Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
1. Allemagne
1.7. Questions politiques générales
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 10, doc. 327
volume linkBern 1982
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1551#3207* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1000/1551 98 | |
Dossier title | Reichsparteitage in Nürnberg (1933–1939) | |
File reference archive | B.46.A.20.4 |
dodis.ch/45869
Mit Ihrem Einverständnisse2 bin ich also der Einladung des Reichskanzlers zum Reichsparteitag der nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei in Nürnberg vom ersten bis dritten September gefolgt. Wie ich aus den schweizerischen Zeitungen ersehe, findet diese Beteiligung in der Schweiz nicht allseitige Billigung3 und hat sich der Zentralvorstand der freisinnig-demokratischen Partei sogar veranlasst gesehen, dazu sein Bedauern auszusprechen4.
Wie Sie sich erinnern, war die Einladung auf der Gesandtschaft eingegangen, unmittelbar bevor ich hierher aus der Schweiz zurückkehrte. Herr Legationsrat Frölicher hatte Ihnen die Angelegenheit sofort und in einer Weise unterbreitet, die durchaus meiner eigenen Auffassung entsprach. Auf die zustimmende Antwort des Departements, mit deren Ausführungen ich ebenfalls einig ging, nahm ich denn die Einladung an, nachdem ich zuvor noch, wie ich Ihnen am 23. August schrieb5, vom Protokoll die Auskunft erhalten hatte, dass an die dreissig Vertretungen die Einladung des Reichskanzlers bereits angenommen hätten6.
Ich gestehe, dass mir trotzdem die Sache nicht ganz lag, weil ich mich, wie übrigens einige meiner Kollegen, in eine Zwangslage versetzt fühlte. Je mehr ich mir’s aber überlegte, desto mehr verstärkte sich bei mir der Eindruck, dass die getroffene Entscheidung uns auch mehr nützen als schaden würde. Bei der zunehmenden Schwierigkeit unserer Beziehungen zu Deutschland auf allen Gebieten erscheint es doch vorsichtig und zweckmässig, alles zu vermeiden, was als eine unfreundliche oder unfreundschaftliche Einstellung gegenüber der Partei und dem System als solchem gedeutet werden könnte oder müsste7.
Das ist mir gerade zum starken Bewusstsein gekommen im Laufe der vorigen Woche, als die Grenzverletzung in Ramsen8 mich in intensive Bewegung setzte. Unter anderem weil in der Form meiner zugesagten Beteiligung in Nürnberg unsere sagen wir verständnisvolle Einstellung zum heutigen Deutschland bekundet worden war, konnte ich es leichter verantworten, eine Sprache zu führen, die zwischen den beiden Regierungen doch nicht alltäglich ist. Ich darf heute beifügen, dass ich am vorigen Donnerstag, als die letzten Widerstände gegen die augenblickliche Auslieferung Webers in kürzester Frist gebrochen werden mussten, den in Betracht kommenden Stellen des Auswärtigen Amtes zu zwei Malen erklärte, dass, wenn vor dem Abend der Anstand nicht geordnet sei, ich in letzter Stunde darauf verzichten müsste, am Freitag früh nach Nürnberg zu fahren, da ich die Gesandtschaft unter solchen Umständen zu verlassen nicht verantworten möchte. Sie sehen, in welchem Sinne ich in formaler Hinsicht gemachte Konzessionen glaubte und weiterhin glaube zu unsern Zwecken ausbeuten zu sollen.
