Classement thématique série 1848–1945:
I. LA SUISSE ET LA SOCIÉTÉ DES NATIONS
I.1. Assemblée, Conseil et Pacte de la SdN
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 8, doc. 42
volume linkBern 1988
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#278* |
Dossier title | Beschlussprotokolle des Bundesrates Januar - März 1921 (1921–1921) |
dodis.ch/44684 CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 25 février 19211 590. Völkerbund: Eventuelle Kündigung der V. Haager Konvention betreffend Neutralität im Landkrieg
Procès-verbal de la séance du 25 février 19211
I. Art. 20 des Völkerbundspaktes lautet:
«Die Mitglieder des Völkerbundes anerkennen, jedes für seinen Teil, dass der gegenwärtige Bundesvertrag alle Verpflichtungen oder Abmachungen unter sich, die mit seinen Bestimmungen in Widerspruch stehen, ausser Kraft setzt, und verpflichten sich feierlich, in Zukunft keine mit dem Völkerbundsvertrag unvereinbaren Abkommen einzugehen.
Sollte ein Mitglied vor seinem Eintritt in den Völkerbund mit diesem unvereinbare Verpflichtungen übernommen haben, so muss es unverzüglich Schritte unternehmen, um sich von diesen Verbindlichkeiten zu lösen.»
Es ergibt sich daraus für die Schweiz als Völkerbundsmitglied die Pflicht, zu prüfen, ob sie mit dem Völkerbund nicht angehörenden Staaten in Vertragsverhältnissen stehe, die mit dem Völkerbund unvereinbar sind und auf deren Lösung sie deshalb bedacht sein muss. Unter Mitgliedern des Bundes hebt der Pakt diesem entgegenstehende Vereinbarungen ohne weiteres auf.
II. Der Völkerbundsvertrag legt im allgemeinen den Mitgliedern des Bundes keine Verpflichtungen auf, die mit Staatsverträgen, wie sie die Schweiz abgeschlossen hat, unvereinbar wären. Anlass zu Kollisionen kann wohl nur Art. 16 des Paktes geben, bzw. das dort proklamierte Solidaritätsprinzip, wonach die Schweiz gegenüber bundesbrüchigen Staaten zum Abbruch der Verkehrsbeziehungen und damit zur Suspendierung von Handels- und Niederlassungs- und ähnlichen Verträgen verpflichtet wäre. Für die Schweiz ist die Lage insofern eine besondere, als sie infolge ihrer dauernden Neutralität im Falle des Art. 16 mit dem bundesbrüchigen Staat nicht in Kriegszustand tritt. Die Schweiz kann sich deshalb in einem solchen Falle nicht auf die völkerrechtliche Regel berufen, wonach durch den Kriegszustand alle Verträge unter den Kriegführenden aufgehoben oder wenigstens suspendiert sind.
Aus Art. 23, lit. e, des Paktes (Freiheit des Verkehrs und gerechte Behandlung aller Mitglieder des Völkerbundes) kann keine Pflicht zur Revision unserer gegenwärtigen Handels-, Eisenbahn- und ähnlicher Verträge abgeleitet werden. Solange kein Mitgliedstaat reklamiert, besteht jedenfalls keine Veranlassung zu besondern Massnahmen.
III. Aus den Solidaritätspflichten gegenüber dem Völkerbund können allenfalls Kollisionen entstehen mit folgenden internationalen Übereinkünften:
1. Neutralitätsakte von 1815. Gegenüber dem Völkerbund ist dieses Verhältnis durch die Londoner Erklärung geregelt und damit auch zu allen ihm angehörenden Staaten.
Was die übrigen, dem Völkerbund nicht angehörenden Staaten, namentlich das Deutsche Reich, anbelangt, so vertritt die Schweiz den Standpunkt, dass sie nur zu einer militärisch neutralen Haltung verpflichtet sei und deshalb ohne Verletzung der Akte von 1815 sich auf den Boden der Londoner Deklaration gegenüber allen Signatärstaaten von 1815 stellen könne. Obwohl an sich eine ausdrückliche Anerkennung unserer durch die Zugehörigkeit zum Völkerbund bestimmten Neutralitätspolitik seitens aller Nachbarstaaten von Wert wäre, so erscheint es doch inopportun, diese Frage gegenüber Deutschland zur Sprache zu bringen. Eine ausweichende oder ablehnende Antwort wäre sehr unerfreulich und eine Zusage würde ja auch keine Garantie in einer schweren Krise bieten. Würden zwischen der Schweiz und Deutschland hinsichtlich der Neutralitätspflichten auf Grund der Akte von 1815 Meinungsdifferenzen zum Vorschein kommen, so würde man sich in einer Situation ohne Ausweg befinden, da weder von einem Rücktritt von den 1815 gemachten Erklärungen noch von einer Revision der Londoner Deklaration die Rede sein kann.
