Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATIONS INTERGOUVERNEMENTALES ET LA VIE DES ETATS
II.2 ALLEMAGNE
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 7-II, doc. 295
volume linkBern 1984
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2300#1000/716#104* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2300(-)1000/716 57 | |
Titolo dossier | Berlin, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 21, Teil 1 (1920–1920) |
dodis.ch/44506
[...]2 Damit komme ich auf die Hauptfrage, welche heute die öffentliche Meinung ganz Deutschlands aufs tiefste bewegt, den Einmarsch der Franzosen in Frankfurt, Hanau, Darmstadt und anderen Städten. Die Erbitterung und Empörung ist hier ebenso allgemein als selbstverständlich. Wenn es etwas geben könnte, was im deutschen Volke wieder eine nationale Einigung und Begeisterung herbeiführen würde, so wäre es wohl dieser Gewaltschritt der französischen Regierung. Die Erbitterung ist umso grösser, als sie gepaart ist mit dem Gefühle der völligen Wehr- und Machtlosigkeit. Diese Vorgänge sind Wasser auf die Mühle der Gegner der Unterzeichnung des Friedensvertrages und sie scheinen den Befürchtungen Recht zu geben, welche mir Bethmann-Hollweg seinerzeit äusserte: Frankreich wird uns nicht zu Atem kommen lassen, bevor es sein wirkliches Kriegsziel erreicht hat, und es wird jeden wirklichen oder scheinbaren Verstoss gegen den Wortlaut des Friedensvertrages benützen, um Repressalien zu ergreifen, welche den Auftakt bilden werden zu späteren endgültigen Massnahmen. So sprach Bethmann vor ungefähr zwei Monaten, und heute – wer wollte bestreiten, dass ihm die neuesten Ereignisse wenigstens scheinbar Recht geben? Die Gegner der Unterzeichnung sagen heute wieder, was sie früher gepredigt haben: Durch die Unterzeichnung haben wir uns kampf- und machtlos, auf Gnade und Ungnade, in die Hand unserer Feinde begeben, die jederzeit aus dem Friedensinstrument die Waffen für unsere völlige Vernichtung schöpfen können. Hätten wir die Unterzeichnung verweigert, so wären uns wenigstens noch etwelche äussere und namentlich innere Machtmittel geblieben, um dem Schlimmsten zu begegnen, und wir hätten dadurch die Feinde genötigt, mit uns zu reden. Ich habe den Standpunkt der Gegner der Unterzeichner früher nicht verstanden, heute sehe ich die Sache doch in einem etwas anderen Lichte.
Am meisten enttäuscht hat hier die Tatsache, dass Amerika, England und Italien den Einmarsch haben geschehen lassen: denn es ist niemand im Zweifel darüber, dass die Franzosen den Schritt nicht gewagt hätten, ohne der Zustimmung der Alliierten sicher zu sein.3 Diese Enttäuschung wirkt natürlich nicht nur politisch, sondern auch wirtschaftlich: Man hatte gehofft, dass EnglandFrankreich mitziehen werde in dem Bestreben, Deutschland vor dem wirtschaftlichen Untergang zu retten, und man sieht nun, dass auch das eine Illusion war.
Über die Frage, ob der Buchstabe des Vertrages den Franzosen Recht gibt, kann man vielleicht verschiedener Meinung sein. Hier in Deutschland gibt es wohl nur einen Menschen, welcher den französischen Standpunkt als formell berechtigt anerkennt, und das ist Georg Bernhard von der «Vossischen». Allgemein schliesst man sich hier dem Standpunkt des Reichswehrministers Gessler an, der mir gesagt hat, dass tatsächlich die Zahl der Truppen, die ins Ruhrgebiet einmarschiert seien, die Höchstziffer nicht erreiche, welche im Augustabkommen festgelegt sei. Die Zahl der Einheiten (20 Bataillone) sei freilich um etwas überschritten, aber das rühre nur daher, dass die Einheiten numerisch ganz wesentlich schwächer seien, als bisher angenommen worden. Die deutsche Regierung habe keinen Mann und kein Pferd mehr nach dem Ruhrgebiet gesandt, als sie für unerlässlich halte, um rasch und ohne viel Blutvergiessen Ordnung und Sicherheit in dem unglücklichen Lande wieder herzustellen, und sie habe immer wieder versichert, dass diese Truppen unverzüglich wieder zurückgezogen werden sollen, sobald die Ordnung wieder hergestellt und die Entwaffnung der roten Banden durchgeführt sei. Wenn man, wie gesagt, darüber streiten kann, ob der Buchstabe des Vertrages das Vorgehen der Franzosen rechtfertigt, so kann doch kein ruhig Urteilender darüber im Zweifel sein, dass die Massnahme sachlich so ungerechtfertigt und so unglücklich als möglich sei, sofern man nämlich den Standpunkt vertritt, dass der Friedensvertrag im Sinne einer allmählichen Versöhnung und im Geiste der Wiederherstellung normaler Verhältnisse auf der armen Welt verstanden werden solle. Ich habe von einer Mehrzahl von Personen, die im Ruhrgebiet waren, gehört, dass die dort herrschenden Zustände im allgemeinen europäischen Interesse einer raschen und energischen Bekämpfung bedürfen und dass deren Beseitigung nicht möglich sei auf dem Wege, den die Franzosen in zynischer Weise vorgeschlagen haben, nämlich auf demjenigen der Unterhandlung mit den Arbeitern. Der Kampf geht eben gar nicht gegen die Arbeiter oder gar gegen Arbeiterinteressen, sondern er geht gegen Mörder und Räuber, mit denen überhaupt nicht zu unterhandeln ist. Auch der Reichswehrminister bestätigt durchaus diese Ansicht und versichert nachdrücklich, dass die jetzige Regierung, in welcher Sozialisten das massgebende Wort sprechen, doch bei keinem klarsehenden Menschen dem Verdachte ausgesetzt sein könne, als wolle sie die Arbeiterschaft vor den Kopf stossen.
