Language: German
30.12.1925 (Wednesday)
Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 30.12.1925
Minutes of the Federal Council (PVCF)
Schulthess gibt im Bundesrat einen Überblick über den letzten Teil der Handelsvertragsverhandlungen mit Österreich. Die schweizerischen Unterhändler werden ermächtigt, den Vertrag namens der Schweiz zu unterzeichnen.

Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
III. BILATERALE BEZIEHUNGEN
17. Österreich
17.1. Handelsvertragsverhandlungen
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Printed in

Walter Hofer, Beatrix Mesmer (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 9, doc. 136

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Bern 1980

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Repository

dodis.ch/45153 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 30. Dezember 19251

2612. Handelsvertrag mit Österreich

Wie bekannt, mussten die Verhandlungen mit Österreich im Juli dieses Jahres in Wien abermals unterbrochen werden, weil in zwei Hauptpunkten Schwierigkeiten bestanden, die damals unüberschreitbar schienen: Es handelte sich um das österreichische Begehren hinsichtlich einer starken allgemeinen Reduktion des schweizerischen Zolles für Schnittwaren und um das schweizerische Begehren betreffend Herabsetzung des österreichischen Zolles für Käse unter den von der Gegenseite zuletzt offerierten Satz von 35 Goldkronen. Was insbesondere den ersten Punkt anbelangt, so erklärte die österreichische Delegation, auf dem Boden einer Neuregelung der österreichischen Bestimmungen über ihre Waldwirtschaft eine neue Lösung suchen zu wollen. Dazu brauche sie aber einige Monate Zeit, weshalb die Verhandlungen unterbrochen werden müssten.

Nachdem die österreichische Delegation ihren Besuch zuerst auf Mitte September und dann auf Mitte Oktober angekündigt hatte, ist sie endlich anfangs Dezember zur Weiterführung der Verhandlungen nach Bern gekommen. Sie war nun in der Tat in der Lage, mit Bezug auf die erwähnten beiden Punkte Erklärungen abzugeben, die sich auch mit den schweizerischen Interessen vereinbaren Hessen. Was die Holzfrage anbelangt, so wird Österreich, sobald es das heute noch bestehende Ausfuhrverbot für Rundholz fallen lässt - was in einigen Monaten der Fall sein wird - einen Ausfuhrzoll für Rundholz einführen, der abgestuft ist nach der Höhe des Einfuhrzolles für Schnittwaren in den Ländern, nach welchen das österreichische Rundholz spediert werden soll. Gestützt auf diese vorgesehene Regelung verzichtet Österreich auf sein Begehren hinsichtlich einer generellen Herabsetzung des schweizerischen Schnittwarenzolles. Da aber der vorgesehene Ausfuhrzoll auf Rundholz seine Wirkungen für die der Schweizergrenze am nächsten liegenden österreichischen Gebiete, insbesondere für Vorarlberg, nicht auszuüben vermag, so stellte Österreich das Begehren, dass die Schweiz für die aus dem Vorarlberg stammenden Schnittwaren eine wesentliche Herabsetzung des Einfuhrzolles zugestehe, ähnlich wie dies schon vor dem Kriege auf Grund des Handelsvertrages von 1906 der Fall war. Die Forderung ging auf Gewährung eines Grenzkontingentes von 1200 Wagen zu einem Zollsatz von Fr. 1.50 statt Fr. 2.50 per 100 kg. Nach langen Verhandlungen einigte man sich schliesslich auf ein Kontingent von 800 Wagen - wie vor dem Kriege - zu einem Zollsatz von Fr. 1.70.

Die schweizerische Delegation glaubte, ein solches Zugeständnis, das für den Abschluss des Handelsvertrages, an dem die Schweiz ein ungleich grösseres Interesse hat als Österreich, ausschlaggebend war, nicht ablehnen zu dürfen, da es sich schliesslich um ein von der Zollverwaltung und, bis zu einem gewissen Grad, den Sägereien der Ostschweiz zu tragendes Opfer von nicht mehr als Fr. 64,000 handelt. Der schweizerische Sägereiverband, mit dem die schweizerische Delegation Fühlung nahm, bezeichnete denn auch dieses Opfer als durchaus erträglich. Auch die Interessen der schweizerischen Waldbesitzer, insbesondere derjenigen Graubündens und der übrigen Ostschweiz, sind gewahrt, indem die Wirkung der getroffenen Regelung keineswegs eine vermehrte Einfuhr von Rundholz zur Folge haben wird, sondern lediglich dahin zielt, ein gewisses Quantum von Schnittwaren, und zwar bloss einen Teil der Menge, die die Schweiz immer aus Österreich wird beziehen müssen, zu Vorzugsbedingungen in der Schweiz abzusetzen. Unsere Holzinteressenten dürften der vorgesehenen Lösung um so eher zustimmen, als es noch einmal gelungen ist, den verhältnismässig hohen schweizerischen Schnittwarenzoll generell zu halten. Eine allgemeine Herabsetzung desselben hätte selbstverständlich die gesamte schweizerische Holzindustrie und mit ihr die Landwirtschaft gegen den Vertrag mobilisiert.

