Language: German
12.4.1929 (Friday)
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 12.4.1929
Minutes of the Federal Council (PVCF)
Der Bundesrat nimmt vom erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen mit Deutschland in der Frage der Rheinregulierung Kenntnis. Die schweizerische und die deutsche Regierung werden gemeinsam an die französische Regierung gelangen.

Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
VIII. RHEINZENTRALKOMMISSION
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Printed in

Walter Hofer, Beatrix Mesmer (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 468

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Bern 1980

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dodis.ch/45485
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 12. April 19291

671. Rheinregulierung. Ergebnis der Verhandlungen mit den Vertretern Deutschlands. Weiteres Vorgehen

Die Verhandlungen zwischen den Vertretern Deutschlands und der Schweiz,

die vom 26. bis 28. März 1929 in Bern stattfanden, haben zur Aufstellung einer

«Niederschrift» mit nachstehend erwähnten Anlagen2 geführt:

1. Vertrag zwischen der Schweiz und Deutschland über die Regulierung des

Rheins zwischen Strassburg/Kehl und Istein3;

2. Text einer der Rhein-Zentralkommission zu unterbreitenden Erklärung;

3. Vorschläge zu einem Vertrage zwischen der Schweiz, Deutschland und

Frankreich betreffend die Ausführung der Regulierung des Rheins zwischen

Strassburg/Kehl und Istein;

4. Text einer an die französische Regierung zu richtenden Note.

Das politische Departement führt über das Ergebnis der Verhandlungen, das in der erwähnten «Niederschrift» im wesentlichen zusammengefasst ist, folgendes aus:

Hauptaufgabe der schweizerischen Vertreter war, gemäss Beschluss des Bundesrates vom 22. März 19294 von Deutschland die Übernahme der Gesamthaftung für allfällige Schädigungen des Regulierungswerkes unterhalb Strassburg zu erwirken. Dieses Ziel ist in vollem Umfange erreicht worden. Die deutschen Vertreter erklärten sich bereit, «auch die Behebung der Schäden, die durch die Regulierung ausserhalb des deutschen Staatsgebietes entstehen könnten, zu übernehmen».

Damit war die Voraussetzung für die Unterzeichnung eines inhaltlich den Berliner «Abmachungen» vom Januar 19285 entsprechenden Vertrages zwischen Deutschland und der Schweiz geschaffen. Der vorliegende Vertrag ist von den Delegierten der beiden Staaten am 28. März. unterzeichnet worden. Er regelt u.a. die Verteilung der Kosten zwischen den beiden Staaten. Nach wie vor werden die Kosten der Ausführung des Projektes auf 50 Millionen RM. veranschlagt, die im Verhältnis von 60 zu 40% von der Schweiz und Deutschland zu tragen sein werden (Artikel 1). Deutschland übernimmt ferner auf seine Kosten die Unterhaltung der regulierten Strecke auf seinem Staatsgebiet, in der Meinung, dass Frankreich, gemäss der zwischen den deutschen, französischen und schweizerischen Delegierten am 10. Mai 1922 in Strassburg abgeschlossenen Vereinbarung, verpflichtet sein werde, seinerseits die Unterhaltskosten für sein Gebiet zu übernehmen (Artikel 3). Artikel 6 betrifft die vom Bundesrate zu übernehmenden Verpflichtungen zur Förderung der Erstellung eines Grossschiffahrtsweges von Basel bis zum Bodensee; er stimmt wörtlich überein mit der entsprechenden Vorschrift der Berliner «Abmachungen».

Entgegen der ursprünglich sowohl deutscher- wie schweizerischerseits bestehenden Absicht, die Fragen betreffend Übernahme der Haftung für die Schäden unterhalb Strassburg sowie betreffend die Sicherstellung der Schiffahrt während der Ausführung der Regulierungsarbeiten durch ein Spezialabkommen zu regeln, wurden die betreffenden Bestimmungen ebenfalls in den «Vertrag» aufgenommen (Artikel 4 und 5). Die beidseitigen Delegierten waren der Auffassung, dass es sich kaum rechtfertigen würde, den Parlamenten zwei verschiedene Abkommen über dieselbe Frage der Rheinregulierung zu unterbreiten. Sie waren der Ansicht, es sei der Rhein-Zentralkommission in der bevorstehenden Session in einer gemeinsam zu unterzeichnenden Erklärung Kenntnis davon zu geben, dass und in welchem Sinne die von der Kommission seinerzeit an die Ausführung des Regulierungsprojektes geknüpften Bedingungen durch eine Vereinbarung zwischen der Schweiz und Deutschland erfüllt worden seien.

