Également: Entretien avec le Calife et son secrétaire. Exposé des conditions imposées au Calife durant son séjour en Suisse. Annexe de 7.3.1924
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 8, doc. 325
volume linkBern 1988
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Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
Segnatura | CH-BAR#E1004.1#1000/9#11938* | |
Titolo dossier | Beschlussprotokoll(-e) 18.03.-18.03.1924 (1924–1924) |
dodis.ch/44967 CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 18 mars 19241
553. Abdul-Medjid, der Kalif, in Territet
Procès-verbal de la séance du 18 mars 19241
Bekanntlich hat die türkische Regierung den seinerzeit von der Grossen Nationalversammlung gewählten Kalifen Abdul-Medjid, nachdem die Nationalversammlung die Aufhebung des Kalifats beschlossen hatte, kurzerhand samt ändern Mitgliedern seines Hauses aufgefordert, das Land zu verlassen. Dem Kalifen und seiner Umgebung wurde keine Zeit zu gehöriger Vorbereitung der Reise und zur Auswahl seines Reiseziels gelassen; vielmehr wurde er nach Tschataltscha geführt, es wurde ihm ein Pass nach der Schweiz ausgehändigt und er wurde in den Eisenbahnzug gesetzt, der zur Abfahrt bereit stand. Der Pass war versehen mit einer Empfehlung der Schweizer-Vereinigung (Union-Suisse) von Konstantinopel, welche besagt, der Kalif komme nach der Schweiz, hiezu aufgefordert von der türkischen Regierung. Die Schweizer-Vereinigung ist zur Ausstellung solcher Empfehlungen berechtigt, die das mangels einer amtlichen Vertretung der Schweiz in Konstantinopel2 nicht erhältliche Passvisum ersetzt. Die türkische Vertretung in Bern hat dem Bundesrat keinerlei Mitteilung von der bevorstehenden Einreise des abgesetzten Kalifen in die Schweiz gemacht, vermutlich weil sie sich des Kalifen so rasch wie möglich entledigen wollte. Ob die Schweizer-Vereinigung in Konstantinopel den Versuch gemacht hat, den Bundesrat rechtzeitig zu benachrichtigen, ist noch nicht festgestellt.
Bei seiner Ankunft in Territet wurde der Kalif vom waadtländischen Polizeichef Jaquillard empfangen. Die Frage, ob er einen besondern polizeilichen Schutz wünsche, schien den Kalifen zu überraschen; er erwiderte, er glaube nichts befürchten zu müssen, lehnte das Angebot aber nicht ohne weiteres ab, und so ist denn eine unauffällige Überwachung des Kalifen angeordnet worden. In Territet ist die Anwesenheit dreier Türken festgestellt worden, die anscheinend ohne feindliche Absichten, vermutlich im Auftrag der türkischen Regierung, den Kalifen beobachten.
Im Auftrag des politischen Departementes begab sich Legationsrat Traversini am 9. März 1924 nach Territet. Er hatte dort eine Besprechung3 mit Sali Keramet Bey, dem Privatsekretär des Kalifen, aus welcher sich ergibt, dass der Kalif zur Zeit weder über die vermutliche Dauer seines Aufenthaltes in der Schweiz noch über die Möglichkeit, in einem ändern Land Aufenthalt zu nehmen, irgendwelche bestimmte Auskunft zu geben in der Lage ist. Die Überstürzung seiner Abreise und Reise Hessen ihm keine Zeit zu Überlegungen oder gar Erhebungen in der genannten Richtung. Was die Heimathörigkeit des Kalifen und seiner Begleitung anbelangt, so ist der Privatsekretär der Meinung, es könne schon angesichts der von der türkischen Regierung ausgestellten Pässe kein Zweifel darüber bestehen, dass die in Frage stehenden Personen ihre türkische Staatszugehörigkeit dauernd beibehalten. Der Privatsekretär versicherte überdies ausdrücklich, der Kalif sei fest entschlossen, nach Massgabe der ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu leben.
Als der Vorsteher des politischen Departementes von diesen Feststellungen dem Bundesrat in der Sitzung vom 11. März 1924 Kenntnis gab4, fügte er bei, es sei zur Zeit noch nicht abzusehen, welche Folgen die Aufhebung des Kalifats durch die Nationalversammlung in Angora und die Absetzung des Kalifen zeitigen werde, und es sei nicht ausgeschlossen, dass die Anwesenheit des abgesetzten Kalifen in der Schweiz Schwierigkeiten nach sich ziehen werde. Der Vorsteher des politischen Departementes nahm daher damals schon in Aussicht, vom Kalifen die Zusicherung zu verlangen, dass er sich, solange er in der Schweiz weilt, aller politischen Werbetätigkeit und Wirksamkeit enthalte.
