist klar, dass man in China dieses Zusammengehen Deutschland’s mit Japan ungern sieht; die Wirkungen könnten sich später in einer Abnahme der deutschen Exporte zeigen. Hitler rechnet aber vielleicht damit, dass die zahlreichen deutschen Offiziere, denen die Ausbildung der chinesischen Armee anvertraut ist, Einfluss genug haben, um ungünstigen Folgen des Vertrages in China zu begegnen. Bei der angelsächsischen Welt ist das Zusammengehen Japans mit der europäisch-faschistischen Gruppe keine Empfehlung; auch bei den Franzosen nicht.
Infolge der ungünstigen Reaktion des Auslandes betreffend den Vertrag, ist die japanische Regierung bemüht zu betonen, dass es sich rein um eine Verständigung zur gemeinsamen Abwehr des Kommunismus handle und keine ändern Abmachungen oder Absichten mit diesem verbunden seien. Trotz dieser Erklärung hört man aber von verschiedenen Seiten folgende Begründung des neuen Vertrags, die wohl viel zu deren ablehnenden Aufnahme im Auslande beigetragen hat:
Schon seit einiger Zeit bestehe zwischen Deutschland und Japan ein geheimer Militärvertrag, dessen Spitze gegen Russland gerichtet sei; zur vollen Wirkung des Vertrages brauche es eines politischen Hintergrundes, den die kommunistische Gefahr und der neue Vertrag liefern muss; in angelsächsischen Kreisen hält man die vorstehende Möglichkeit nicht für ausgeschlossen; auf der russischen Botschaft soll man hievon sogar fest überzeugt sein, doch sei dieser Militärvertrag nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen das britische Reich gerichtet.
In diesem Zusammenhang ist nicht uninteressant zu erwähnen, dass dieses Jahr der hiesige deutsche Botschafter4 sowohl als sein Militârattaché Oberst Ott gleichzeitig während mehreren Monaten in Deutschland auf Urlaub weilten, was die Besprechungen sowohl politischer als militärischer Fragen wahrscheinlich macht. Die japanische Armee hat vor einigen Wochen eine Broschüre veröffentlicht, in der sie intensiv auf die russische Rüstung und die Gefahr die von Russland droht, hinweist. Seit Bekanntgabe des Vertrags werden in den Kinos von Tokyo unter den Aktualitäten die deutsche und japanische Armee und Marine gezeigt.
Dass Japan rüstet, steht ausser Zweifel. Die Armee und die Marine verlangen zu diesem Zwecke gewaltige Summen. Die Armee hat die älteren Offiziere zu einem grossen Teil durch jüngere und naturgemäss aggressivere ersetzt. Die Marine hat eine Flottenumorganisation vorgenommen, die eine wesentliche VerStärkung bedeute; in der Wirtschaft macht sich eine Tendenz auf staatliche Zentralisierung und Kontrolle geltend; die Munitions- und Waffenfabriken sind voll beschäftigt; von wichtigen Rohprodukten sucht man grosse Lager anzulegen, so an Eisen, Wolle, Benzin etc.; die Finanz muss sich gemäss des Finanzministers eigenen Worten auf «Quasikriegszeit» einstellen.
Bei diesen Rüstungen dürfte es sich schwerlich um die Verteidigung des eigentlichen Japans handeln; denn wenn ein Angriff auf Japan selbst ernstlich befürchtet würde, hätte der Generalstab schon seit langem einen bessern Ausbau des Strassennetzes durchgesetzt; letzteres ist aber zur Zeit, namentlich in Anbetracht der Mechanisierung der modernen Armee, absolut ungenügend. (Bei einer Autoreise von Tokyo nach Aomori die Ostküste hinauf und die Westküste hinunter, musste ich wiederholt grosse Umwege machen oder den Wagen verladen, weil Strassen unpassierbar oder Brücken weggeschwemmt waren). Die Rüstungen sind also vielmehr eine Vorbereitung für einen Konflikt ausserhalb Japans; das Hauptquartier der kontinentalen Kwantungarmee soll viel grösser sein wie das Hauptquartier der englischen Armee in Indien, was darauf hindeutet, dass es Japan mit seiner Kontinentalpolitik weitesten Umfangs ernst ist.
Ein Krieg mit Russland wird nun allerdings in nächster Zeit nicht erwartet. Erstens einmal besteht die Erklärung des Ministerpräsidenten Hirota, dass es während seiner Amtszeit zu keinem Kriege kommen werde, immer noch zu Recht; dann wird auf die mangelnde Kriegsbereitschaft im Heer, der Marine, der Industrie, auf die mangelnden Vorräte hingewiesen, die maximal kaum für ein Jahr reichten; Japan würde keinen Zollkonflikt mit Australien begonnen haben, da es dessen Rohprodukte benötigt; die Finanzen seien nicht genügend konsolidiert; die Lage in China zu unsicher; auch die Stellung der Mächte nicht genügend abgeklärt. Auf Grund all dieser Überlegungen wäre ein Krieg kaum vor circa zwei Jahren möglich.
In meinem Berichte vom 3. Dezember5 hatte ich Ihnen die amtliche japanische Darlegung und Begründung des japanisch-deutschen Vertrages zur Kenntnis gebracht; vorstehende Ausführungen geben wieder, was man in diplomatischen und ändern Kreisen im Zusammenhang mit dem Vertrage hört. Persönlich bin ich der Ansicht, dass zur Zeit weder im japanischen Volke noch in der Regierung die Mehrheit einen Krieg mit Russland oder einer ändern Macht anstrebt. Gemäss den allerjüngsten Erklärungen des Kriegsministers sind, wenn kriegerische Ereignisse kommen sollten, diese eher in China zu erwarten.
- 1
- Rapport politique: E 2300 Tokyo, Archiv-Nr. 8.↩
- 2
- Sur le Mandchoukouo, cf. nos 45 + A et 332.↩
- 3
- Accord commercial du 30 avril 1936. Cf. rapport du ministre W. Thurnheer, du 4 juin 1936 (E 2001 (D) 1/32).↩
- 4
- H. von Dirksen.↩
- 5
- Non reproduit.↩