Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 8, doc. 196
volume linkBern 1988
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001B#1000/1504#510* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(B)1000/1504 18 | |
Dossier title | Hilfsaktion für Österreich und Zentraleuropa (1921–1923) | |
File reference archive | B.55.4.1 |
dodis.ch/44838
Die Konferenz von Genua hat, wie Sie aus den Zeitungen ersehen haben werden, u. a. zur erneuten Erörterung einer Frage Anlass gegeben, die schon mehrfach Bundesrat und Bundesversammlung beschäftigt hat: der Frage der Kreditaktion zugunsten Zentraleuropas und namentlich Österreichs.
Am 21. des vorigen Monats trat auf Veranlassung des italienischen Ministers des Äussern, Herrn Schanzer, ein kleiner Ausschuss von Vertretern von dreizehn Staaten zusammen, um die Möglichkeit zu prüfen, die verschleppte Hilfsaktion zu beschleunigen. Vertreten waren Belgien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Grossbritannien, Italien, Japan, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Rumänien, Schweden und die Schweiz. Namens der schweizerischen Delegation nahm Herr Dubois, der von Herrn Péquignot begleitet wurde, an den Verhandlungen teil.
Herr Schanzer, der das Komitee persönlich präsidierte, betonte, dass der Gegenstand der Verhandlungen eigentlich ausserhalb des für die Genueser Konferenz vorgezeichneten Rahmens liege, dass aber die Gelegenheit der Zusammenkunft der Vertreter der an die Hilfsaktion für Österreich beteiligten Staaten benützt werden müsse, um dieses Werk zu fördern.
Als der Bundesrat seinen Bericht vom 3. Oktober 1921 den eidgenössischen Räten vorlegte2, hatten Frankreich, England, Japan, die Tschechoslowakei und im Prinzip Italien und Belgien auf die ihnen aus dem Friedensvertrage zustehenden Prioritätsrechte auch für die Wiederaufbaukredite verzichtet. Die Bundesversammlung genehmigte in der Folge den Beschluss, durch den der Bundesrat für die Schweiz auf die Vorzugsrechte aus den Österreich gewährten Wiederaufbaukrediten unter der Bedingung verzichtet hatte, dass ein gleicher Verzicht auch von allen ändern an der Hilfsaktion mitbeteiligten Staaten geleistet werde. Ausstehend waren damals noch die Verzichterklärungen der Vereinigten Staaten von Amerika, der nordischen Staaten und der Niederlande sowie Rumäniens und Jugoslawiens.
Bei Beginn der Sitzung des Komitees konnte nun Herr Schanzer darauf hinweisen, dass sowohl die Vereinigten Staaten als auch Schweden, Dänemark, Norwegen und Jugoslawien bereit seien, auf die ihnen zustehenden Prioritätsrente zu verzichten. Es fehlte somit tatsächlich nur noch Rumänien, um die Zahl der Verzichtserklärungen vollzumachen.
Der Ausschuss beschäftigte sich sodann mit einer Formulierung einer gemeinsamen Erklärung, durch die der Verzicht aller beteiligten Staaten in einheitlicher Weise zum Ausdruck gebracht werden sollte. Zugleich wurde der Vorschlag gemacht, an Stelle der «Commission Internationale des Crédits de Relèvement Economique» die Reparationskommission als Zentralstelle für die Kredithülfe fungieren zu lassen. Dieser Vorschlag sollte auch in der Formel der Erklärung zum Ausdruck kommen.
Dem Sinn der Instruktionen folgend, die der Bundesrat der Delegation in Bezug auf die Stellungnahme zu den Friedensverträgen erteilt hatte, erklärte Herr Dubois, dass die Schweiz die Reparationskommission nicht als Kontrollinstanz für die Schuldverhältnisse zwischen den neutralen Staaten und Österreich anerkennen könne. Infolgedessen dürfe auch die gemeinsam abzugebende Erklärung nicht wie vorgeschlagen besagen, dass die neutralen, in der Reparationskommission nicht vertretenen Staaten dieser Kommission das Mandat erteilen, in ihrem Namen den Verzicht auszusprechen.