Was den zweiten der erwähnten Punkte, den österreichischen Zoll auf Käse, anbelangt, so konnte dieser schliesslich auf 30 Kr. ermässigt werden. Was dies angesichts des heutigen österreichischen Zolles von 60 Kr. per 100 kg. bedeutet, ergibt sich daraus, dass die Ausfuhr von Schweizerkäse nach Österreich im Jahre 1924 rund 11,000 q betrug, die erzielte Zollreduktion auf Käse also einzig einem Betrag von Fr. 330,000 entspricht. Wenn auch ein Zoll von 30 Goldkronen noch als verhältnismässig hoch erscheinen muss, so ist doch darauf hinzuweisen, dass die prozentuale Wertbelastung infolge der gestiegenen Käsepreise mit dem vorgesehenen Satz geringer ist als vor dem Kriege. Die schweizerische Delegation hat sich alle Mühe gegeben, eine noch grössere Herabsetzung zu erzielen. Sie fand aber, mit einer Begründung, der sie sich nicht ganz verschliessen konnte, absolute Ablehnung.

Nachdem die beiden noch offen gebliebenen Hauptfragen in dieser Weise erledigt werden konnten, bot die Regelung der übrigen noch offenen Punkte verhältnismässig geringe Schwierigkeiten. Es kann hier nicht auf alle Einzelheiten eingetreten werden, man darf sich damit begnügen, festzustellen, dass der Stickereiveredlungsverkehr mit dem Vorarlberg so geordnet wurde, dass unsere St.Galler Interessentenkreise befriedigt sind, dass Österreich noch für verschiedene schweizerische Industrieerzeugnisse einige weitere Konzessionen machte und dass die Schweiz insbesondere durch Gewährung einiger Grenzkontingente mit herabgesetzten Zöllen gewisse Erleichterungen für die österreichischen Gebiete gewähren musste, welche die österreichische Käsezollreduktion hauptsächlich zu tragen haben werden.

Da nun materiell und formell der Vertrag bereinigt ist, kann das erzielte Resultat zusammenfassend wie folgt gewürdigt werden:

1. Der österreichische Tarif vom 1. Januar 1925 ist wohl, allgemein gesprochen, der niedrigste aller in den letzten Jahren erlassenen Tarife der mitteleuropäischen Länder. Seine Einführung hat denn auch für den schweizerischen Export nach Österreich nur ganz vorübergehend gewisse Hemmnisse gezeitigt, während heute, abgesehen von Käse, der Export schweizerischer Produkte grösser ist als vor Einführung des neuen Tarifs. Es Hess sich deshalb zum vorneherein nicht erwarten, dass die Gegenseite noch in grossem Umfange wesentliche Herabsetzungen bewilligen könne. Trotzdem bringt der neue Vertrag willkommene Herabsetzungen für Obst, Käse, Schokolade, kondensierte und sterilisierte Milch und Kindermehl, während für Zuchtvieh die jetzigen niedrigen Ansätze des österreichischen Tarifs gebunden sind. Auf dem Gebiete der Textilindustrie liegen Herabsetzungen, zum Teil wesentlicher Art, vor für feine Baumwollgewebe, Plattstichstikkereien, Baumwoll- und Leinenstickereien, Hutstoffe und Seidengewebe. Verhältnismässig gering sind die österreichischen Konzessionen auf dem Gebiete von Eisen und Eisenwaren, Metallwaren und Maschinen und Apparaten. Die Forderungen mussten unsererseits auf einige der wichtigsten schweizerischen Spezialitäten beschränkt werden, da Österreich seine heutigen schon verhältnismässig niedrigen Zölle noch für die unmittelbar bevorstehenden Verhandlungen mit Deutschland und der Tschechoslowakei reservieren will. Immerhin konnten für Turbinen, Verbrennungsmotoren, Eis- und Kältemaschinen, Dynamomaschinen und Elektromotoren, Transformatoren, elektrische Mess- und Registrierapparate einige fühlbare Reduktionen noch erzielt werden. Von weitern Herabsetzungen, die Österreich in den Verhandlungen mit den genannten beiden Ländern wird gewähren müssen, wird die schweizerische Produktion auf dem Wege der Meistbegünstigung Nutzen ziehen.

Die österreichischen Uhrenzölle, die im Verhältnis zu ändern Staaten eher bescheiden waren, sind wie folgt ermässigt: Goldene Uhren von 7 auf 5.60 Goldkr., silberne von 4 auf 2.60, metallene von 1.50 auf 1.20. Entsprechende Reduktionen wurden gewährt für Uhrgehäuse und Uhrwerke.

