dodis.ch/45473 Der Vorsteher des Justiz- und Polizeidepartementes, H. Häberlin, an den schweizerischen Gesandten in Rom, G. Wagnière1
Es ist Ihnen wohl bereits mitgeteilt oder aus der Presse bekannt geworden, dass die kommunistischen Kreise der Schweiz auf die Osterwoche eine grosse antifascistische Kundgebung im Kanton Tessin veranstalten wollen. Sobald uns das bekannt wurde, haben wir im Bundesrate eine Aussprache veranlasst. Der Bundesrat ist einig darüber, dass derartige Kundgebungen im Grenzrayon nicht geduldet werden können. Auch der Regierungsrat des Kantons Tessin ist bereits letzte Woche hievon verständigt worden. Zu überlegen ist noch, von wem das Verbot ausgehen, wann und in welcher Form es erlassen und mit welchen Mitteln es durchgeführt werden soll2. Wir sind überzeugt, dass wir den Grossteil der bürgerlichen Parteien und sogar einen ansehnlichen Teil der sozialdemokratischen Partei hinter uns haben werden - wenn uns nicht der üble Streich gespielt wird, dass das Einschreiten gegen die Demonstration als eine von Italien aufoktroyierte Massregel in die Erscheinung tritt.
Wir waren deshalb etwas bestürzt, als wir gestern abend die Auslassungen einiger italienischer Blätter, vor allem des «Giornale d’Italia», aufgenommen vom «Corriere della Sera» usw. lasen, worin bereits die schweizerischen Behörden der Saumseligkeit, der illoyalen Duldung unfreundlicher Akte beschuldigt und in unzulässiger Weise zur Erfüllung ihrer Pflicht aufgefordert werden, mit unverhülltem Hinweis auf die Probabilität einer Diskussion über den Völkerbundssitz. Das ist nun wirklich der schlechteste Dienst, den die italienische Presse der Sache selbst und unsern guten Beziehungen erweisen kann. Der Schweizer ist bekanntlich in Sachen der Unabhängigkeit mindestens ebenso kitzlig als der Italiener im Gefühle seines Sieges. Wäre es Ihnen nicht möglich, an massgebender Stelle darauf hinzuwirken, dass dieser Ton geändert wird? Es dürfte das freilich nicht geschehen mit der Begründung, dass man bereits von uns beruhigende Erklärungen erhalten habe - weil man sonst bei uns gerade diese auf einen Druck Italiens zurückführen würde - sondern in der Weise, dass man das bestimmte Vertrauen aussprechen würde, die Schweiz werde schon nach ihrer eignen Tradition die Ordnung auf ihrem Gebiete aufrecht erhalten und direkt unfreundliche Kundgebungen gegen einen Nachbarstaat nicht dulden. Wir brauchen Ihnen ja übrigens nur die Sachlage zu schildern um zu wissen, dass Sie ohne weiteres die ihr entsprechende Einwirkung auszuüben versuchen werden. - Das Politische Departement geht mit unserer Anschauung in dieser Sache auf der ganzen Linie einig.