Im weiteren Verlauf der Sitzung wurde eine Subkommission, bestehend aus den Vertretern Grossbritanniens, Frankreichs, Italiens, der Niederlande und Rumäniens bestellt, die u.a. den Wortlaut des Entwurfes einer gemeinsamen Erklärung festzusetzen hat. Herr Nixon vom Generalsekretariat des Völkerbundes, der den Sitzungen dieses Komitees beiwohnt, hat uns eine Formel für den Passus, der sich auf die Haltung der an den Friedensverträgen unbeteiligten Staaten bezieht, unterbreitet, welche mit einer kleinen Ergänzung wohl unsere Zustimmung finden kann. Dieser Passus bildet den zweiten Absatz der Erklärung, deren vorgeschlagenen Wortlaut ich Ihnen in der Beilage übermittle.3
Der niederländische Delegierte im Subkomitee, Herr Patijn – der übrigens möglicherweise als Trustee an der Hülfsaktion für Österreich beteiligten Gläubigerstaaten bezeichnet werden wird – hat uns diese Tage mitgeteilt, dass er auf die Annahme dieser Formel, welche den Standpunkt der neutralen Staaten in richtiger Weise zum Ausdruck bringe, bestehen werde.
Obschon die Verhandlungen über die russische Frage gegenwärts alle andere auf der Tagesordnung der Konferenz von Genua verzeichneten Fragen in den Hintergrund drängen, besteht dennoch die Möglichkeit, dass noch vor Ende der Konferenz die Vertreter der an der Hilfsaktion für Österreich beteiligten Staaten auf Grund eines Berichtes des erwähnten Subkomitees eingeladen werden, ihre Unterschriften unter die gemeinsame Erklärung, die noch redaktionell bereinigt werden dürfte, zu setzen. Die österreichische Regierung dringt sehr darauf, dass der Verzicht auf die Vorrechte aus den Hilfskrediten möglichst bald allgemein ausgesprochen werde, um der Anwendung des Ter Meulenschen Systems zu Gunsten Österreichs die Wege zu ebnen. Herr Bundeskanzler Schober wie auch der österreichische Handelsminister, Herr Grünberger, haben schon zu Beginn der Konferenz sich Herrn Dubois gegenüber erneut in diesem Sinne geäussert.
Wenn die Schweiz, die bereits eine besondere Verzichtserklärung abgegeben hat, durch Anschluss an die allgemeine Deklaration, die möglicherweise in Genua unterzeichnet wird, dazu beitragen könnte, die finanzielle Wiederaufrichtung Österreichs zu beschleunigen, so scheint unsere Haltung von vorneherein gegeben.
Immerhin ist zu erwähnen, dass die Genehmigung der beiliegenden Deklaration Abweichungen von der Erklärung mit sich bringt, die der Bundesrat am 2. September 1921 abzugeben beschlossen hat und die nachträglich von den eidgenössischen Räten genehmigt wurde. So wird Kraft der neuen Formel der Verzicht für zwanzig Jahre vom Tage der Unterzeichnung, resp. bis zum 1. Juni 1942 wirksam sein, während nach dem erwähnten Beschluss die Eidgenossenschaft erklärt hat, bis zum l.Juni 1941 auf die Geltendmachung ihrer Ansprüche zu verzichten. Diese Divergenzen dürften es erforderlich machen, der Bundesversammlung in einem neuen Bericht die Genehmigung eines weitergehenden Verzichtes zu beantragen.
Im übrigen scheint der beiliegende Entwurf einer Deklaration, wie bereits erwähnt, zu keinen Bedenken Anlass zu geben. Hinsichtlich der Gläubigerrechte der neutralen Staaten bleibt die Reparationskommission ausser Spiel. Es ist des weiteren auf Anregung der schweizerischen Delegation ausdrücklich präzisiert, dass die Bedingungen, an die jeder einzelne Staat seinen Verzicht geknüpft hat, unberührt bleiben. Die hauptsächlichste Bedingung von der die Schweiz ihren Verzicht abhängig Hess, ist, wie oben ausgeführt, die, dass ein gleicher Verzicht auch von allen anderen an der Hilfsaktion beteiligten Staaten geleistet werde. Es ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass es bedauerlicherweise zur Zeit noch durchaus nicht feststeht, ob Rumänien seinen jeden Verzicht ablehnenden Standpunkt aufgeben werde.
Da grundsätzlich die vorgeschlagene Deklaration, soweit sie schweizerische Rechte betrifft, nur bereits abgegebene Erklärung bestärkt, glaube ich ermächtigt zu sein, dieselbe gegebenenfalls namens der schweizerischen Delegation zu unterzeichnen.
Ich wäre Ihnen dankbar, mir mitzuteilen, ob der Bundesrat diese Auffassung bestätigt.4
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