Tatsächlich haben 29 Missionschefs die Nürnbergertage mitgemacht. Es waren 31 angekündigt; die Vertreter Litauens und Rumäniens haben am Vorabend krankheitshalber abgesagt. Von den Teilnehmenden sind für uns von Interesse die Vertreter von Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, Estland, Lettland, Italien, Irland, Ungarn, Griechenland, Bulgarien, der Türkei, Ägypten, Portugal, sodann Argentinien, Brasilien, Uruguay, Mexiko und China. Davon vertraten einige Monarchien und mehrere Staaten mit ausgesprochen demokratischen Einrichtungen. Dass Frankreich, Belgien, Polen, die Tschechoslowakei, wie auch Österreich nicht mitmachen wollten, versteht sich, war aber eher ein Grund für als gegen die Beteiligung der Schweiz. Auf der britischen Botschaft bestand anfänglich die Absicht, der Aufforderung Folge zu leisten9. Dass das schliesslich nicht der Fall war, dürfte zurückzuführen sein einmal auf die Abwesenheit des neuen Botschafters, der nach vergeblichem langem Warten sein Beglaubigungsschreiben noch nicht überreichen konnte, sodann, wie ich vermuten möchte, auf einen diesfälligen Wunsch Frankreichs. Was Spanien und die Vereinigten Staaten anbelangt, so konnten ihre neuen Botschafter ihre Beglaubigungsschreiben erst am Vorabend Nürnbergs überreichen, was sie veranlasst haben mag, ihre Mission nicht in der gedachten Weise einzuweihen. Der niederländische Gesandte endlich konnte der Teilnahme an der Nürnbergertagung aus dem Wege gehen, indem er sich, möglicherweise deswegen, beizeiten in Urlaub begab. Und dass unter den mitgegangenen Diplomaten sich acht zeitweilige Geschäftsträger befanden, ist einfach darauf zurückzuführen, dass um diese Jahreszeit eine Anzahl von Missionschefs noch in den Ferien sind. Das hätte leicht auch auf mich zutreffen können und dann wäre offenbar die Schweiz durch ihren Geschäftsträger vertreten gewesen.
In den drei Tagen hatten wir Missionschefs natürlich Gelegenheit, uns über das Thema der Regelmässigkeit und Zweckmässigkeit unserer Gegenwart in Nürnberg zu unterhalten. Die meisten von uns handelten natürlich mit Wissen und Zustimmung der Vorgesetzten Behörde, und alle waren der Auffassung, dass unter den gegebenen Umständen die Beteiligung als das Richtige oder jedenfalls das Richtigere zu betrachten war.
Die Einladung war auf einen direkten, ausdrücklichen Wunsch des Reichskanzlers erfolgt. Der Führer der Partei ist heute in solcher Weise der Führer der Nation oder des Deutschen Reiches geworden, dass da in seiner Person eine Trennung machen zu wollen keiner Realität mehr entspräche. Man kann gerade nach der Nürnbergertagung den Deutschen schwerlich widersprechen, die behaupten, dass der Staat gewissermassen in der nationalsozialistischen Partei aufgegangen sei, m.a.W. dass nationalsozialistisch sich mit national kurzweg decke. Wie in Ihrem Schreiben vom 21. August10 treffend bemerkt, wird hinsichtlich der Zustände in Italien zwischen faschistisch und national seit langem kein Unterschied mehr gemacht. Ist man in Deutschland bereits so weit in Bezug auf den Nationalsozialismus? Man ist geneigt, diese Frage zu bejahen, nach dem, was man in Nürnberg sehen und hören konnte, ohne allerdings damit ein überzeugtes Urteil über die Dauer der dermalen bestehenden Zustände abgeben zu wollen.
Wenn auch den Nürnbergeranlässen die Aufschrift «Reichsparteitag» gegeben worden ist, so hatten wir alle das Gefühl, einer in diesem Ausmasse wohl selten dagewesenen nationalen Veranstaltung beizuwohnen. Auch äusserlich trug sie dieses Gepräge. Die ganze Regierung war zugegen, obwohl bisher nicht bekannt geworden ist, dass sich ihre sämtlichen Mitglieder parteimässig zum Nationalsozialismus bekannt hätten. Um den ausländischen Vertretern für ihr Erscheinen zu danken, hat uns nicht nur der Reichskanzler in dem uns als Quartier dienenden Eisenbahnzug einen Besuch abgestattet, sondern auch der Minister des Auswärtigen, der keineswegs im Namen der Partei zu handeln und sprechen berufen ist.