2. Die V. Haager Konvention vom 18. Oktober 1907 betreffend die Neutralität im Landkriege enthält in Art. 7–9 Bestimmungen, welche mit einer differentiellen Behandlung der Kriegsparteien nicht leicht zu vereinbaren sind. Es entsteht deshalb die Frage, ob die Schweiz sich für die in Art. 16 des Völkerbundsvertrages vorgesehenen Konfliktsfälle von den genannten vertraglichen Verpflichtungen betreffend Gleichbehandlung aller Parteien in bezug auf Zufuhr von Gegenständen des Kriegsbedarfes und Gewährung des Nachrichtenverkehrs durch Kündung des genannten Abkommens befreien sollte.
In der bundesrätlichen Botschaft vom 4. August 1919 wird die Schwierigkeit der Vereinbarkeit eines Nachrichtendienstes des Völkerbundes mit den eit. Art. 8 und 7 anerkannt. Von der ungleichen Behandlung in bezug auf Lieferung von Kriegsmaterial ist nichts gesagt, weil die Schweiz keine Pflicht zur Ausfuhr von solchem nach den Völkerbundsstaaten hat. Herr Professor Eugen Borei hat in einem Berichte an die Schweizerische Vereinigung für internationales Recht und in einem demnächst erscheinenden Artikel in der Revue générale de droit international public mit grossem juristischem Scharfsinn nachzuweisen unternommen, dass die der Schweiz aus Art. 16 des Völkerbundsvertrages erwachsenden Verpflichtungen in keiner Weise mit der V. Haager Konvention collidieren und dass alle Signatäre der Friedensverträge, auch die dem Völkerbund nicht angehörenden, die durch die Blockadebestimmungen des Völkerbundes geschaffene Situation anzuerkennen haben.
Unabhängig von der Rechtsauffassung, der man beitritt, kann wohl gesagt werden, dass die Stellung der neutralen Schweiz bei Völkerbundskonflikten eine freiere sein würde, wenn man nicht ausdrücklich an die Bestimmungen des genannten Vertrages gebunden wäre, der unter ganz ändern Gesichtspunkten vereinbart worden ist, als sie für den Völkerbund massgebend sind. Grossen Wert hat das Abkommen nicht, da es im Kriege wohl in bezug auf die Pflichten der Neutralen geltend gemacht wurde, aber den letztem nicht die 1907 im Prinzip anerkannte wirtschaftliche Bewegungsfreiheit sichern konnte.
Wenn das Abkommen über die Neutralität im Landkriege gekündigt werden soll, so müsste dies bald geschehen, d. h. solange man sich noch auf Art. 20 des Völkerbundsvertrages als Veranlassung des Rücktrittes in überzeugender Weise berufen kann. In einem spätem Zeitpunkte würde die Kündigung leicht zu Missdeutungen Anlass geben, z. B. als Symptom bestehender Kriegsgefahr gedeutet werden, und zudem würde man sich dem Risiko aussetzen, zu spät zu kommen, da das Abkommen zwar jederzeit, aber nur auf 1 Jahr hinaus gekündigt werden kann (Art. 24).
Einer derzeitigen Kündigung des Abkommens stehen indessen gewichtige politische Bedenken entgegen, die um so mehr ins Gewicht fallen, als einerseits die Beibehaltung des gegenwärtigen Zustandes keine besonderen Nachteile bietet und anderseits durch die Kündigung auch keine nach allen Seiten klare und sichere Rechtslage geschaffen würde.
Vom innerpolitischen Standpunkt wäre zu befürchten, dass die Opposition gegen den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund aus der Tatsache der Kündigung des Haager Abkommens neu angefacht würde, indem letztere als weitere Abschwächung unserer Neutralität hingestellt würde. Nach aussen würde durch den Wegfall des Vertrages nicht eine wesentlich verschiedene Situation geschaffen. In der völkerrechtlichen Theorie und Praxis vor 1907 war bereits die Idee stark vertreten, dass die Neutralität eine grundsätzlich gleichmässige Behandlung der Kriegsparteien voraussetze. Wer eine differenzielle Behandlung als neutralitätswidrig anfechten will, würde es auch tun, wenn die Schweiz nicht mehr als Kontrahent an die in dieser Konvention enthaltenen Vorschriften gebunden wäre.
Die Verhandlungen der 1. Völkerbundsversammlung über die Durchführung der Blockade nach Art. 16 des Paktes haben ergeben, dass man geneigt ist, diesen Artikel eher restriktiv zu interpretieren und die Verpflichtungen für die blockierenden Staaten nicht zu übertreiben, sowie auch den Mitgliedstaaten eine gewisse Entschliessungsfreiheit in der Beziehung einzuräumen, dass sie selber zu entscheiden haben, ob ein Bruch des Paktes vorliegt.
Unter diesen Umständen kann um so eher von einer derzeitigen Kündigung des Haager Abkommens abgesehen und das Ergebnis der Beratungen der von der Völkerbundsversammlung beschlossenen Blockadekommission abgewartet werden.2
Gestützt auf diese Erwägungen wird beschlossen:
Es liegt keine Veranlassung vor, bestehende Staatsverträge, insbesondere das V. Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 über die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte im Landkriege, mit Rücksicht auf Art. 20 des Völkerbundspaktes zu kündigen.
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