Language: German
8.3.1927 (Tuesday)
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 8.März 1927
Secret minutes of the Federal Council (PVCF-S)
Motta orientiert den Bundesrat, dass die Gegner der Schweiz im französischen Senat die Genehmigung des Schiedskompromisses vom schweizerischen Verzicht auf die Neutralisation Nordsavoyens abhängig machen.

Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
8. Frankreich
8.3. Zonenfrage und Schiedsvertrag
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Printed in

Walter Hofer, Beatrix Mesmer (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 266

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Bern 1980

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dodis.ch/45283
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 8. März. 19271

Zonenfrage

Der Vorsteher des politischen Departementes berichtet über den gegenwärtigen Stand der Zonenangelegenheit. Er erinnert daran, dass die französische Kammer am 16. Juli 1926 mit der grossen Mehrheit von 534 gegen 1 Stimme dem Schiedsabkommen zugestimmt hat. Hingegen stehe die Ratifikation durch den Senat noch aus. Nun scheinen im letzten Augenblicke dort aber Schwierigkeiten entstanden zu sein. Plötzlich habe dort jemand die seit Jahren genau bekannte Tatsache als neu hervorgeholt, dass die Schweiz denjenigen Teil von Artikel 435 des Versailler Vertrages noch nicht genehmigt hat, der sich auf die Neutralisation Nordsavoyens bezieht. Dieser Artikel sieht den Hinfall der Neutralisation vor; doch ist gemäss Anlage 1 dazu (Note des Bundesrates vom 5. Mai 1919) die Ratifikation der Schweiz ausdrücklich vorbehalten2. Die Frage der Neutralisation Nordsavoyens, die vorwiegend von militärischer Bedeutung ist, während die Freizonenangelegenheit hauptsächlich wirtschaftliches und politisches Gepräge hat, sollte nach der Absicht des Bundesrates möglichst bald von der Bundesversammlung behandelt werden. Schon am 14. Oktober 1919 kam seine Botschaft an die Räte heraus, in der die Genehmigung des Verzichtes auf die Neutralisation beantragt wurde. Bereits am 21. November des gleichen Jahres stimmte der Nationalrat dem Antrage zu. Unterdessen ergaben sich aber in der ändern mit Frankreich zu regelnden Angelegenheit, derjenigen der Freizonen, beträchtliche Unstimmigkeiten. Sie erreichten einen Höhepunkt, als die französische Regierung in einer Note vom 26. März 1921 erklärte, ihre Handlungsfreiheit zurückzunehmen.

Wegen der Anstände in der Freizonenfrage nahm der Ständerat die Angelegenheit der Neutralisation Nordsavoyens erst in Behandlung, als in jener Frage eine vorläufige Lösung mit dem Abkommen vom 7. August 19213 gefunden zu sein schien. Auf Grund eines neuen Antrages des Bundesrates, vom 2. Dezember 1921, fasste er am 22. des gleichen Monats im Sinne der Genehmigung Beschluss. Während somit im Hauptpunkte Übereinstimmung mit dem Nationalrate bestand, wich der Beschluss in einzelnen Klauseln von demjenigen des Nationalrates ab, u.a. darin, dass ihm der Referendumsvorbehalt beigefügt wurde. Zur Behebung der Differenzen hatte sich neuerdings der Nationalrat mit der Sache zu befassen. Nun trat aber wiederum die Freizonenangelegenheit in den Vordergrund: Behandlung durch die Bundesversammlung, Referendum, wuchtig verwerfender Volksentscheid, ernsthafte Meinungsverschiedenheiten zwischen der Schweiz und Frankreich, bis schliesslich das erwähnte Schiedsabkommen unterzeichnet wurde, das immer noch des Austausches der Ratifikationsurkunden bedarf.

Die Gegner der Schweiz drücken nun im Senat offenbar darauf, dass die Genehmigung des Schiedsabkommens durch den Senat an die Bedingung geknüpft werde, dass wir die sofortige Erklärung unseres Verzichtes auf die Neutralisation Nordsavoyens abgeben. Es wird nunmehr wohl schwierig sein, die Frage der Ratifikation des Schiedsabkommens einer glücklichen Lösung entgegenzuführen, ohne dass gleichzeitig auch die Frage betreffend die Neutralisation Nordsavoyens erledigt wird.

