Classement thématique série 1848–1945:
II. RELATIONS BILATÉRALES
1. Allemagne
1.1. Relations commerciales
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 10, doc. 119
volume linkBern 1982
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| Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001C#1000/1533#274* | |
| Old classification | CH-BAR E 2001(C)1000/1533 11 | |
| Dossier title | Handelsvertrag mit Deutschland (1927–1934) | |
| File reference archive | B.14.2.1 • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/45661
Mit Ihrem vertraulichen Schreiben vom 2.ds.2, hier eingegangen am 5.ds., ersuchen Sie mich, Ihnen bei Gelegenheit meine Eindrücke aus der Stellungnahme der Reichsregierung in den deutsch-schweizerischen Handelsvertragsverhandlungen und aus der Campagne in der deutschen Presse mitzuteilen.
Mit der Bitte um vertrauliche Behandlung beehre ich mich, Ihrem Aufträge mit folgender Ansichtsäusserung nachzukommen.
Der Konflikt ist bekanntlich dadurch entstanden, dass von deutscher Seite erklärt wurde, der von den beidseitigen Delegationen entworfene Vorvertrag3 sei vom deutschen Kabinett schon deshalb abgelehnt worden, weil die von schweizerischer Seite angekündigte finanzielle Bedingung für Deutschland undiskutierbar sei. Es handelt sich um die angebliche Bedingung, dass die Kaufpreise aus deutschen Warenlieferungen von den schweizerischen Bezügern nicht an den deutschen Lieferanten bezahlt, sondern an die Schweizerische Nationalbank abgeführt werden sollen, die sie nach einem bestimmten Schlüssel unter anderem zur Amortisierung schweizerischer Forderungen in Deutschland verwenden würde. Von schweizerischer Seite ist durch die Presse sofort dementiert worden, dass eine solche Bedingung gestellt worden sei. Inzwischen war aber die deutsche Behauptung bereits von der deutschen Presse aufgegriffen und zum Gegenstand von stellenweise sehr heftigen Angriffen auf die Schweiz gemacht worden.
Auf die mir am Abend des 29. Oktober vom Chef des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement telephonisch erteilte Weisung hin, begab ich mich am 30. Oktober früh zu Herrn Ministerialdirektor Ritter, um mich über die indiskrete und entstellende Verwendung eines Privatgesprächs - denn um ein solches handelte es sich nach den Mitteilungen des Volkswirtschaftsdepartements - zu beschweren. Über meine bezügliche Unterredung mit Herrn Ritter habe ich am 30. Oktober ausführlich an das Volkswirtschaftsdepartement berichtet4; ich darf mir erlauben, auf den Inhalt meines bezüglichen Schreibens zu verweisen.
Dass die in dem in meinem Bericht erwähnten Telegramm von Posse als Bedingung bezeichnete Äusserung von Herrn Direktor Stucki keineswegs eine solche war, dass es sich vielmehr lediglich um einen ausserhalb der Delegationsverhandlungen in privatem Gespräch unverbindlich geäusserten persönlichen Gedanken von Herrn Stucki handelte, ist von letzterem in seiner Aufzeichnung über das fragliche Privatgespräch vom 24. Oktober mit Herrn Posse ausführlich und eindeutig nachgewiesen5. Es ist aber, da ich an der Authentizität des mir vorgelegten Telegramms nicht zweifeln kann, zuzugeben, dass das Auswärtige Amt die von Posse gemeldete Äusserung Stuckis, so wie sie wiedergegeben war, als eine vom schweizerischen Delegationsführer dem deutschen angekündigte Bedingung auffassen musste. Inwiefern Herr Posse bei seiner unrichtigen Meldung einem zwar schwer erklärlichen Missverständnis oder dem Wunsch nach telegraphischer Kürze zum Opfer fiel oder tendenziös handelte, vermag ich nicht zu beurteilen. Wahrscheinlich aber kam die Meldung Herrn Ritter gelegen, denn sie schien es ihm zu ermöglichen, das Vorabkommen zu Fall zu bringen und gleichzeitig das Scheitern einer demütigenden Zumutung der Schweiz zuzuschreiben. Er hat später auch erklärt, dass er mit der Entfesselung der Pressekampagne die Kündigung des Handelsvertrags von seiten der Schweiz verhütet habe.
