Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
6. Deutschland
6.1. Handelsvertrag und Abkommen über Einfuhrbeschränkungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 181
volume linkBern 1980
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7110-02#1000/1065#136* | |
Old classification | CH-BAR E 7110-02(-)1000/1065 23 | |
Dossier title | Berichte, Allgemeines: Berichte über die Vertragsverhandlungen in Berlin (1924–1926) | |
File reference archive | 8.2.b • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/45198 Der Direktor der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartementes, W. Stucki, an den Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartementes, E. Schulthess1
Sie werden sich gewundert haben, dass Sie von uns über die hiesigen Handelsvertragsverhandlungen so lange keinen Bericht erhalten haben. Der Grund lag einzig und allein darin, dass nichts oder doch ganz wenig Positives zu berichten war. Dieser Grund besteht eigentlich heute noch, sodass auch dieser Bericht leider einen irgendwie erheblichen Fortschritt in den Verhandlungen nicht feststellen kann. Die deutsche Delegation ist in ihren Erklärungen zu den schweizerischen Begehren ganz ausserordentlich zurückhaltend und langwierig. Die Gründe für dieses Verhalten sind offenbar verschiedener Art: einmal liegen sie in der ausserordentlich komplizierten deutschen Organisation, wo bei jeder Frage auf eine Reihe von Ministerien, Ressorts, Referenten etc. und dann noch auf die Vertreter der einzelnen Länder Rücksicht zu nehmen ist. Sodann entspricht diese hinhaltende und schleppende Taktik einem bewährten Grundsatz des Auswärtigen Amtes - ein hoher Beamter desselben hat mir selber lachend erklärt «ich möchte auch nicht mit uns verhandeln» -, und ferner entspricht dieses Verhalten ganz besonders auch der überaus ängstlichen und wenig verantwortungsfreudigen Natur des Herrn Windel. Zu alledem scheint nach gewissen Andeutungen zu kommen, dass man hier den Eindruck hat, die Schweiz habe beim Modus vivendi zu gut abgeschnitten und die Deutschen zu sehr herausgelockt.
Schon gleich in der ersten Sitzung entstand eine Schwierigkeit dadurch, dass die Deutschen verlangten, wir sollten wiederum, wie im Januar, mit unseren Erklärungen zur deutschen Wunschliste, d. h. zu den deutschen Begehren auf Herabsetzung unseres Gebrauchstarifs, den Anfang machen. Wir haben dies abgelehnt und immer und immer wieder und nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass die bisherigen deutschen Zugeständnisse noch keineswegs eine ausreichende Gegenleistung für den schweizerischen Verzicht auf die Inkraftsetzung des provisorischen Generaltarifs bedeuten könnten, und dass wir solange nicht Erklärungen über die Herabsetzung der Ansätze unseres Gebrauchstarifs abgeben könnten. Nach mühsamen Marktereien haben wir uns schliesslich dahin geeinigt, dass man nicht die beidseitigen Begehrenlisten durcherklärt, sondern nach Warenkategorien abwechslungsweise vorgeht und dass dabei die Deutschen jeweils den Anfang machen sollen. So hat die deutsche Delegation in den bisherigen sieben Plenarsitzungen sukzessive Erklärungen zu der schweizerischen Begehrenliste, ausgenommen gerade die wichtigste Gruppe der Textilien, abgegeben. Trotz allen unsern Bestrebungen konnten wir bisher die deutsche Stellungnahme zu unseren zahlreichen und wichtigen Textilbegehren nicht erfahren. Die direkten Besprechungen zwischen der schweizerischen und der deutschen Seidenindustrie, die ursprünglich für Zürich vorgesehen waren und dann auf deutschen Wunsch anfangs dieser Woche in Berlin stattfanden, verliefen, wie vorauszusehen war, vollkommen