Nach Erachten der deutschen und schweizerischen Delegierten werden im Anschluss an diese Mitteilung in der Zentralkommission die beiden Regierungen zweckmässig gemeinsam an die französische Regierung herantreten und ihr Vorschläge betreffend die Regelung der administrativen und technischen Mithilfe Frankreichs bei der Ausführung der Regulierung unterbreiten. Diese Vorschläge sind von den schweizerischen und deutschen Vertretern in Form eines «Bauvertrages» gekleidet worden, in der Meinung indessen, dass an dieser Form gegebenenfalls nicht festgehalten zu werden brauche, sondern dass die behördliche und technische Mithilfe Frankreichs auch in anderer Weise geregelt werden könne. In einer Note, die gleichzeitig von der deutschen Botschaft und der schweizerischen Gesandtschaft in Paris den zuständigen französischen Behörden zu übermitteln wäre und deren Text ebenfalls vorbereitet worden ist, wird zur Besprechung dieser Vorschläge die Einberufung einer Konferenz zwischen den drei beteiligten Staaten angeregt, die im Mai oder Juni in Baden-Baden oder an einem ändern der französischen Regierung zusagenden Orte stattfinden könnte6.

Das politische Departement ist mit dem Departemente des Innern der Auffassung, dass das Ergebnis der Verhandlungen zwischen den schweizerischen und deutschen Delegierten ein erfreuliches ist. Die Pflichten der Schweiz sind dieselben geblieben, wie sie bereits in den Berliner «Abmachungen» vom Januar v.Js. festgelegt worden sind. Deutschland hat sich dagegen, wie erwähnt, bereit erklärt, die Gesamthaftung für allfällige Schädigungen des Regulierungswerkes unterhalb Strassburg zu übernehmen, und hat daran die einzige Bedingung geknüpft, dass der Bundesrat, «ebenso wie es deutscherseits beabsichtigt ist, alles aufbieten werde, um die parlamentarischen Arbeiten, die zur Herbeiführung der Ratifikation erforderlich sind, ohne jeden Verzug in die Wege zu leiten und durchzuführen».

Diese Bedingung ist nach Erachten der beiden Departemente durchaus annehmbar. Es liegt wohl ebenso sehr im Interesse der Schweiz wie Deutschlands, dass die Ausführung des Regulierungsprojektes so rasch als immer möglich an die Hand genommen werde.

Die internationale Sachlage kann heute als im wesentlichen abgeklärt betrachtet werden. In den künftigen Verhandlungen mit Frankreich wird es sich zur Hauptsache nur noch um die Regelung der technischen und behördlichen Mitarbeit Frankreichs bei der Ausführung des Regulierungswerkes und um die Festlegung der Pflicht Frankreichs betreffend Unterhaltung des Rheins auf seinem Gebiete handeln. Zur Übernahme dieser Verpflichtungen hat sich Frankreich gemäss den Resolutionen der Rhein-Zentralkommission vom 10. Mai 1922 und 29. April 1925 zum voraus bereit erklärt. Ob Frankreich darüber hinaus Hand bieten werde, einen Anteil an den Kosten des Regulierungswerkes zu übernehmen, bleibt allerdings ungewiss; es ist aber mit grosser Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass dies nicht der Fall sein wird.