Herr Ritter ist nicht ein angenehmer Verhandlungsgegner. Er hat auch schon bei einer früheren Differenz sehr scharfe Töne gegenüber der Schweiz angeschlagen. Ich erlaube mir, auf meinen bezüglichen Bericht an Sie vom 18. Oktober 19306 zu verweisen. Im vorliegenden Fall war er wahrscheinlich noch überdies in gereizter Stimmung, weil bei den gepflogenen Verhandlungen Deutschland fast nur geben sollte, ohne etwas fordern zu können. So bemerkte er im Verlaufe unserer Unterredung, die Verhandlungen seien von schweizerischer Seite so ultimativ und diktatorisch geführt worden, dass sie den Namen von solchen nicht mehr verdienen.
Herr Ritter hat mir erklärt, er habe sich verpflichtet gefühlt, sofort die Interessenten von der schweizerischen «Bedingung» in Kenntnis zu setzen. Diese seien in Aufruhr geraten, sodass beispielsweise die I. G. Farben (mit welcher Behauptung er der Schweiz wohl Angst machen wollte) sofort die Verlegung ihres schweizerischen Sitzes von Basel nach Holland in Erwägung gezogen haben. Herr Ritter hat also die Pressekampagne entfesselt, zum mindesten nicht verhindert.
Ist demnach die letztere m. E. fast ausschliesslich auf Herrn Ritter zurückzuführen, wobei ich gerechterweise annehmen will, dass er wirklich glaubte, vor einer ihm unannehmbar erscheinenden schweizerischen Bedingung zu stehen, die abzuwehren seine Pflicht sei, so ist wichtig und beruhigend festzustellen, dass die Reichsregierung an seinem Vorgehen unbeteiligt war und dasselbe nicht gutheisst. Dies ist nämlich der Fall, wenn die Äusserungen, die Herr Ministerialdirektor Köpke7 vorgestern mir gegenüber machte, zutreffend sind und nicht nur nachträglich ein ungewohntes Vorgehen entschuldigen wollten.
Herr Köpke, mit dem ich seit vielen Jahren die besten Beziehungen unterhalte, kam bei meinem Besuch, den ich ihm zwecks Eröffnung der Mitteilungen des Volkswirtschaftsdepartements betreffend die Wiederaufnahme der Verhandlungen machte, auf den nun beigelegten Konflikt zu sprechen. Er bat mich aber, die bezüglichen Äusserungen, die er mir in Freundschaft mache, vertraulich zu behandeln, weshalb ich sie Ihnen auch nur mit derselben Bitte weitergebe.
Herr Köpke erklärte, dass Staatssekretär von Bülow und er selbst mit dem Vorgehen Ritters in keiner Weise einverstanden seien. Dass dieses Vorgehen möglich war, sei auf einen Regiefehler bzw. auf die Eigenmächtigkeit Ritters zurückzuführen. Das Telegramm von Posse habe zwar Köpke Vorgelegen, sei dann aber von Ritter ohne vorherige Fühlungnahme mit den politischen Instanzen in der bekannten Weise behandelt worden. Wenn auch Ritter insofern in Schutz zu nehmen sei, als aus dem Wortlaut des Telegramms nicht ersichtlich war, dass es sich um ein Privatgespräch gehandelt habe, so sei dessen Handlungsweise doch unzulässig gewesen. Es wäre seine Pflicht gewesen, durch die Deutsche Gesandtschaft in Bern Aufklärungen zu verlangen und eventuell die Bedingung bei den schweizerischen Stellen als unannehmbar zu bezeichnen; aber man überfalle nicht ein befreundetes Land mit einer derartigen Pressekampagne. Ritter habe sich u. a. damit zu rechtfertigen versucht, dass er mit seinem Alarm die Kündigung des Vertrages durch die Schweiz vermieden habe. Die Kritik am Verhalten Ritters sei so weit gegangen, dass dieser schliesslich den bekannten Ausspruch des entthronten Sachsenkönigs gemurmelt habe8. Aber auch im Kabinett sei das Vorgehen Ritters getadelt worden.
Darf aus diesen Ausführungen gefolgert werden, dass wir nicht vor einer von der Reichsregierung gewollten Brüskierung stehen, so möchte ich beifügen, dass an dem Empfang, den der Reichskanzler9 gestern als Aussenminister den Missionschefs gab, nicht nur die Spitzen des Auswärtigen Amts mich, wie mir vorkam, besonders freundlich begrüssten (wobei der Reichspressechef u. a. äusserte, man könne die Presse wohl loslassen, habe sie aber heute nicht mehr so in der Hand wie früher), sondern dass der Reichskanzler selbst mich im Empfangssalon aus dem Kreise der Geladenen an seine Seite zog und als ersten in den Theesalon und dort vor dem Nuntius und den Botschaftern an seinen Theetisch führte und ein längeres Gespräch mit mir unterhielt, wobei er allerdings den Zwischenfall nicht berührte, sondern hauptsächlich über die bevorstehende Konferenz10 und die Haltung Frankreichs sprach und dabei den Wunsch äusserte, die Konferenz möchte in Basel stattfinden. Ich glaubte, in seinem Verhalten eine gewollte Aufmerksamkeit erblicken zu sollen.
