Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
11. France
11.2. Questions de travail
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 11, doc. 16
volume linkBern 1989
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001C#1000/1534#960* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(C)1000/1534 56 | |
Dossier title | Reglement betr. Ein- und Auswanderung, II (1933–1934) | |
File reference archive | B.31.01.05 • Additional component: Frankreich |
dodis.ch/45937
In Frankreich wurde am 10. August 1932 ein Gesetz zum Schutze der nationalen Arbeitskräfte2 erlassen, das insbesondere eine Beschränkung des Prozentsatzes der ausländischen Arbeitskräfte innerhalb einzelner Betriebe vorsieht und auf diese Weise eine teilweise Verdrängung der ausländischen Arbeitnehmer anstrebt. Das Gesetz wurde, entgegen dem anfänglichen Widerstand der Regierung, von der Kammer durchgesetzt und schliesslich auch vom Senat angenommen. Im Gesetzestext selbst wurde eine solche prozentuale Beschränkung nur vorgeschrieben als Bedingung für die Vergebung von öffentlichen Aufträgen und Arbeiten und für konzessionierte öffentliche Dienste (Wasser-, Gas-, Elektrizitätswerke). Dagegen räumte Artikel 2 der Regierung das Recht ein, auch für die einzelnen Erwerbszweige allgemein oder regional den maximalen Prozentsatz der ausländischen Arbeitnehmer pro Betrieb auf dem Dekretswege festzusetzen.
Nach anfänglichem Zögern hat die Regierung begonnen, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, und es sind, namentlich in der letzten Zeit, eine grosse Anzahl solcher, regelmässig auf bestimmte Departemente beschränkte Dekrete erlassen worden, durch welche ein Prozentsatz von gewöhnlich 10 bis 20% der in den einzelnen Betrieben beschäftigten Ausländer festgesetzt wurde. Weitere Dekrete für die verschiedensten Erwerbszweige sind in Vorbereitung, und es gehen der französischen Regierung unter dem Einfluss der Krise immer neue diesbezügliche Gesuche zu. Während die meisten dieser Dekrete anscheinend bis jetzt unsere Landsleute nicht oder nicht in erheblicher Weise betroffen haben, wenigstens sind uns Klagen nicht zugegangen, erwies sich das Dekret vom 20. März 1933, wonach für das Hotelgewerbe in den Seealpen der Prozentsatz der Ausländer auf 10% festgesetzt wurde, und zwar getrennt für das untere Personal einerseits und für das höhere Personal andererseits, als verhängnisvoll für zahlreiche Landsleute, die zum grössten Teil seit Jahrzehnten dort beschäftigt sind. Zu unserer Kennntis sind bis jetzt etwa 40 Fälle gelangt, doch ist es wahrscheinlich, dass nicht alle betroffenen Schweizer an das Konsulat in Nizza gelangt sind, zumal alle Bemühungen des Konsulates wie auch der Gesandtschaft in Paris völlig ergebnislos geblieben sind3. Am 26. Dezember 1933 wurden entsprechende Dekrete auch für das Hotelgewerbe und einigen ändern Departementen, vor allem im Seinedepartement (Paris) erlassen. Bis jetzt haben sich drei Schweizer bei der Gesandtschaft gemeldet. Auch das Konsulat in Marseille meldete einige Fälle.
