Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
19. Polen
19.1. Handelsbeziehungen und Stabilisierungsanleihe
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 335
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001D#1000/1551#6490* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1000/1551 222 | |
Dossier title | 7% Intern. Stabilisierungsanleihe Polens von 1927 (1927–1939) | |
File reference archive | C.42.11.1 • Additional component: Polen |
dodis.ch/45352
Der schweizerische Gesandte in Warschau, H.A. von Segesser, an den Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes, E. Schulthess1
[...]
Sonntag morgen besuchte mich der Paris er Direktor des Bankers’ Trust, Herr Fischer, einer der Hauptunterhändler der amerikanischen Anleihe, um sich zu erkundigen, ob ich bereits der polnischen Regierung eine Erklärung abgegeben habe, wonach die schweizerische Finanzgruppe ihre Beteiligung von der vorherigen Ratifizierung durch Polen des Paris er Kontingentsprotokolls vom 6. Juli 1927, abhängig mache. Die Unterhändler hätten von der Schweizergruppe, gemäss Weisungen des Bundesrates, imperative Instruktionen in diesem Sinne erhalten.
Mir war bisher lediglich Auftrag erteilt worden, in Verbindung mit unsern Reklamationen wegen Nichtrespektierung von Valutasicherungsklauseln durch polnische Gerichte, mit dem eventuellen Rückzug der Schweiz von der polnischen Anleihe zu drohen, was ich zuletzt Ende Juni in einer Besprechung mit dem Vize-Ministerpräsidenten, Herrn Bartel, tat.
Betreffend eine Vinkulierung der Anleihefrage mit der Ratifizierung des Kontingentsprotokolls durch Polen, hatte ich aber nie, weder hier oder in Bern, noch in meiner Abwesenheit die Gesandtschaft, Weisungen erhalten. Ich konnte infolgedessen hier nicht ohne Weiteres auf eine blosse Mitteilung eines Delegierten des amerikanischen Bankers’ Trust hin vorgehen, sondern erbat sofort telegraphisch durch das Politische Departement Weisungen2, während Herr Fischer an die Schweizergruppe telegraphierte, um sie zu veranlassen, für mich Weisungen aus Bern zu erwirken. Ihr Telegramm3, mag es nun auf Intervention der Schweizergruppe oder auf meine Anfrage zurückzuführen sein, traf Montag nachmittag gleich nach drei Uhr bei mir ein.
Ich versuchte sofort sowohl den Leiter des Ministeriums des Äussern, den Vize-Ministerpräsidenten, Herrn Bartel, und den Handelsminister zu erreichen, doch ergebnislos, da überhaupt nach drei Uhr hierzulande weder Chefs noch massgebende Beamte in den Ministerien bleiben.
Ich beschränkte mich unter diesen Umständen einstweilen darauf, Herrn Fischer zu benachrichtigen, dass ich von Ihnen Weisungen erhalten und baldmöglichst vollziehen werde. Er telephonierte mir am späten Abend, dass die Delegierten in den Verhandlungen mit den Polen nun die Erklärung der Schweizergruppe abgegeben und so für meine Demarche den Weg geebnet hätten. Es wurde nachts weiter verhandelt. Jedenfalls war die Regierung schon durch das «Cabinet noir» in den Besitz Ihrer Weisungen an mich gelangt und ist infolgedessen auch von Ihrer Absicht orientiert, was nichts schadet.
Nach vergeblichem Versuche im Ministerium des Äussern oder Ministerrat heute morgen überhaupt jemand vor 11 x h telephonisch zu erreichen, konnte ich mir schliesslich für heute 6 Uhr abends ein Rendez-vous beim Chef des politischen Departements des Ministeriums des Äussern sichern. Der Handelsminister wird mich Donnerstag, der Vize-Ministerpräsident, Herr Bartel, Freitag mittag empfangen. Es muss offenbar die Parole ausgegeben worden sein, mich möglichst spät zu empfangen. Ich spreche nicht vom Marschall, der (aus hier nicht zu erörternden Gründen) seit über 6 Wochen niemanden empfängt.
Unsere Beteiligung von 6 Millionen Dollars macht den zehnten Teil der Anleihe aus und stellt in Zloty ca. 54 Millionen, also einen beachtenswerten Betrag, dar. Bei meiner Rückkehr hatte mir Herr Dr. Steiner gemeldet, dass das Paris erprotokoll immer noch nicht durch den Ministerrat ratifiziert worden sei und dass Herr Sygietinsky sich darüber beschwere, dass die, wie Sie wissen, von polnischen Gesandten projektierten Import-Offices immer noch nicht gegründet seien, wofür die Schweiz natürlich nicht verantwortlich sein kann. Mir persönlich erklärte der Ministerialrat, dass der Dossier seit zwei Monaten beim Handelsminister liege, der noch keinen Antrag an den Ministerrat gestellt habe.