2. Was die schweizerischen Zugeständnisse anbelangt, so sind für die meisten Österreich interessierenden Positionen die Ansätze des heutigen Gebrauchstarifs gebunden worden. Bescheidene Herabsetzungen mussten und konnten gewährt werden für einige österreichische Spezialitäten [...]. Dazu kommen noch einige Reduktionen der heutigen schweizerischen Gebrauchszölle für begrenzte Mengen aus dem Grenzgebiet wie Schnittwaren, abgebundenes Bau- und Nutzholz, Parketteriewaren, Küfer- und Küblerwaren, Kies und Sand, Walzschotter, rohe Bruchsteine.

3. Mit Bezug auf den allgemeinen Teil des Vertrages sind im grossen und ganzen die üblichen Bestimmungen aller Handelsverträge aufgenommen worden (allgemeine Meistbegünstigung, Grenzverkehr, Veredlungsverkehr, Reparaturverkehr, Behandlung der Kaufleute und Geschäftsreisenden, der Konsulatsfunktionäre, etc. etc.). Besondere Erwähnung verdient die Abmachung, dass die Schweiz mit dem Inkrafttreten des Vertrages ihre heute noch bestehenden Einfuhrbeschränkungen fallen lässt, während sich Österreich in dieser Beziehung mit Rücksicht auf Verhandlungen mit ändern Staaten noch einige Vorbehalte ausbedungen hat. Durch Protokollbestimmungen und einen Notenwechsel2 ist jedoch dafür Sorge getragen, dass effektiv die wenigen noch verbleibenden österreichischen Einfuhrbeschränkungen gegenüber der Schweiz nicht spielen werden.

Zu einer lebhaften Diskussion führte die Erneuerung des heute zwischen beiden Staaten noch bestehenden Viehseuche-Abkommens. Soweit dieses den Grenz-, Markt- und Sömmerungsverkehr mit Vieh regelte, boten sich keine Schwierigkeiten. Dagegen war die Schweiz aus bekannten Gründen nicht in der Lage, auf ihre seuchenpolizeiliche Autonomie hinsichtlich der Einfuhr von Schlachtvieh zu verzichten. Sie hat im neuen Abkommen Österreich lediglich die meistbegünstigte Behandlung zugesichert, hinsichtlich des heutigen Bewilligungssystems dagegen volle Freiheit Vorbehalten. Trotzdem hat sich die Gegenseite schliesslich damit einverstanden erklärt, für die Einfuhr von schweizerischem Zuchtvieh in der Regel von einem Bewilligungsverfahren abzusehen.

4. Mit den schweizerischen Unterhändlern ist das Volkswirtschaftsdepartement der Ansicht, dass der vorliegende Vertrag3 den schweizerischen Interessen in befriedigender Weise Rechnung trägt. Er wird nicht nur das gegenwärtige Verhältnis im gegenseitigen Austauschverkehr, das für die Schweiz durchaus günstig ist - die Handelsbilanz mit Österreich ist stark aktiv - beibehalten, sondern für verschiedene schweizerische Exportartikel weitere fühlbare Erleichterungen bringen. Die schweizerischen Gegenkonzessionen sind weder wirtschaftlich noch finanziell derart, dass sie zu Bedenken Anlass geben könnten. Wie jeder Handelsvertrag bedeutet auch der vorliegende einen Kompromiss, der naturgemäss nicht nur einseitige Vorteile bringen kann. Diese werden aber ganz sicher die Nachteile bedeutend überwiegen, und damit ist die Rechtfertigung für den Abschluss des Vertrages vorhanden4.

Antragsgemäss wird beschlossen:

Die schweizerischen Unterhändler, nämlich die Herren Direktor Stucki, Professor Laur, Dr. Wetter und Oberzolldirektor Gassmann, werden ermächtigt, den Handelsvertrag mit Österreich namens der Schweiz zu unterzeichnen5, und es wird ihnen für ihre ausdauernde und gewissenhafte Wahrung der schweizerischen Interessen der Dank des Bundesrates ausgesprochen.

1
E 1004 1/297.
2
Unveröffentlichter Notenwechsel vom 6.1.1926, in: K I, Nr. 219.
3
Text und Anlagen in: BBl 1926, Bd.I, S. 112ff.
4
Vgl. auch Nr. 142.
5
Dies erfolgte am 6.1.1926 in Bern. - Die parlamentarische Ratifikation seitens der Schweiz lag am 10.2.1926 vor, diejenige seitens Österreichs am 24.2.1926. Zu den Verhandlungen der eidgenössischen Räte vgl. StR-Protokoll vom 8.2.1926 (E 1001 (D) d 1/190, S. 2ff.) und NR-Protokoll vom 10.2.1926 (E 1001 (C) d 1/251, S. 12ff.). Der Vertrag trat am 1.3.1926 in Kraft.