Unsere Gesandtschaft in Paris hat sich von Anfang an bei der französischen Regierung dafür eingesetzt, dass durch die geplanten und dann verwirklichten Vorschriften die Rechte der Schweizer aus dem Niederlassungsvertrag von 18824 nicht beeinträchtigt werden dürfen. Als sich ergab, dass die Vorschriften auch auf Schweizer angewendet werden, ist die Gesandtschaft in zahlreichen schriftlichen und mündlichen Schritten bei der französischen Regierung vorstellig geworden5, um darauf hinzuweisen, dass eine Anwendung dieser Dekrete auf unsere Landsleute gegen die Gleichbehandlungsklausel (Art. 1 und 3) unseres Niederlassungsvertrages verstosse, zum mindesten soweit es sich um Schweizer handelt, die seit mehreren Jahren in Frankreich ansässig sind. Wenn es auch richtig ist, dass nach dem Kriege beide Staaten sich Vorbehalten haben, die Neuzulassung von Bürgern des ändern einzuschränken, von einer Bewilligung abhängig zu machen und diese an Bedingungen hinsichtlich der Erwerbstätigkeit zu knüpfen, so ist doch die volle Geltung des Vertrages für die seit langem ansässigen beiderseitigen Staatsangehörigen nie in Zweifel gezogen worden. Die Franzosen in der Schweiz werden, sobald sie die in der Regel nach etwa fünfjährigem Aufenthalt erteilte Niederlassungsbewilligung besitzen, auf dem Arbeitsmarkt den Schweizern völlig gleichgestellt. Es ist klar und ist auch vom französischen Aussenministerium nicht bestritten worden, dass die Anwendung der erwähnten Dekrete auf seit langem in Frankreich niedergelassene Schweizer gegen die Gleichbehandlungsklausel der Niederlassungsvertrags verstösst; denn die vorgeschriebene prozentuale Beschränkung hat nicht nur die Entlassung von Schweizern zur Folge, sondern beeinträchtigt auch ihre Aussichten bei der Stellenbewerbung.
Die Vorstellungen der Gesandtschaft sind leider bis jetzt ohne Antwort geblieben. Auch ein Schritt des Gesandten beim seinerzeitigen Aussenminster Paul-Boncour blieb erfolglos, trotzdem dieser versprach, sich der Sache anzunehmen. Es hat nach den Berichten unseres Gesandten den Anschein, dass die französische Regierung angesichts der Krise und der fremdenfeindlichen Einstellung der öffentlichen Meinung nicht geneigt ist, unsern Beschwerden Rechnung zu tragen. Zwar richten sich die erlassenen Vorschriften, wie uns versichert wurde, keineswegs speziell gegen unsere Landsleute, sondern bezwecken vor allem den Arbeitsmarkt durch die teilweise Verdrängung von Arbeitern, die nach dem Kriege aus den Oststaaten und Italien in das von Arbeitskräften entblösste Land eingewandert sind, zu entlasten. Die französische Regierung befürchtet, dass Konzessionen gegenüber der Schweiz auch den ändern Ländern gewährt werden müssten, die sich gestützt auf die bestehenden Verträgen ebenfalls und wie wir vergeblich beschwert haben.
Die geringe Zahl der bis jetzt gemeldeten Fälle darf, wie unsere Gesandtschaft in Paris mit Recht immer wieder hervorhebt, nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Weiterbestehen der ergangenen und die zu erwartenden weitern Dekrete die Lage der grossen Schweizerkolonie in Frankreich (137000 im Jahre 1932) in hohem Masse gefährden.
Wir sahen uns deshalb schon im Januar veranlasst, gemeinsam mit den Leitern der Polizeiabteilung und des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit aufs einlässlichste zu prüfen, ob nicht Mittel und Wege gefunden werden könnten, um die schweizerischen Arbeitnehmer in Frankreich in wirksamer Weise zu schützen6. Angesichts der Tatsache, dass den 137 000 Schweizern in Frankreich nach der Volkszählung von 1930 nur 37 000 Franzosen gegenüberstehen, mussten wir uns davon überzeugen, dass Gegenmassnahmen nicht zu einem Erfolg, sondern nur zu einer weiteren Gefährdung der Schweizerkolonie führen müssten und auch direkte Verhandlungen mit der französischen Regierung angesichts der Schwäche unserer Position keinen Erfolg versprechen. Das einzige Gewicht, das wir zu unsern Gunsten in die Waagschale werfen können, ist der grosse französische Einfuhrüberschuss im schweizerisch-französischen Warenverkehr. Die Gesandtschaft in Paris hatte schon vor der erwähnten Konferenz angeregt, die bevorstehenden Wirtschaftsverhandlungen zu benützen, um auch für die Behandlung der schweizerischen Arbeitnehmer Konzessionen zu erzielen7. Wir glaubten damals, diese einzige Waffe für den äussersten Notfall in Reserve behalten zu sollen.