Was die Verhandlungen mit Basel-Stadt über die interne Kostenverteilung anbetrifFt, so haben diese bekanntlich ebenfalls zu einer Einigung geführt, indem der Regierungsrat von Basel-Stadt sich bereit erklärt hat, 20% des schweizerischen Kostenanteils zu übernehmen. In einem Schreiben vom 27. März 1929 teilt der Regierungsrat von Basel-Stadt mit7, dass er auch mit der Auslegung seiner an das Angebot geknüpften Bedingungen durch den Bundesrat einverstanden sei. Dagegen steht zur Zeit die Zustimmung des Grossen Rates, eventuell des baselstädtischen Volkes zu dem Angebote der Basler Regierung noch aus. Der erste vom Bundesrat zu unternehmende Schritt in der Angelegenheit wird daher nach der Auffassung des politischen Departementes und des Departementes des Innern sein, die Regierung von Basel-Stadt vom Ergebnis der Verhandlungen mit Deutschland zu benachrichtigen und einzuladen, so rasch als möglich die Zustimmung des Grossen Rates, eventuell des baselstädtischen Volkes, zu ihrer Offerte in der Kostenbeteiligungsfrage einzuholen.

Sobald das Angebot der Regierung von Basel-Stadt als endgültig sichergestellt betrachtet werden kann, wird nach Erachten der beiden Departemente der Bundesrat der Bundesversammlung die Genehmigung des Vertrages mit Deutschland beantragen können und gleichzeitig die Ermächtigung einzuholen haben, «die mit der Ausführung der Regulierung in Zusammenhang stehenden Fragen, insbesondere was die technische und administrative Mithilfe Frankreichs anlangt, durch Sonderabmachungen zu regeln»8.

Auf Grund obenstehender Erwägungen wird im Einvernehmen mit dem Departement des Innern antragsgemäss beschlossen:

1. Der Bundesrat nimmt von dem Ergebnis der Verhandlungen, die zwischen den schweizerischen und deutschen Vertretern vom 26. bis 28. März in Bern stattgefunden haben, Kenntnis.

2. Der Bundesrat richtet das beiliegende Schreiben an den Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt (Beilage l)9.

3. Die schweizerische Delegation in der Rhein-Zentralkommission wird ermächtigt, eine gemeinsam mit der deutschen Delegation zu unterzeichnende Erklärung gemäss Beilage 2 der Zentralkommission zu unterbreiten.

4. Das politische Departement wird ermächtigt, sofort nach Abgabe dieser Erklärung in der Zentralkommission die Gesandtschaft in Paris zu beauftragen, im Einvernehmen mit der deutschen Botschaft in Paris den französischen Behörden eine gleichlautende Note gemäss Beilage 310 zu übermitteln.

5. Das politische Departement wird beauftragt, im Einvernehmen mit dem Departement des Innern eine Botschaft an die Räte betreffend die Genehmigung des mit Deutschland abgeschlossenen Vertrages über die Ausführung der Rheinregulierung vorzubereiten11.

1
E 1004 1/315. A bwesend: Haab, Motta und Musy.
2
E 2001 (C) 11/12.
3
Vertragstext auch in: BBl 1929, II, S. 85ff.
4
Vgl. E 1004 1/315, Nr. 561; Protokoll der Bundesratssitzung vom 22.3.1929.
5
Vgl. dazu Nr. 387.
6
Vgl. Nr. 519.
7
E 2001 (C) 11/12.
8
Vgl. Nr. 519, Anmerkung 2.
9
Nicht abgedruckt.
10
Die angeführten Beilagen 2 und 3 sind nicht abgedruckt. Sie entsprechen den in Anm. 2 belegten Anlagen 2 und 4.
11
Mittels Botschaft vom 6.8.1929 betreffend die Regulierung des Rheins zwischen Basel (Istein) und Strassburg (in: BBl 1929, II, S. 69 ff.) unterbreitete der Bundesrat den Vertrag der Bundesversammlung. Die parlamentarische Genehmigung erfolgte in der Schlussabstimmung vom 20.12.1929. Zu den Verhandlungen in den beiden Räten vgl. Sten. Bull. NR, 1929, S. 734 ff. und Sten. Bull. StR, 1929, S. 294 ff. Nachdem die Referendumsfrist unbenutzt abgelaufen war, wurde der Vertrag durch den Austausch der Ratifikationsurkunden am 7.6.1930 in Kraft gesetzt.