Dies hat sich rasch als notwendig erwiesen; denn schon am selben 11. März erliess der entsetzte Kalif einen Aufruf an die muselmanische Welt, worin er gegen die Aufhebung des Kalifats Einspruch erhebt und die muselmanische Welt auffordert, auf einem allgemeinen Kongress zur Frage des Fortbestandes des Kalifates Stellung zu nehmen.
Daraufhin trat am 13. März die Delegation für auswärtige Angelegenheiten zusammen, um die Lage zu besprechen. Sie einigte sich dahin, es sei ein Beamter des politischen Departementes nach Territet mit dem Auftrag zu entsenden, dem gewesenen Kalifen mitzuteilen, er habe sich jeder politischen und religiösen Werbetätigkeit zu enthalten, ansonst der Bundesrat sich genötigt sehen würde, ihn einzuladen, das Gebiet der Schweiz zu verlassen. Am nächsten Tage entledigte sich Legationsrat Traversini dieses Auftrages5 beim gewesenen Kalifen. Dieser und sein Sekretär erwiderten hierauf, der Kalif sei, wenn er nicht sich jeder Würde begeben wollte, genötigt gewesen, der muselmanischen Welt von der ihr widerfahrenen Beleidigung Kenntnis zu geben, dagegen Einspruch zu erheben und sie aufzufordern, sich über die Zukunft des Kalifats auszusprechen. Nun erwarte er ihre Antwort. Bei alledem handle es sich weder um religiöse noch um politische Werbetätigkeit. Der Aufruf des Kalifen richte sich weder gegen einen Staat, noch gegen eine Regierung. Abdul Medjid verlange nicht, nach der Türkei zurückzukehren oder neuerdings mit der Würde des Kalifen bekleidet zu werden. Er wünsche nur, dass die in der Welt zerstreuten muselmanischen Gemeinschaften sich über die durch einen Missbrauch der Macht geschaffene Sachlage in aller Freiheit auf einem Kongress aussprechen können, dessen Beschluss für ihn unbedingt verbindlich wäre. Die Wahl Abdul Medjids zum Kalifen sei seinerzeit stillschweigend von der ganzen Welt des Islams genehmigt worden, und jetzt handle es sich darum, zu wissen, ob der Islam die Absetzung seines geistlichen Oberhauptes, des Sprösslings eines Herrscherhauses billige, das seit Jahrhunderten die Geschicke des Islams gelenkt habe. Daher müsse der Kalif dringend bitten, dass ihm gestattet werde, mit der muselmanischen Welt in Fühlung zu bleiben. Werde ihm dies verweigert, so würde er damit zum Gefangenen gemacht.
Legationsrat Traversini erklärte sich bereit, dem Bundesrat vom Wunsche des Kalifen Kenntnis zu geben, machte aber darauf aufmerksam, dass dieses Infühlungbleiben mit der muselmanischen Welt unter Umständen dazu führen könnte, Territet zum Mittelpunkt einer religiösen und politischen Bewegung zu machen, was der Bundesrat nicht dulden könnte, und was mit den Pflichten dessen, der unser Land als Zufluchtsort in Anspruch nimmt, nicht vereinbar wäre. Er fügte bei, er stelle fest, dass der Kalif Vormerk genommen habe von der Bedingung, an welche der Bundesrat den weitern Aufenthalt des Kalifen in der Schweiz knüpfen müsse, nämlich dass der Kalif sich aller politischen und religiösen Werbetätigkeit zu enthalten habe. Der Kalif und sein Sekretär bestätigten dies.
Der Vorsteher des politischen Departementes führt des weitern aus, zur Zeit könne von einer Verweigerung des Aufenthaltes nicht wohl die Rede sein, auch nicht wegen des Zivilstands des Kalifen, welcher wohl kaum Anlass zu Schwierigkeiten geben werde, wenn schon angenommen werden müsse, dass drei der Begleiterinnen des Kalifen nach türkischem Recht als seine legitimen Frauen zu gelten haben. Auch werde sich kaum verhindern lassen, dass der Kalif mit der muselmanischen Welt in etwelcher Verbindung bleibe. Dagegen könne der Bundesrat die Ausübung von Handlungen, die als Ausfluss des Kalifenamtes erscheinen, auf dem Gebiet der Schweiz nicht dulden; der Kalif müsse also aufhören, die Veranstaltung eines allislamischen Kongresses zu betreiben und seine religiöspolitische Wirksamkeit einstellen.