Seither ist aber die Gesandtschaft auf ihren Vorschlag zurückgekommen und hat erneut empfohlen, der schweizerischen Delegation für die Wirtschaftsverhandlungen Mitglieder beizugeben, welche mit dem Arbeitministerium verhandeln würden8. Die Gesandtschaft bemerkt gleichzeitig: «Die Haltung der französischen Behörden ist und bleibt eindeutig. Die auf Grund des Gesetzes vom 10. August 1932 erlassenen Dekrete werden rücksichtslos und ohne Ausnahme durchgeführt.»
Angesichts dieser immer bedrohlicher werdenden Situation, auf die auch vom Verband des schweizerischen Hotelpersonals9 mit der dringenden Bitte um nachdrücklichen Schutz hingewiesen wurde, haben wir uns mit dem Chef der Handelsabteilung in Verbindung gesetzt, um zu erfahren, ob die Möglichkeit bestünde, bei den bevorstehenden Wirtschaftsverhandlungen etwas für die Schweizer in Frankreich zu tun. Herr Minister Stucki schloss diese Möglichkeit nicht aus, wenn er auch auf die grossen Schwierigkeiten hinwies, welche auf dem Gebiete des Warenverkehrs selbst zu überwinden sind.
Es würde sich bei der zu unternehmenden Aktion unseres Erachtens darum handeln, parallel neben den Wirtschaftsverhandlungen mit den für den Arbeitsmarkt zuständigen Stellen zu verhandeln mit dem Ziele, die seit einer bestimmten Frist in Frankreich ansässigen Schweizer von der Anwendung der erwähnten Dekrete zu befreien. Der Anspruch wäre zu stützen auf den Niederlassungsvertrag und die Tatsache, dass der französische Arbeitsmarkt aus dem grossen Einfuhrüberschuss Frankreichs gegenüber der Schweiz wesentliche Vorteile erziele, welche die Schweiz nur unter der Voraussetzung weiter zugestehen könne, dass die Gleichbehandlung der Schweizer auf dem Arbeitsmarkt gemäss dem Niederlassungsvertrag respektiert werde. Auf diese Weise würde erreicht, dass diese Bemühungen eine gewisse Unterstützung nicht nur durch das französische Aussenministerium, sondern auch durch das Handelsministerium erhalten würden.
Es hat nicht etwa die Meinung, dass ein Entgegenkommen auf dem Gebiete des Arbeitsmarktes gegen das Entgelt von bestimmten Warenkontingenten oder den Verzicht auf Kontingente für die schweizerische Ausfuhr einzutauschen wäre, sondern es könnte sich nur darum handeln, allenfalls den Abschluss der Handelsvereinbarung als solche an die Bedingung eines Entgegenkommens in der Arbeitsmarktfrage zu knüpfen oder wenigstens deren Kündigung für den Fall offen zu halten, dass in der letztem Frage kein genügendes Entgegenkommen gezeigt würde. Es muss allerdings mit dem Einwand gerechnet werden, dass der französische Einfuhrüberschuss bereits stark zurückgegangen sei, während vom Schutz des nationalen Arbeitsmarktes in Frankreich bisher nur eine verhältnismässig kleine Zahl von Schweizern betroffen wurde.
Auch liesse sich geltend machen, dass, wenn man die beiden Dinge einander gegenüberstelle, der Einfuhrüberschuss Frankreichs, neben der Zahl der Schweizer in Frankreich, auch wenn sich diese in nächster Zeit erheblich vermindere, nicht als besonders gross erscheine.
Auch darf man sich nicht vor der Tatsache verschliessen, dass es bei der heute in Frankreich herrschenden fremdenfeindlichen Mentalität und wegen der Rückwirkungen gegenüber dritten Staaten der französischen Regierung ausserordentlich schwer fallen dürfte, unserm Begehren entgegenzukommen und einen für sie gangbaren Weg zu diesem Zwecke zu finden. Die Aussichten für einen Erfolg der zu unternehmenden Bemühungen sind darum eher ungünstig.
