dodis.ch/45444
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 17. September 1928
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1478. Angelegenheit Rossi
Der Vorsteher des politischen Departementes legt den Entwurf einer Note an die ital. Regierung2 vor. Diese würde von unserem Gesandten oder Geschäftsträger in Rom übergeben. Darin wird nicht das Begehren um Herausgabe Rossis gestellt, weil ein solches Verlangen rechtlich schwierig zu begründen wäre, da die Verhaftung ja in Campione, also auf italienischem Gebiet erfolgte. Die italienische Regierung würde einem derartigen Begehren ganz gewiss nicht entsprechen. Übrigens ist die Person Rossis für uns gar nicht interessant; der Verhaftete kam bekanntlich unter falschem Namen und mit einem falschen Pass in unser Land. Hingegen ist der Vorfall als solcher, d.h. sind die Umstände, die die Verhaftung Rossis ermöglichten, für uns von besonderer Wichtigkeit3. Die auf unserem Gebiete getroffenen Vorbereitungen und die bei uns entwickelte Spionagetätigkeit italienischer Agenten stellen einen durchaus unerträglichen Eingriff in unsere Souveränität dar.
Die tessinische Polizei und die Bundesanwaltschaft haben in den letzten Tagen die Entdeckung gemacht, dass in diesem Kanton Agenten der italienischen Polizei über Schweizer, Italiener und andere Ausländer in unzulässiger Weise Informationen einziehen und Beobachtungen besorgen, die dann an die zuständigen Behörden in Italien weitergeleitet werden. Dies bedeutet eine Verletzung der Gebietshoheit und eine Gefährdung der äussern und innern Sicherheit der Eidgenossenschaft. Insbesondere haben sich die Italiener VezzariSantore und VernizziAngelo eine solche Spionagetätigkeit zu schulden kommen lassen; beide wurden verhaftet, der eine ist aber jüngst wieder freigelassen worden. Sie sollten unbedingt ausgewiesen werden. Die Frage ist nun, ob in der Note von der Spitzeltätigkeit italienischer Agenten gesprochen und ob Vezzari und Vernizzi dabei genannt werden sollen. Im vorliegenden Entwurf ist hievon keine Andeutung gemacht.
Herr Häberlinunterstützt die Ausführungen des Vorstehers des politischen Departementes. Er fügt bei, dass Vezzari als Agent eines gewissen Signori, Beamter der italienischen Gesandtschaft für das Passwesen, handelte. Doch sollte im jetzigen Augenblicke gegen diesen Beamten noch nichts vorgekehrt werden. Hingegen sollte die Ausweisung Vezzaris und Vernizzis sofort erfolgen. Es liegt kein Grund vor, mit dieser Massnahme zuzuwarten.
Redner legt den Entwurf zu einem Ausweisungsbeschlusse vor und beantragt ferner, die Ausweisung der beiden Italiener in der Note zu erwähnen, ohne dass es jedoch notwendig wäre, ihre Namen zu nennen.
Herr Musywünscht, dass in der Note stärker betont werde als es im Entwürfe geschehen ist, dass die schweizer. Zöllner bei Campione durch die Agenten der ital. Polizei getäuscht wurden, als diese ihnen erklärten, dass sie sich am folgenden Tage mit den zuständigen Behörden unseres Landes wegen der nächtlichen Überfahrt von Polizisten nach Campione nachträglich auseinander setzen werden, es dann aber nicht taten.
Herr Mottaist mit den Anträgen der Herren Häberlin und Musy einverstanden. Die Note würde der ital. Regierung unverzüglich überreicht und zwar durch den Geschäftsträger Hrn. Sonnenberg, da der Gesandte Hr. Wagnière zurzeit in der Schweiz in den Ferien weilt.
Es wird daher beschlossen:
1. An die ital. Regierung wird unverzüglich eine Note gemäss Entwurf aber mit den von den HH. Häberlin und Musy beantragten Ergänzungen gerichtet/...]4.
2. Die beiden Italiener Vezzari und Vernizzi werden gemäss vorgelegtem Beschlussentwurf ausgewiesen.