Das alles ist ja ganz klar, und gerade deshalb muss man sich sagen, dass der Vorstoss der Franzosen nicht nur dem Zwecke dienen kann, «Pfänder» zu schaffen für die Erfüllung derjenigen Bestimmungen des Friedensvertrages, welche jetzt verletzt sein sollen. Auf dem Reichswehrministerium ist man auch der Meinung, dass die Besetzung der jetzt frisch okkupierten Städte nicht so bald wieder aufgehoben werde, weil selbst im Falle des Rückzuges der deutschen Truppen andere Vorwände gefunden werden dürften, um die Notwendigkeit der Fortsetzung des Pfandverhältnisses zu begründen. Von anderer Seite wird mir gesagt, dass die französische Regierung durchaus falsch unterrichtet sei über die tatsächlichen Verhältnisse in Deutschland, weil ihre militärischen Vertreter auf Mitteilungen von unabhängiger Seite abstellen.
Sie haben den Protest der deutschen Regierung gelesen, der Ihnen genau die Auffassung und die Absichten der hiesigen Regierung auseinandersetzt: Es fällt natürlich niemand ein, der Gewalt die Gewalt entgegenzusetzen, weil man seine Machtlosigkeit nur zu deutlich fühlt.
Ganz zweifellos hat dieser französische Streich der Sache der Verständigung und der Wiederaufrichtung Deutschlands einen schweren Stoss versetzt: Es ist nun wieder an die Stelle der Hoffnung und eines gewissen Mutes das Gefühl der Resignation, der Mutlosigkeit und der Erbitterung getreten. Was daraus werden wird, lässt sich nicht sagen, aber man braucht wahrlich nicht Schwarzseher zu sein, um diese weitere Folge des letzten Putsches als eines der grössten Unglücke zu bezeichnen, welches Deutschland und Europa in diesem Augenblicke widerfahren konnte. [...]4
Für die Gesandtschaft entsteht die interessante Situation, dass nun auch der Sitz des Konsulates Frankfurt in das besetzte Gebiet und damit unter den eidgenössischen diplomatischen Vertreter bei der hohen Kommission fällt. Da nach dem Beschlüsse des Bundesrates auch der Generalkonsul im besetzten Gebiete von der Gesandtschaft losgelöst und dem Departement direkt unterstellt ist, muss ich natürlich für die Dauer der Besetzung Frankfurts den Verkehr mit dem dortigen Konsulat einstellen.
Letzter Tage erhielt ich von dem abtretenden und dem neu ernannten Minister des Auswärtigen in Schweden die amtlichen Briefe, durch welche sich die Herren verabschieden, bezw. einführen, unter den üblichen Versicherungen der Fortsetzung der freundschaftlichen Beziehungen. Gleichzeitig bringt mir der eingegangene eidgenössische Staatskalender die Kunde, dass ich auch in Schweden bevollmächtigter Minister und ausserordentlicher Gesandter sei. Diesen beiden Tatsachen gegenüber muss ich feststellen, dass mir niemals eine bezügliche Mitteilung zugegangen ist und dass ich auch niemals beim König von Schweden akkreditiert worden bin. Vielmehr wurde mir vor einem halben Jahr gelegentlich mündlich mitgeteilt, dass im Hinblick auf die baldige Errichtung einer Gesandtschaft in Stockholm davon abgesehen werde, mich bei der schwedischen Regierung zu akkreditieren. Infolgedessen habe ich mich rein nur als Briefträger betrachten müssen, der die sehr wenig zahlreichen Geschäfte zu empfangen und weiterzugeben hatte. Ich sage dies an diesem Orte, weil ich die Tatsache zu erklären habe, dass in meinen politischen Berichten niemals von Schweden und dortigen politischen und wirtschaftlichen Zuständen die Rede war. Hätte ich gewusst, dass man mich als akkreditierten Minister betrachtet und der Öffentlichkeit als solchen bekanntgibt, so hätte ich versucht, etwelche Fühlung zu nehmen mit Schweden, um mich über dortige Verhältnisse zu unterrichten. So, wie die Dinge für mich lagen, hatte ich dazu wirklich keine Veranlassung.
Nachschrift. Herr Haguenin, dem die Ereignisse im Westen unangenehm sind, weil sie seine Politik der Verständigung durchkreuzen, erklärt mit aller Bestimmtheit, dass die französischen Truppen die neu besetzten Gebiete sofort verlassen werden, nachdem die deutschen Truppen aus der neutralen Zone zurückgezogen sein werden. Auf die Einwendung, dass wohl die Absicht oder doch der Wunsch bestehe, die Besetzung dauernd zu gestalten, antwortete er: Dazu würde die Einwilligung der Alliierten nicht erhältlich sein. Diese Bemerkung ist deshalb interessant, weil sie vermuten lässt, dass für die jetzige Massnahme diese Zustimmung gegeben worden ist.
Wie richtig die Annahme ist, dass die französische Meinung wesentlich beeinflusst sei durch die Nachrichten, die aus deutscher unabhängiger Quelle stammen, beweist der Ton, den die «Freiheit», das Organ des linken Flügels der Unabhängigen, seit zwei Tagen anschlägt, indem sie sich zur restlosen Verteidigerin des französischen Einmarsches aufwirft. Ob diese Haltung den Unabhängigen Vorteil bringen wird für die Wahlen, scheint mir doch sehr fraglich.
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