Was mich persönlich am meisten gestossen hat, ist, dass wir als Vertreter unserer Regierungen und gerne gesehene Ehrengäste des Reichskanzlers seinen sich in raschestem Tempo folgenden grossen Reden und kürzeren Ansprachen in passiver Haltung lauschen mussten, obwohl darin zu viele unhaltbare sog. Grundsätze aufgestellt wurden über Rasse, Volk, Instinkt, Kunst und Vorsehung, wie er auch insbesondere die Demokratie ganz allgemein aufs Korn nahm und sie zum mindesten lächerlich zu machen suchte. Man könnte füglich sagen, dass, um solches mitanzuhören, er uns nicht hätte einzuladen brauchen. Aber wir werden, in nächster Zeit wenigstens, hier überhaupt nicht viel anderes zu hören bekommen, und der praktische Schluss, den ich daraus zu ziehen geneigt wäre, ist, dass auch wir uns gegenüber dieser Regierung nicht zu genieren brauchen. Ihre ganze Art ist so bestimmt, absolut, rücksichtslos und jede Erörterung ausschliessend, dass wir ihr einen Dienst leisten, wenn wir sie, wenigstens im internationalen Verkehr, zur sachlichen, aber harten Diskussion zwingen.
Die Auslassungen der nationalsozialistischen Führer in Nürnberg sind durch die Presse in reichstem Masse verbreitet worden und so auch Ihnen bekannt geworden. Es war aber dort nicht nur manches zu hören, sondern auch viel zu sehen. Unverkennbar war festzustellen die begeistertste Zustimmung eines ganzen Volkes; denn es sollen in den drei Tagen weit über eine Million Menschen in Nürnberg eingereist sein. Das hat den Kanzler veranlasst, den ausländischen Vertretern zu sagen, dass sie sicher den Eindruck empfangen haben werden, dass die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland nicht Zwang oder gar Tyrannei sei, sondern dass hier die Volksstimme zum innersten und tiefsten Ausdruck komme. Anderseits bot der Aufmarsch von beinahe zweihunderttausend gut uniformierten Leuten in strammster Haltung und Zucht ein überwältigendes Bild. Eine Abordnung der Abrüstungskonferenz hätte lehrreiche Eindrücke empfangen können. Fehlten nicht die Waffen, wäre uns das denkbar grossartigste militärische Schauspiel geboten worden. Dabei hat der Kanzler nicht versäumt, Deutschlands Friedenswillen mit Nachdruck erneut zu bestätigen.
Das Echo der Nürnbergtagung, das uns vom Auslande zurückkommt, zeigt in entscheidender Weise, dass sie dort nicht als Parteisache, sondern als nationale Kundgebung im weitesten Sinne angesehen wird und dass sie in der internationalen Politik der allernächsten Zeit noch eine Rolle spielen dürfte.
Diese letztere Feststellung erklärt und rechtfertigt schliesslich die Nürnbergerreise der hiesigen diplomatischen Vertreter, die dort für die Erfüllung ihrer Mission zweifelsohne nützliche Beobachtungen anstellen konnten.
- 1
- Lettre: E 2001 (D) 1/98.↩
- 2
- Lettre du Chef de la Division des Affaires étrangères du Département politique, M. de Stoutz, au Ministre de Suisse à Berlin, P. Dinichert du 21 août 1933, en réponse à une lettre du 18 août du Chargé d’affaires a.i. à Berlin, H. Frölicher(E 2001 (D) 1/98).↩
- 3
- Le 31 août R. Baumann et sept autres signataires, parmi lesquels le conseiller d’Etat tessinois G. Canevascini et Ch. Schürch, délégué ouvrier suisse à la Conférence internationale du travail, protestent contre la présence du Ministre de Suisse à Nuremberg(E 2001 (D) 1/98). Le Conseil fédéral décide de laisser cette pétition sans réponse (E 1004 1/342 PVCF du 5 septembre 1933).↩
- 4
- Le 3 septembre 1933.↩
- 5
- Non reproduit.↩
- 8
- Le 27 août 1933, quatre membres de la SA. pénètrent en territoire suisse et s’emparent dans une habitation située à 100 mètres de la frontière d’un contrebandier tchèque nommé Weber. La Suisse exige la restitution du contrebandier, ce qui est fait, et une punition sévère des coupables. Sur cette affaire, comme sur les incidents de frontières de Augst-Wyhlen et de l’Otterbach, qui Jonl l’objet d’un entretien à Genève le 26 septembre 1933 entre le Chef du Département politique, G. Motta, et les Ministres du Reich Goebbels et von Neurath cf. no 336. Ultérieurement, Weber sera expulsé du territoire suisse.↩
- 10
- Non reproduit. Cf. n. 1.↩
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