Was sodann die Presse betrifft, so darf nicht übersehen werden, dass die Stimmung in Deutschland infolge der Krise den Gläubigerländern gegenüber eine etwas gereizte ist und dass man sich auch von der Schweiz, die das aus Deutschland flüchtende Kapital aufgenommen und zu hohen Zinsen wieder hier angelegt habe, nicht besonders freundlich behandelt fühlt. Dass der Ausbruch deshalb ein heftiger war, kann nicht sonderlich verwundern. Auch kennen wir ja die Nuancen des Stichwortes nicht, das der Presse direkt durch Ritter gegeben wurde. Die Angriffe waren vielleicht auch nicht ausschliesslich gegen die Schweiz gerichtet, sondern sollten auf die Lage hinweisen, in die das seiner Verpflichtungen wegen zur Exportförderung gezwungene Deutschland seinen Absatzländern gegenüber komme. Bemerkenswert ist immerhin, dass die Ausfälle, nachdem Ritter, wie er mir meldete, die Presse abgeblasen hatte, sofort verstummten. Ich habe nach dem Gesagten den Eindruck, dass unangenehme politische Rückwirkungen des Zwischenfalles nicht zu befürchten sind und dass die Pressekampagne als erledigt betrachtet werden darf. Beides könnte sich aber ändern, wenn die bevorstehenden neuen Verhandlungen zu keinem Ergebnis, sondern im Gegenteil zur Kündigung des Handelsvertrages führen würden. Wenn dabei das deutsche Gefühl entstehen bzw. gezüchtet würde, dass die Kündigung auf einem Mangel an schweizerischem Verständnis für die deutsche Lage, auf Engherzigkeit beruhe, so dürfte allerdings eine neue Pressekampagne und vielleicht auch eine Verstimmung der Regierung zu erwarten sein.
Nun sehen ja die Aussichten für den Abschluss eines Abkommens nicht besonders gut aus. Das Volkswirtschaftsdepartement ist der Ansicht, dass nur auf dem Boden der Kontingentierung eine Lösung möglich ist. Ritter hat mir erklärt, dass dieses System, abgesehen vielleicht von einzelnen Ausnahmen, für Deutschland nicht annehmbar sei, und die Reichsregierung hat das Vorabkommen, das erst etwa 15% der für das Hauptabkommen in Aussicht genommenen Kontingentierung stipulierte, schon dieser 15% wegen abgelehnt. Herr Bundesrat Schulthess ist zwar bereit, andere deutsche Vorschläge zu diskutieren, erklärt aber, es gebe keinen ändern gangbaren Weg und er würde es vorziehen, auch im Hinblick auf die Entwicklung in England, wenn die Schweiz sich Ellbogenfreiheit verschaffen könnte.
Ihrem Aufträge gemäss werde ich Ihnen in Zukunft die Kopien meiner auf diesen Fragenkomplex bezüglichen Berichte an das Volkswirtschaftsdepartement direkt zustellen. [...]
- 1
- Lettre: E 2001 (C) 3/11. Annotation de Mot ta dans la marge: à M. le ministre Dinichert. Il n’y a pas de raison de communiquer ce rapport au Dép. Politique. Il ne convient pas non plus de le mettre en circulation. J’en dirai peut-être un mot au Cionseil] fédéral] à la bonne occasion. Paris 12/11.31.↩
- 2
- Non reproduit.↩
- 3
- Cf. rflU, n.l.↩
- 4
- Cf. no 115.↩
- 5
- Cf no 113.↩
- 6
- Cf. no 40.↩
- 7
- De l’Office des Affaires étrangères du Reich.↩
- 8
- Le 13 novembre 1918, lors de l’invasion du palais royal, le roi de Saxe Frédéric-Auguste III s’était exclamé: «Macht euren Dreck alleine!».↩
- 9
- H. Brüning.↩
- 10
- Il s’agit de la conférence prévue pour le règlement de la question des réparations. Le 30 décembre suivant le gouvernement anglais proposera Lausanne comme lieu de la conférence et le 18 janvier comme date d’ouverture. Les propositions anglaises seront acceptées par toutes les puissances intéressées mais la conférence ne s’ouvrira à Lausanne que le 12 juin 1932.↩
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