Es ist aber kaum anzunehmen, dass, wenn dieser Versuch misslingt, die Behandlung der Schweizer dadurch verschlechtert würde. Dagegen besteht zweifellos ein Interesse daran, dass für den Fall eines Scheiterns der Wirtschaftsverhandlungen auch unsere Forderungen bezüglich der Behandlung der Schweizer mit vorgebracht worden sind, weil es sonst später schwierig, wenn nicht unmöglich wäre, sie bei einer Wiederaufnahme der Verhandlungen zur Sprache zu bringen, so dass das einzige wirksame Kampfmittel, das wir zum Schutz unserer Mitbürger in Frankreich ins Feld führen können, in Wegfall käme.
Es ist noch darauf hinzuweisen, dass ausser den Dekreten über die prozentuale Beschränkung der ausländischen Arbeitnehmer eine weitere Gefahr droht in Form einer Sondersteuer von 10% der Lohnsumme für die Beschäftigung von Ausländern und des Einkommens selbständig erwerbstätiger Ausländer. Zwei Versuche, eine solche Steuer auf dem Budgetwege einzuführen, sind zwar am Widerstand des Senates gescheitert, doch musste sich die Regierung verpflichten, einen Gesetzesentwurf über diese Frage vorzubereiten. Eine Erhebung einer solchen Steuer mit Bezug auf die Schweizer würde offensichtlich gegen unsern Niederlassungsvertrag verstossen. Es ist aber der Gesandtschaft bereits zu verstehen gegeben worden, dass es zu einer Kündigung des Vertrages kommen könnte. Es bedarf keiner nähern Erörterung, welche katastrophalen Wirkungen eine solche Steuer für die Schweizer in Frankreich hätte. Es besteht deshalb aller Anlass, sich mit Bezug auf den Warenverkehr nicht oder nicht langfristig festzulegen, ohne die nötigen Garantien auf diesem Gebiet erhalten zu haben.
Bei der geschilderten ernsten Lage der Schweizer in Frankreich hielten wir es für angezeigt, dem Bundesrat die vorstehende erörterte Frage zu unterbreiten.
Falls der Bundesrat der hier vertretenen Auffassung beipflichtet, dürfte es sich empfehlen, die Herren Dr. Rothmund und Direktor Renggli mit der Handelsdelegation nach Paris abzuordnen.
[...]10
Das Politische Departement beehrt sich daher zu beantragen,
der Bundesrat möge beschliessen:
1. Dem Bericht des Politischen Departements über die Behandlung der Schweizer in Frankreich wird zugestimmt.
2. Das Politische Departement wird beauftragt, im Benehmen mit dem Volkswirtschaftsdepartement das Nötige zur Aufnahme von Verhandlungen mit der französischen Regierung über die in dem Bericht erörterten Fragen vorzubereiten und dem Bundesrat über die Ernennung der Delegierten und die ihnen zu erteilenden Weisungen Antrag zu stellen11.
- 1
- E 2001 (C) 4/56.
Schutz der schweizerischen Arbeitnehmer in Frankreich↩
- 2
- Loi protégeant la main-d’œuvre nationale (JO.RF, 12 août 1932, no 188, p. 8818 et DDS vol. 10, no 238, dodis.ch/45780).↩
- 3
- DDS vol. 10, no 285, dodis.ch/45827 et A.↩
- 4
- Du 23 février 1882 (RO, 1882, vol. 6, pp. 362ss.).↩
- 5
- DDS vol. 10, nos 316, dodis.ch/45858, 321, dodis.ch/45863 et 370, dodis.ch/45912.↩
- 6
- Cf. no 2.↩
- 7
- Cf. no 21.↩
- 9
- Lettre du 30 novembre 1933 (E 2001 (C) 4/55).↩
- 10
- Les négociateurs suisses devraient aussi relancer les conversations sur la double imposition, qui sont dans l’impasse du fait de la résistance passive française.↩
- 11
- Pour la décision du Conseil fédéral, cf. no 21.↩
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