Trotz der grossen Geldbedürftigkeit Polens muss man immerhin mit der Möglichkeit rechnen, dass es durch die Abhängigmachung der schweizerischen Beteiligung an der grossen Anleihe, von der Ratifizierung des Kontingentsprotokolls auf 1. Oktober, gekränkt, auf unsere 6 Millionen Dollars verzichtet und das Protokoll nicht ratifiziert, was sehr bedauerlich wäre. Diese Befürchtung behalte ich natürlich für mich, umsomehr, als soviel ich durch Herrn Fischer höre, die Unterhändler die Interessen der Schweizergruppe gewissenhaft verfechten und jedenfalls sich nur mit allerschwersten Bedenken dazu verstehn könnten, an dem in über einem Jahr ausserordentlich mühevoller und oft verdriesslicher Arbeit aufgebauten Anleihewerk, etwas ändern zu lassen. Wie die Sache heute steht (fast zur Unterzeichnung bereit) könnte, wenn wir nicht die vereinbarten Kontingente bekommen und infolgedessen aus dem Finanzierungskonzern der Anleihe austreten sollten, die ganze Anleihe wohl nur durch Einspringen der Amerika ner oder einer ändern Gruppe mit 6 Millionen Dollars gerettet wird / sicJ. Ob und inwiefern die Polen diese Möglichkeit in Erwägung ziehen, ist mir zur Zeit, wo ich diesen Bericht schreibe, unbekannt, werde mich aber vorsichtig zu informieren suchen.
Soeben - 15 Uhr 40 - benachrichtigt mich Herr Fischer, dass der Anleihevertrag nun soweit gediehen ist, dass die Unterzeichnung morgen erfolgen könnte. Angesichts des imperativen Auftrages der Schweizergruppe frägt er mich an, ob die Unterzeichnung erfolgen dürfe, falls mir von zuständiger Stelle ein bindendes Versprechen der rechtzeitigen Ratifizierung des Kontingentsvertrages gegeben würde. Herr Fischer teilt meine Ansicht, dass das Hinausschieben der von mir verlangten Rendez-vous polnische Manöver seien. Die amerikanischen Unterhändler wirken aber mit allen Kräften bei der Regierung dahin, dass mir die verlangte Zusicherung ungesäumt gegeben werde. Auf Herrn Fischers Drängen, habe ich mich im Sinne Ihrer telegraphischen Anfrage und Weisungen vom 26. d. M. bereit erklärt, mein Einverständnis zur Unterzeichnung des Anleihe-Vertrages auch namens der Schweizergruppe zu gestatten, sobald mir seitens der Regierung bindende Zusicherungen für Ratifizierung und Aktivierung des Kontingentsabkommens auf 1. Oktober gegeben werden.
Ich bedaure sehr, dass weder ich persönlich noch meine Gesandtschaft über die in Ihrem Telegramm erwähnte sachbezügliche Erklärung an Herrn Modzelewski nicht früher orientiert wurde. Es hätte dies unsere Intervention wesentlich erleichtert und derselben das Odium einer finanziellen Pression in letzter Stunde genommen. [.J
- 1
- Schreiben (Copie): E 2001 (D) 1/222.↩
- 2
- Das Politische Departement unterbreitete den Inhalt dieses Telegramms vom 25.9.1927 dem Volkswirtschaftsdepartement mit Schreiben vom 26.9.1927: Nous avons l'honneur de vous faire connaître que la Légation de Suisse à Varsovie nous télégraphie ce qui suit: «Cinq. Urgent. Concerne emprunt américain. Veuillez télégraphier si, comme affirme négociateur Fischer, groupe suisse a donné, par ordre Conseil fédéral, instructions impératives refuser notre participation si protocole contingent suisse signé juillet Paris pas ratifié avant premier octobre. J’ignore cette combinaison. Prière télégraphier si dois faire déclaration dans sens indiqué au Gouvernement polonais. Protocole pas encore ratifié. Signature emprunt est proche.» Vous nous obligeriez beaucoup en nous faisant connaître s’il est exact que la participation de banques suisses à l’emprunt que le Gouvernement polonais cherche à contracter en Amérique dépend de la ratification de l’arrangement commercial conclu entre la Suisse et la Pologne au mois de juillet dernier, s’il vous paraît opportun que M. de Segesser fasse une déclaration dans ce sens au Gouvernement polonais et, le cas échéant, laquelle. I...J (E 2001 (D) 1/222). Der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes antwortete gleichentags: Im Besitze Ihrer Zuschrift vom 26. September beehren wir uns, Ihnen mitzuteilen, dass wir in der von Ihnen erwähnten Angelegenheit bereits vor Empfang Ihres Schreibens an unsere Gesandtschaft in Warschau telegraphiert haben. Wir baten sie, sich nach der endlichen Ratifikation des Protokolls über die Einfuhrkontingente zu erkundigen. Die Banken haben den Beschluss, dass sie an dem Anleihen nicht teilnehmen, wenn dieses Protokoll nicht ratifiziert werde, aus eigener Machtvollkommenheit gefasst. Der Unterzeichnete hat übrigens den polnischen Gesandten Herrn Modzelewski schon vor einiger Zeit von diesem Entscheid verständigt (E 2001 (D) 1/222).↩
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