Der Vorsteher des politischen Departementes fügt bei, der zum Austausch der Ratifikationsurkunden für den in Lausanne abgeschlossenen polnisch-türkischen Vertrag nach Bern entsandte Präsident der Kommission für Auswärtige Angelegenheiten der türkischen Nationalversammlung, Chucri Kaya, habe gestern mit dem türkischen Geschäftsträger bei ihm vorgesprochen und dabei seiner Befriedigung über die Haltung des Bundesrates gegenüber dem gewesenen Kalifen Ausdruck gegeben. Die türkische Regierung, die sich jeder Einmischung in die religiösen Verhältnisse anderer Staaten zu enthalten habe, aber auch gewillt sei, keine derartige fremde Einmischung bei sich zu dulden, habe Abdul Medjid entfernen müssen, weil er die Absicht an den Tag gelegt habe, in der Türkei einen panislamitischen Kongress zur Regelung der das Kalifat betreffenden Fragen zu veranstalten. Chucri Kaya vertrat ferner die Ansicht, alle Schritte, die der abgesetzte Kalif in dieser Richtung allenfalls jetzt noch unternehmen könnte, seien zum vornherein aussichtslos. Über die Vermögensumstände des gewesenen Kalifen äusserte sich der Abgesandte der türkischen Regierung, der Kalif sei mit Reisegeld versehen worden; er besitze ansehnliche Güter in der Türkei und es sei ihm eine Frist von einem Jahre eingeräumt worden, um sie zu versilbern. Soweit dies nach Ablauf des Jahres nicht geschehen sei, würde die türkische Regierung die Güter an sich ziehen und dem gewesenen Kalifen eine Entschädigung dafür auszahlen. Die Kalifenbesoldung sei natürlich mit der Absetzung dahingefallen, aber es liege nicht in der Absicht der türkischen Regierung, den abgesetzten Kalifen schlecht zu behandeln.
In der Beratung ergibt sich allgemein Zustimmung zu dem vom Vorsteher des politischen Departementes eingenommenen Standpunkt hinsichtlich der Duldung des gewesenen Kalifen in der Schweiz.
Die Frage, ob der Kalif exterritorial sei, ist zu verneinen. Andere Staaten haben sich bis anhin um den Kalifen und seinen Aufenthalt in der Schweiz nicht gekümmert. Es wird abzuwarten sein, wie sich die Angelegenheit weiter entwickelt. Sollte Abdul Medjid wieder Kundgebungen wie seinen Aufruf vom 11. März erlassen, so wäre zum Einschreiten Anlass gegeben. Wünschbar wäre es, sich mit der türkischen Regierung darüber zu verständigen, wie sie sich den weitern Verlauf eigentlich dachte, als sie den abgesetzten Kalifen in die Schweiz schickte.
- 1
- E 1004 1/290. Etait absent: J. M. Musy.↩
- 2
- La Suisse ne possédait aucune représentation officielle dans l’ancien empire ottoman. Pendant la même séance, le Conseil fédéral se pencha sur cette question: [...] der Bundesrat müsse doch darauf Bedacht nehmen, in absehbarer Zeit eine Vertretung der Schweiz in der Türkei zu schaffen. Vorläufig dürfte zwar die wirtschaftliche Bedeutung einer solchen Vertretung nicht allzu hoch angeschlagen werden. Allein, wenn durch Ratifikation der Lausanner Verträge das Kapitulationensystem in der Türkei endgültig fällt, so sei es notwendig, den Schweizern, die jetzt schon in der Türkei leben, und denjenigen, die voraussichtlich in den nächsten Jahren dort Arbeit und Verdienst suchen werden, einen Rückhalt zu geben. Soll die Vertretung den ihr erwachsenden Aufgaben gerecht werden und das nötige Gewicht und Ansehen haben, so erscheine es geboten, einen Vertreter von Beruf und zwar einen tüchtigen, erfahrenen Mann dorthin zu entsenden. Welcher Art diese Berufsvertretung sein soll, wäre noch zu prüfen (E 1004 1/290, no 552). Ce n’est que le 16 avril 1926 que le Conseil fédéral décidera l’envoi d’un Chargé d’Affaires en Turquie, cf. DDS 9, nos 3, 29, 177.↩
- 3
- Pour le compte rendu de cette entrevue portant la date du 10 mars, cf. E 2001 (B) 5/18.↩
- 4
- Il n’existe pas de rubrique relative à cette affaire dans le PVCF du 11 mars 1924.↩
- 5
- Le compte rendu de l’entretien avec le Calife est reproduit en annexe.↩
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