ergebnislos. Die deutsche Seite erklärte, unter keinen Umständen unter diejenigen Sätze gehen zu können, die man bereits für Frankreich in Aussicht genommen habe. Wir kennen diese Sätze seit langem und betrachten sie immer noch als viel zu hoch. Diese direkten Besprechungen zwischen den Interessenten sollen übrigens im Mai in der Schweiz fortgesetzt werden und es ist zu hoffen, dass unterdessen auch die französische Seidenindustrie energisch für eine weitere Herabsetzung der deutschen Seidenzölle kämpfen wird. Das ganze übrige Textilgebiet ist, wie gesagt, bis jetzt überhaupt noch nicht besprochen worden.[...]2
Sie sehen also, Herr Bundesrat, dass das bisher Erreichte ohne irgendwelche wesentliche Bedeutung ist und die hier schon aufgewendete Zeit und Mühe kaum lohnt. Wir haben denn auch, um nicht ganz aus dem Gleichgewicht gedrückt zu werden, unsere Erklärungen zu den deutschen Wünschen lange nicht in dem Ausmass abgegeben, wie wir es vorgesehen hatten und wie es dem Bundesrat beantragt war. Ziffern unterhalb des Gebrauchstarifs haben wir überhaupt noch nirgends genannt und Reduktionen nur ungefähr bei einem Drittel der ursprünglich vorgesehenen Positionen in Aussicht gestellt. Wir sind überzeugt, dass wir bei einem anderen Vorgehen in kürzester Zeit ausgepumpt gewesen wären und jede Aussicht auf weitere deutsche Konzessionen von Bedeutung verloren hätten. Es ist ja klar, dass man mit einem derartigen Verhandeln furchtbar mühsam vorwärtskommt und eigentlich unnötigerweise Zeit verliert. Wir bedauern dies alle ausserordentlich, müssen den Grund aber einzig und allein in der so wenig entgegenkommenden Haltung der deutschen Delegation erblicken. Wir hoffen sehr, dass Herr Minister Müller in den nächsten Tagen, wie er dies in Aussicht gestellt hat, hieher kommt und dass er dann einen ändern Geist in die deutsche Delegation bringen wird. Ich habe das bestimmte Gefühl, dass man unsern provisorischen Generaltarif deutscherseits heute weniger ernst nimmt als im letzten November und deshalb mehr als je auf unserm Gebrauchstarif verhandeln will. Rein persönlich bin ich auch der Auffassung, dass wir mit den Deutschen ohne Inkraftsetzung des neuen Tarifes so wenig zu einem annehmbaren Vertrage gelangen werden wie mit den Tschechen. Wenn auch Herr Dr. Müller nicht ein anderes Tempo und eine andere Mentalität in die deutsche Delegation bringt, so werden sich wohl auch meine Kollegen, denen ich diesen Bericht, weil sie fort sind, leider nicht unterbreiten kann, meiner Ansicht anschliessen. Es tritt eben immer deutlicher zutage, dass man deutscherseits nur ein geringes Interesse hat, den jetzigen Zustand zu ändern und deshalb so ausserordentlich zurückhaltend ist, während doch unser Interesse dringend verlangt, innert möglichst kurzer Zeit die immer noch viel zu hohen deutschen Zollmauern weiter abzubauen.
Was den allgemeinen Teil des Vertrages anbelangt, so ist dieser in der grossen Hauptsache bereinigt. Es wird hier nur hinsichtlich des Veredlungsverkehrs mit erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen sein.
Wir haben vorgesehen, am 2. Mai Berlin zu verlassen und am 3. Mai in Prag die tschechischen Erklärungen entgegenzunehmen. Wir werden dort voraussichtlich etwa vier, fünf Tage bleiben müssen und also gegen den 10. Mai wieder in Bern sein. Herr Odinga wird rechtzeitig das Nötige vorkehren, um die Sitzung der nationalrätlichen Zolltarifkommission zu verschieben. Er hat übrigens gestern ein von zahlreichen Mitgliedern dieser Kommission unterzeichnetes Schreiben erhalten, welches verlangt, dass die Session nicht in Bern stattfinde. Ich weiss zur Stunde nicht, was er darauf antworten will.