Das beste wäre nun, dass Frankreich das Zonenabkommen (Schiedsvertrag) ohne weiteres genehmigt und auf unseren guten Willen und unsere ehrliche Absicht vertraut, dass wir die Frage der Neutralisierung Nordsavoyens bald im Sinne der Zustimmung zum Versailler Vertrag vor die massgebenden Instanzen unseres Landes (in letzter Linie vor das Volk) bringen werden4. Allerdings dürfen wir nicht zu sehr auf die Lösung zählen, und unter Umständen zufrieden sein, wenn bei der Genehmigung des Abkommens der Regierung die Weisung erteilt wird, den Austausch der Ratifikationsurkunden erst vorzunehmen, wenn die Frage der Neutralisierung Nordsavoyens von der Schweiz in Ordnung gebracht sein wird.

Der Vorsteher des politischen Departementes fügt bei, dass sich Herr Prof. Logoz zur Verfügung gestellt habe, um mit Herrn Fromageot in Paris zu sprechen und zu erwirken, dass das Zonenabkommen nun endlich von Frankreich genehmigt werde. Er bittet den Rat um die Ermächtigung, das Anerbieten des Herrn Logoz anzunehmen und ihn zu beauftragen, in Paris mit Herrn Fromageot in Verbindung zu treten und wenn möglich eine Lösung im Sinne einer vorbehaltlosen Ratifikation zu erlangen; sollte dieses Ziel nicht erreicht werden können, so würde Herr Logoz zum mindesten die Genehmigung des Abkommens mit der Weisung an die franz. Regierung, den Austausch der Ratifikationsurkunden noch zu verschieben, zu erlangen sich bemühen5.

Von diesen Ausführungen wird in zustimmendem Sinne Kenntnis genommen.

1
E 1005 2/3.
2
Vgl. BBl 1919, V. S.222ff.
3
Abkommen zwischen der Schweiz und Frankreich zur Regelung der Handelsbeziehungen und des freundnachbarlichen Grenzverkehrs zwischen den ehemaligen Freizonen Hochsavoyens sowie der Landschaft Gex und den angrenzenden schweizerischen Kantonen, BBl 1921, IV, S.562fT.
4
Motta führte in diesem Zusammenhang in einem Schreiben an Dunant vom 4.3.1927 aus: [...] En revanche, si, [...], le Gouvernement français, de lui-même ou sous la pression de la Commission des Affaires étrangères du Sénat, estimait devoir différer la ratification du compromis d’arbitrage du 30 octobre 1924 jusqu’à ce que la question de la renonciation de la Suisse à la neutralité de la Savoie du Nord puisse être considérée comme définitivement liquidée, non seulement quant au fond, mais à la forme, les complications les plus regrettables seraient à redouter. L’opinion publique suisse ne supporterait pas sans impatience, quels que puissent être les arguments juridiques par lesquels le Gouvernement français justifierait son attitude, de voir la ratification du compromis d’arbitrage des zones faire l’objet d’un marchandage dont le but serait manifestement de gagner du temps et de prolonger à la frontière suisse une situation née d’un coup de force, qui est tout à l’avantage de la France et au détriment de la Suisse. Nul ne saurait prévoir quelles conséquences ce mouvement d’opinion risquerait d’entraîner; mais nous ne pourrions exclure la possibilité, soit d’un refus du Conseil National de voter à son tour les termes de l’arrêté fédéral adopté par le Conseil des Etats, le 22 novembre 1921, soit d’un referendum populaire. Il serait donc désirable que le Gouvernement français fût bien convaincu que, dans l’intérêt des bonnes relations entre la Suisse et la France et d’un règlement satisfaisant des questions visées à l’article 435 du traité de Versailles, il est ardemment à souhaiter que la ratification du compromis d’arbitrage des zones intervienne dans le plus bref délai possible, afin de permettre au Conseil Fédéral d’assurer, le plus rapidement que faire se pourra, la liquidation de la question de la neutralité de la Savoie du Nord, et que les termes de cette proposition ne peuvent être renversés sans de très graves inconvénients (E 2200 Paris 1/2007).
5
Vgl. dazu Nr. 270.